Stellungnahme bei der Pressekonferenz am 1.11.00 in Berlin anlässlich der Vorstellung des Buches "Zeugen einer besseren Welt"

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

01.November 2000

Die beiden Kirchen legen mit dem Titel "Zeugen einer besseren Welt" zum Millenniumswechsel eine ökumenische Auswahl von Lebenswegen von Märtyrern des 20. Jahrhunderts vor. Das gemeinsam entwickelte Buch ist weit mehr als eine historische Dokumentation. Es ist ein beeindruckendes Dokument für die Kraft des christlichen Glaubens geworden. Der Glaube an Jesus Christus hat Männer und Frauen in Bewegung gesetzt, gegen Gewalt und Unrecht anzugehen, und er hat ihnen die Kraft gegeben, dem Bösen zu widerstehen.

Wer waren diese Menschen? Was machte ihren Glauben aus? Ihr Leben, so zeigen die in diesem Buch gesammelten Biografien, war nicht außergewöhnlich und auch nicht makellos. Es war erfüllt von Angst und Trauer, von Hoffnung und Verzweiflung. Auch die Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts waren verstrickt in Schuldzusammenhänge. Manche fühlten sich in Zeitabschnitten ihres Lebens in ähnlicher Gottvergessenheit wie ihre Mitmenschen. Aber letztlich bestimmend blieb für sie doch die Erfahrung, von der Kraft Gottes getragen zu sein. Die Gewissheit des Glaubens, dass der Auferstandene Leben bewahrt gegen den Tod und seine Handlanger, hat sie zu Zeugen werden lassen für eine bessere Welt. Sie vertrauten der Verheißung Jesu Christi, dass er ihr Leben würde retten können, auch wenn sie es verlieren. Das war der Grund ihrer unzerstörbaren Hoffnung.

Ihre Glaubensstärke gewannen diese Menschen aus der biblischen Botschaft. Von ihr haben sie sich ansprechen und trösten lassen.

"Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen...." (Jes. 43,1+2) Dieser Zuspruch Gottes im Teil des Jesajabuches hatte ja schon einmal Menschen gegolten, die mehr als zweieinhalb Jahrtausende zuvor im Elend und im Feuer der Vernichtung unterzugehen drohten. Immer wieder durch die Geschichte von 2500 Jahren war ein solches Wort Halt und Trost für Menschen in Verfolgung und Leid. Das Wort ist ein Beispiel für ähnliche Sätze, die auch den Männern und Frauen im Widerstand gegen Hitler. Sie spürten, wie dieses Wort ihnen galt und wie es ihnen zum Halt wurde.

Die Unterschiedlichkeit der dargestellten Lebenswege dieser Frauen und Männer, ob Geistliche oder Laien, ob Verzweifelte oder Entschlossene, macht zugleich ihre Unverwechselbarkeit und Einmaligkeit aus. Zu Beginn des neuen Jahrtausends dokumentiert diese Sammlung von Lebensbildern bei aller Verschiedenheit das Gemeinsame im christlichen Zeugnis: diese Menschen sind ihrem Glauben treu geblieben, sie haben sich für ihre Mitmenschen und für die Zukunft ihres Landes eingesetzt. Sie haben Widerstand gegen den Diktator Hitler, gegen die unmenschlichen Regime Stalins oder Maos geleistet. Sie haben der herrschenden Lüge und Gewalt widersprochen und dabei ihr Leben verloren.

Vier Aspekte möchte ich besonders hervorheben:

1. An die Täter und ihre Untaten wird oft erinnert. Es gilt aber auch, diese Glaubenszeugen und viele andere Opfer von Gewalt und Willkür, die dem Unrecht widerstanden haben, dem Vergessen zu entreißen. Über ihren Namen soll ihr in Wort und Tat gelebter Glaube in lebendiger Erinnerung bleiben. Wenn wir heute der Menschen gedenken, die der Lüge widersprochen haben, die sich eingemischt haben, die den aufrechten Gang gegen die Unterdrücker gewagt haben, wird deutlich, was von diesem 20. Jahrhundert bleiben wird: Es sind die Namen der Opfer.

2. Wir haben wertvolle Traditionen und Vorbilder, an die wir anknüpfen können. Dietrich Bonhoeffer ist ein Beispiel für eine christliche Widerstandskultur, die ein Land braucht, wenn Gerechtigkeit und Menschlichkeit bedroht von den Mächtigen und zerstört werden. Wichtig ist auch die anschauliche Erinnerung an die vielen anderen, die weniger bekannten, und auch an solche Männer und Frauen, deren Namen schon fast vergessen sind. Totalitäre Herrscher versuchen immer, mit den Menschen zugleich die Erinnerung an ihre Namen auszurotten; es darf ihnen nicht noch nachträglich gelingen, damit Erfolg zu haben. An uns ist es darum nun, die vielen Namen der Zeugen an die kommende Generation weiterzugeben.

3. Zwischen beiden Kirchen gibt es in der theologischen Bedeutung des Märtyrers heute keinen fundamentalen Streit mehr, aber doch gibt es immer noch unterschiedliche Gewichtungen von Aspekten, die ein Martyrium ausmachen. Da gehen die Meinungsgegensätze - wie auch bei anderen Themen - oft quer durch die Konfessionen. Das kann man bei manchen Seligsprechungen aus jüngster Zeit innerhalb der römisch-katholischen Kirche beobachten. Aber auch in unserer Evangelischen Kirche ging der Streit lange hin und her, ob denn Dietrich Bonhoeffer als Glaubenszeuge der Kirche oder "nur" als politischer Märtyrer zu gelten habe. Es ist gut, sich über die Unterschiede im Verständnis von Märtyrern verständigen zu können, um schließlich doch das Gemeinsame höher zu schätzen, als die Differenz. Darum ist es von großer Bedeutung, dass wir dieses "Glaubensbuch" gemeinsam herausgeben. Denn es macht deutlich, dass das Christuszeugnis das Gemeinsame war, was diese Männer und Frauen angesichts der Herausforderungen im Leben und Sterben getragen hat.

An der Schwelle zum neuen Jahrhundert ist der ökumenische Charakter des Rückblicks wichtig für den weiteren Weg unserer Kirchen. In seinem Abschiedsbrief an seine Frau schreibt Helmuth James Graf von Moltke 1945: "... und dann wird dein Mann ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher - das alles ist ausdrücklich in der Hauptversammlung ausgeschlossen, ... sondern als Christ und als gar nichts anderes."

4. Diese Zeugen für eine bessere Welt haben sich ihr Martyrium nicht freiwillig gesucht. Kein Mensch wird zum Märtyrer geboren, kein Mensch kann sich selbst zum Märtyrer machen. Es geht bei Glaubenszeugen gerade nicht um ein selbsternanntes Heldentum. Dietrich Bonhoeffer hat als seine eigene Glaubenserfahrung in seinen Schriften festgehalten, dass wir uns in der Regel unserer Kräfte, unserer Gesundheit, unseres Mutes, unseres Durchhaltevermögens auch im Falle des Widerstehens nie sicher sind und sein können. Und er deutet diese Erfahrung im Lichte der Rechtfertigungslehre: Gott gibt uns die Widerstandskraft nicht im voraus, so betont er, "damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen". Die Überwindung der Angst vor der unmittelbaren Bedrohung ist für ihn und seine Mitchristen im Widerstand gegen Hitler nur unter dieser Voraussetzung möglich gewesen, weil es zur Freiheit des Menschen gehört, dass er nie über eigene, letzte Sicherheiten verfügt. Nur das Vertrauen auf die Gnade Gottes schafft Spielraum in einer gnadenlosen Realität, nur die Hoffnung auf seine Treue hilft, die Angst vor plötzlicher Anfeindung zu überwinden, wenn man die Wahrheit offen ausspricht oder sich dem bösen Treiben verweigert.

Wir müssen die Würde jedes einzelnen Menschen verteidigen gegen die weitverbreitete Tendenz, den Menschen zu einem kleinen, gefügigen Rädchen einer großen Maschine zu machen. Das heißt: Wir müssen den Stammtischparolen widersprechen, die Leben in wertvoll und unwert einteilen wollen. Wir müssen den Sprüchen widerstehen die Ausländer und Flüchtlinge einteilen in nützliche und unnütze. Wenn heute auf Asylsuchende, die ja vielfach in ihren Herkunftsländern Widerstand geleistet haben und dort der Verfolgung gerade entronnen sind, in unseren Strassen Jagd gemacht wird, wenn auf unseren Plätzen wieder Brandsätze gegen Synagogen geworfen werden, dann dürfen wir nicht wegschauen, dann dürfen wir nicht Schweigen.

Darum brauchen wir eine Kultur des Widerstehens. Christlicher Glaube ist keine Privatangelegenheit. Gottes Gnade zielt auf die Erlösung der Welt. Wir müssen darum auch der Resignation widerstehen, wenn wir keine rasche Veränderung spüren. Wir haben gute Vorbilder, denen der Glaube geholfen hat, die eigene Trägheit zu überwinden, bis dahin, dass sie das eigene Leben gewagt haben, um Leben und Zukunft anderer zu retten.

Die in diesem Buch uns nahe gebrachten vielfältigen Lebenswege der Zeugen für eine bessere Welt sind uns darum in ihrer Glaubensstärke Mahnung und Trost zugleich.

Hinweis:
"Zeugen einer besseren Welt - Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts"
hg. von Karl Joseph Hummel und Christoph Strohm
i.A. der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland
Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig 2000
ISBN ISBN 3-374-01812-2

Hannover / Berlin, 1. November 2000
Pressestelle der EKD