Gerechtes Wirtschaften und Homo-Ehe bewegen Kirchentag

Friedensnobelpreisträger Satyarthi fordert soziale Verantwortung der Unternehmen

4. Juni 2015

Kirchentagsfahnen wehen beim 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart (Foto: epd/Arend)

Stuttgart (epd). Forderungen nach einer gerechten Wirtschaftsordnung und die Debatte über die Homo-Ehe haben am Donnerstag den evangelischen Kirchentag geprägt. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, kritisierte in Stuttgart Gier an den Finanzmärkten und regte einen Schuldenerlass für Griechenland an. Bundespräsident Joachim Gauck meldete sich in der Debatte über die Homo-Ehe zu Wort und ließ Sympathie für eine weitere Aufwertung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften erkennen.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) bezeichnete Aussagen der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer "unterirdisch und respektlos". Die CDU-Politikerin hatte die Homo-Ehe in die Nähe von Inzest und Polygamie gerückt. Schwesig sagte auf dem Kirchentag, Familie sei überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernähmen. Sie schloss dabei die sogenannten Regebogenfamilien ausdrücklich ein.

Mit Blick auf ausbeuterische Kinderarbeit in vielen Ländern rief Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi die Wirtschaft zu verantwortlichem Handeln auf. "Wir müssen eine Kultur der sozialen Verantwortung der Unternehmer schaffen", sagte der indische Kinderrechtler in Stuttgart. "Die Globalisierung der Volkswirtschaften und Märkte wird nicht zu einer nachhaltigen Gesellschaft führen."

Die Grünen-Politikerin Renate Künast fordert eine europäische Transparenzinitiative für die Textilbranche. Jeder Bürger müsse die Möglichkeit bekommen, sich über Produktionsstandards und -bedingungen zu informieren, sagte sie beim Kirchentags-Podium "Wie viel Ethik verträgt das Geschäft?".

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm nahm die Politik in die Pflicht. Man müsse verhindern, dass Menschen bei der Produktion von Textilien schutzlos Gefahren ausgeliefert seien. "Wir müssen uns vielmehr als bisher dafür einsetzen, einen international durchsetzbare Rechtsrahmen schaffen", sagte der Theologe.

Die frühere Bischöfin Käßmann führte in einer Bibelarbeit aus, das Erlassen von Schulden sei "biblisches Gebot". "Können nicht auch Staaten frei werden von Schulden?" fragte sie und nannte unter dem Beifall als konkretes Beispiel Griechenland. Sie geißelte die Gier nach Vermehrung von Vermögen und forderte eine "Ethik des Genug".

Unter dem Applaus von fast 10.000 Besuchern sagte sie: "Ich verstehe nicht, warum mit meinem Steuergeld gierige Banken gerettet werden müssen." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) äußerte sich auf dem Kirchentag ablehnend zu einem Schuldenerlass für Griechenland.

Bundespräsident Gauck nannte es nicht in Ordnung, wenn nur die "happy few" - also einige Glückliche - von Reichtum profitierten und keine Verantwortung für andere trügen. Das bedeute aber nicht, dass sich deshalb auch alle anderen aus der Verantwortung nehmen könnten, betonte das Staatsoberhaupt vor rund 10.000 Zuhörern.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) unterstrich in seiner Bibelarbeit, Gewinnmaximierung und hohe moralische Ansprüche ließen sich schwer unter einen Hut bringen. "Es geht um die kluge Nutzung von Geld und Reichtum, es geht um unsere Haltung, um die Prioritäten, die wir uns setzen."

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) rief dazu auf, die sozialen Verhältnisse in Deutschland und der Welt permanent kritisch zu hinterfragen. "Nichts tun und sich in Gegebenes zu fügen, das ist keine Option."

Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, forderte eine abgestimmte deutsche Friedenspolitik. Sicherheits-, Handels- und Außenwirtschaftspolitik sowie Armutsbekämpfung seien nicht kohärent.

Der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag hatte am Mittwoch begonnen. Bis Sonntag nehmen rund 97.000 Dauerteilnehmer an mehr als 2.500 Veranstaltungen teil.

Kirchentagsgeneralsekretärin Ellen Ueberschär sprach am Donnerstag von einer Annäherung der Frömmigkeitsstile im deutschen Protestantismus. Dass der Kirchentag und der theologisch konservativ ausgerichtete "Christustag" in Kooperation stattfänden, sei eine historische Zäsur. Zu dem Treffen kamen rund 8.000 Menschen nach Stuttgart.