Ökumenischer Empfang der Kirchen anlässlich der Berlinale 2015 in der Katholische Akadenie Berlin

Ralf Meister, Landesbishof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

08. Februar 2015

Es gibt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Bischof Dr. Fürst,
lieber Herrn Breinersdorfer,
sehr geehrter Frau Strobel,
sehr geehrter Herr Strobel,
liebe Mitglieder der ökumenischen Jury,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Thomas Mann, an dessen 60igsten Todestag wir in diesem Jahr erinnern, und an dessen Werk uns zahlreiche Filme erinnern, schrieb 1923/24 an einem Drehbuch, damals hieß das noch Filmmanuskript. Es war ein Drehbuch für den Film „Tristan und Isolde“, eine szenische Vorstellung des Epos von Gottfried von Straßburg. Er selbst hielt sich für einen Dilettanten auf diesem Gebiet. Als er das Manuskript fertiggestellt hatte notierte er dazu:

„Die intime und produktive Beschäftigung mit Gottfrieds geistvollem Gedicht, dem ich noch nie so nahegekommen war, hat mir viel Freude und Genuß bereitet, und wenn es meiner Arbeit gelingt, die Abertausende, denen heute das Lichtspiel gleich nach dem täglichen Brot kommt, ihn nahe zu bringen, so will ich zufrieden sein.“

„Das Kino gleich nach dem täglichen Brot.“ das hört der Filmfreund und Theologe gern.

Auf Filmfestivals sieht man viele Filme. Ich hatte das Glück eine solche Erfahrung als Mitglied der evangelischen Jury im vergangenen Spätsommer in Venedig zu machen. Das war reichlich viel tägliches Brot. Ich war satt, lange bevor das Festival zu ende war. Und ich verspürte die Gefahr, dauernd über den Appetit zu essen. Seitdem habe ich viel Bewunderung und Mitleid mit den Kulturredakteuren, die im üppigsten Menü noch zu jeder Stulle eine eigene Geschichte schreiben müssen. Billy Wilder hat  auf der ersten Seite seiner Drehbücher immer die beiden Worte „Cum Dio“ – mit Gott geschrieben. Er habe das von einem Autor, mit dem er in Deutschland zusammengearbeitet habe. (Gewiss nicht von J.S. Bach, der ja mit Soli Deo Gloria seine Kompositionen abzeichnete) Der sagte: „Das kann nicht schaden. Es ist die einfachste Art dieses Ding in den Wolken zu bestechen.“

Ich glaube mit guten Filmen braucht man Gott nicht bestechen. Gott selbst war und ist ein wunderbarer Erzähler. Und er freut sich über gute Geschichten. Er selbst schuf anstößige, hoffnungsvolle und heilsame Stories. Und viele seiner Geschichten schaffen es, so wie es große Literatur immer schafft, mit einer Augenblicksschilderung die Ewigkeit einzufangen. Es entstehen Bildern, die einen nie wieder verlassen. Nirgends sonst geschieht diese Kunst der Ewigkeitssuggestion so kraftvoll wie im Film. Zeiten verwandeln sich, Sekunden werden endlos oder komprimieren die Ewigkeit in einem Bruchteil. Ein Lidschlag und die Welt ist vernichtet. Ein Schnitt und eine neue Welt entsteht. Traumwelten werden wahr und Wahres wird zum Traum.

Gottes Erzählungen sind nie abstrakt. Sie sind immer konkret. Sie ergreifen uns, weil es um eine Beziehungsgeschichte geht. Gott-Mensch, Mensch-Gott, Mensch-Mensch. Und wie im Kino fallen darin alle Zeiten zusammen. Die Geschichte beginnt lange vor unserer Geburt und das Drehbuch hat kein Ende. „Ich kannte Dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete“ (Jer 1,5) „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangenen.“ (Off 21,1) Fortsetzung folgt.

Die Geschichten Gottes sind, wenn einen der Geist dieser Story packt, hochemotional. Walter Murch, der großartige Cutter, Tonmischer und mehrfacher Oscar-Preisträger schrieb in seinen sechs Regeln für den idealen Schnitt als wichtigsten Punkt: „Triff das Gefühl des jeweiligen Moments.“ Das ist die Hauptsache. (W. Murch, Ein Lidschlag, Berlin 2004, S.28) Gottes Stories sind keine dogmatischen Verabredungen, keine Vertragstheorie zwischen ihm und uns Menschen, es ist der faszinierende Zauber einer hochemotionalen Liebesbeziehung.

Als ich nach dem Abschluss der Biennale in Venedig meine Aufzeichnung noch einmal durchlas, war ich überrascht, wie sie strotzten vor Adjektiven. Es war eine emotionale Landkarte geworden, die ich zwischen die Notizen zum Plot, zu den Charakteren, der Kameraführung und Musik und der Drehbuchidee eingeschrieben hatte.

„Erotisch, leidenschaftlich, orgiastisch, pornographisch, wild-zärtlich“, und noch nichts gesagt von der Liebe.

„Brutal, bestialisch, gewalttätig, mörderisch, qualvoll-schockierend“, und noch nichts gesagt von der Hoffnung.

„Anrührend, ruhig, schwebend, träumend, tieftraurig“, und noch nichts gesagt von der Sehnsucht und dem Tod.

Menschen, die lachen und weinen und lustvoll-verzweifelt leben in dieser elend-schönen Welt.
Diese Geschichten, im Kino wie in der Bibel können das tägliche Brot sein, nicht nur, weil sie uns unterhalten, weil sie trösten und ermahnen sondern weil sie uns hoffen lassen auf eine Welt, die uns noch bevorsteht.