"Fremde Heimat Kirche - Erkundungsgänge"

Kommentarband zur III. Untersuchung der EKD über Kirchenmitgliedschaft erschienen

24. November 2000

Vom Gütersloher Verlagshaus wurde soeben der Kommentarband zur III. Untersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) über Kirchenmitgliedschaft ausgeliefert, die 1992 durchgeführt und 1993, 1997 und 1998 unter den Titeln "Fremde Heimat Kirche" und "Quellen religiöser Selbst- und Weltdeutung" publiziert wurde. Das Buch wurde wie die Kommentarbände zur I. und II. Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD von dem Religionssoziologen Joachim Matthes, Erlangen/Kuala Lumpur, herausgegeben. Nach einer thematischen Einführung durch den Herausgeber, in der er die Bedeutung qualitativer Methoden für die Sozialforschung im allgemeinen sowie für die Kirchenmitgliedschaftsforschung im besonderen herausstreicht, folgen zunächst drei "Kommentare".

Der erste, ebenfalls von Joachim Matthes verfasst, geht an Hand von Äußerungen vorwiegend asiatischer Gesprächspartner der Frage nach, was man - unabhängig von allen Einzelergebnissen - über unsere Kirchenmitgliedschaftsverhältnisse in Deutschland lernen kann, wenn wir sie mit dem Instrument von Befragungen untersuchen (müssen). Ebenso grundsätzlich ist der zweite, von Eilert Herms verfasste Kommentar, der unter dem Titel "Das Kreuz im Alltag" kritisch auf das Erfordernis abhebt, ergänzend zu den Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen auch den Niederschlag christlicher Glaubenstraditionen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären zu untersuchen: Dann würde einmal nicht nur die kirchliche Wirklichkeit aus der Perspektive der Soziologie, sondern umgekehrt auch die gesellschaftliche Wirklichkeit aus der Perspektive des Glaubens erhoben. Die dritte Kommentierung schließlich, verfasst von Gerhard Schmied, würdigt die Untersuchungsergebnisse aus katholischer Perspektive und streicht ihre hohe Erschließungskraft für das Verstehen von "Kirche" heraus.

Unter der Überschrift "Methoden" schließen sich sodann drei weitere Beiträge zur Konzeption der Untersuchung "Fremde Heimat Kirche" an. Michael Krüggeler hebt auf die besondere Leistung der Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden ab, während Andreas Feige einen eingehenden und kritischen Vergleich mit anderen religionssoziologischen Untersuchungen der neunziger Jahre vorlegt.

Im umfangreichen dritten Teil wird dann eine Reihe detaillierter "Analysen" vorgelegt, die Ergebnisse der Untersuchung "Fremde Heimat Kirche" aufgreifen und vertiefen. Die einzelnen Beiträge widmen sich den unterschiedlichen Aspekten, die durch das Material der III. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung in die Diskussion gebracht worden sind: Petra Angela Ahrens arbeitet heraus, inwiefern "religiöse Orientierungsmuster" eine sinnvolle Alternative zu kurzschlüssigen Typenbildungen von Kirchenmitgliedern sind. Peter Höhmann weist auf die Gefahr von Schließungsprozessen in Bezug auf die kirchliche Bindung hin, die über die Jahrzehnte tendenziell zu einer Ausgrenzung von solchen Kirchenmitgliedern führen, die das Merkmal bestimmter "Lebenslagen" - wie liberale Einstellung, fehlende kirchliche Sozialisation oder niedriges Lebensalter - aufweisen. Ingrid und Wolfgang Lukatis sowie Thomas Stahlberg gehen in ihren Beiträgen den Ergebnissen der Untersuchung in bezug auf die Pfarrer und ihre Wahrnehmung durch die Befragten nach. Sie betonen einerseits das große Wohlwollen, das den AmtsträgerInnen noch immer entgegengebracht wird, andererseits die Gefahr einer Asymmetrie von Perspektiven: Das Verhalten der Pfarrer und Pfarrerinnen weicht in vielen Fällen von den Erwartungen der Kirchenmitglieder deutlich ab und führt so zu Enttäuschungen - möglicherweise auf beiden Seiten. Christian Schwarke zeigt an Hand der narrativen Interviews über Glaube, Kirche, Religion und Christentum auf, wie sehr sich bei den Befragten ein eigenständiger, "mündiger" Umgang mit den protestantischen Glaubenstraditionen nachweisen lässt. Damit sieht er die häufig beklagte Wahrnehmungsverengung allzu selbstbezüglicher kirchlicher bzw. theologischer Perspektiven grundsätzlich bestätigt -eine Einschätzung, der Rüdiger Schloz in seinem Beitrag über die volkskirchliche Unbestimmtheit und Distanz noch einmal kritisch die genuin protestantische Rede von der "Gewissheit des Glaubens" gegenüberstellt.

Abgerundet wird die Reihe der Analysen durch zwei Beiträge zur Situation in Ostdeutschland: In der von Andreas Kölling gemeinsam mit Peter Höhmann und Thomas Stahlberg vorgelegten Untersuchung zur Entkirchlichung im Raum Halle seit dem 19. Jahrhundert wird eindrücklich gezeigt, wie stark Kirchlichkeit jeweils eingebettet ist in die bedingenden gesellschaftliche Muster. Wo diese sich zuungunsten der Kirche verändern - etwa unter dem Druck staatlicher Einflussnahme - verliert auch die Bindung an kirchliche Traditionen innerhalb kürzester Zeit an Boden. In Ergänzung zu dieser empirisch-historischen Regionalstudie untersucht Detlef Pollack die religiös-kirchliche Entwicklung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in den Jahren nach 1989. Dabei macht er auch deutlich, warum ein neuerlicher kirchlicher Aufschwung nach der Wende nicht in der erhofften Weise erfolgt ist.

Im vierten und letzten Teil des Bandes werden schließlich "Perspektiven" entfaltet. Dies geschieht einerseits durch zwei Beiträge von Rüdiger Schloz und Friederike Benthaus-Apel, die an Hand einer Repräsentativ-Umfrage zum Thema "Glauben entdecken" den manifesten Spuren des Glaubens in den Wissensbeständen der Befragten nachgehen. Abschließend zieht Rüdiger Schloz nach nunmehr drei Jahrzehnten Kirchenmitgliedschaftsforschung eine kritische Bilanz des bisher Erreichten: Die Impulse der Untersuchung für kirchenreformerisches Handeln - insbesondere die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz auf allen Ebenen sowie die Verstärkung der Bemühungen um kirchliche Sozialisation und Lebensbegleitung - werden noch einmal resümiert; woran es fehlt, sind Ansätze zu ihrer konkreten Umsetzung. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Kommunikationsinitiative "Brücken bauen" der EKD.

Hinweis: Für die Beantwortung von Rückfragen und für weitere Informationen steht Ihnen Oberkirchenrat Rüdiger Schloz im Kirchenamt der EKD zur Verfügung (Tel.: 0511 - 27 96 - 340). Der Kommentarband (Gütersloher Verlagshaus 2000, ISBN 3-579-02372-1) umfasst 405 Seiten und kostet DM 39,80.

Hannover, 24. November 2000
Pressestelle der EKD