Predigt für den 9. Sonntag nach Trinitatis über Galater 3, 26-29

Manfred Kock in Windhoek, Namibia

20. August 2000

aus Anlass des Besuches der Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelischen Kirche im Rheinland

Es gilt das gesprochene Wort.

Der Friede Jesu Christi sei mit euch.

Liebe Brüder und Schwestern!

Lassen Sie mich zunächst die Grüße der Evangelischen in Kirche in Deutschland bringen und auch der Evangelischen Kirche im Rheinland. Im Namen unserer Delegation danke ich für alle Freundlichkeit des Empfangs, für alle Zeichen der Geschwisterlichkeit.
Der christliche Glaube überschreitet menschliche Grenzen über die Kontinente hinweg.

Der Apostel Paulus schreibt an die Galater von der großen Freiheit, von der Wende der Zeit mit Jesus, dem Christus: "Nun ist der Glaube gekommen und wir stehen nicht mehr unter dem Zuchtmeister des Gesetzes, denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes."

Der Glaube hat uns das vermittelt. Ihr seid im Machtbereich Jesu Christi.

Alle in Galatien, die um Glauben kamen, sind Verwandelte, sind in der neuen Wirklichkeit.
Wie es in Galatien war, so ist es in Namibia, so ist es in Deutschland. Wir sind verwandelte Menschen.

Nicht, dass wir plötzlich eine andere Moral hätten. Da lässt manches zu wünschen übrig, nach wie vor. Wir sind gebunden an die Strukturen dieser Welt. Leiden an ihren Schattenseiten, prägen ihre Dunkelheit. Aber wir leben in einer neuen Wirklichkeit, die uns gerade trotz der alten Weltstrukturen frei macht und neue Schritte der Hoffnung gehen lässt.

1.


Die Taufe hat das bewirkt. Sie verbindet uns, uns mit jenen Galatern damals, uns untereinander über die Kontinente hinweg, uns auch miteinander, gleich welcher Konfession und welcher Herkunft wir sind. Wir haben mit der Taufe den Christus angezogen, sagt Paulus, buchstäblich angezogen, wie ein neues Kleid.

Der verlorene Sohn kehrt zurück. Sie kennen diese Geschichte alle. Er erhält ein neues Kleid, er wird neu angezogen und bekommt den Ring zum Zeichen dafür, dass er wieder Sohn ist.

"Von den Toten ist er zum Leben erweckt", sagt der Vater. Er muss nicht mehr Tagelöhner sein, das hätte ihm zwar gereicht nach seinem verpfuschten Leben, bei den Schweinen. Er ist wieder Sohn, und ein Fest wird gefeiert, trotz des Protestes seines rechtschaffenen älteren Bruders.

In der Taufe haben wir Christus angezogen. Wenn die Kirchen verschiedene Konfessionen in ihrer Taufe anerkennen, dann wäre das ein gutes Zeichen, es würde die Realität bewusst machen, die sakramentale Realität. Eine solche Anerkennung würde nichts Neues mit uns machen. Sie würde nur deutlicher bekennen, was ist: Wir haben Christus angezogen mit unserer Taufe. Wir sind Glieder seines Leibes geworden. Wir sind in Christus: Sakramental, wirklich, nicht moralisch, nicht dogmatisch, nicht von unserer Gesinnung her. Unser altes Sein ist viel mehr verwandelt. Wir gehören auf die Seite Gottes.

2.


Der neue Mensch sind wir im Glauben, der macht uns zu Söhnen und Töchtern, nichts sonst. Weder unsere Geburt noch unsere Hautfarbe, wir sind Söhne und Töchter im Anbruch der großen Freiheit. Wir müssen genau hinhören, was Paulus da unter Glauben versteht. Denn das ist uns meistens vernebelt, weil wir die Wolken und Lasten unserer Zuchtmeister vor allen Sinnen haben. Wir deuten Glauben als Konfession, als dogmatisches Konstrukt. Das erleben wir meistens nicht als Freiheit, sondern als eine beschwerliche Last.

Was müssten wir nicht alles glauben, wenn der Glauben nur aus Lehrsätzen bestünde.

Wir deuten den Glauben als unseren persönlichen Status, als unser jeweiliges religiöses Bewusstsein. Und das erleben wir eher als unzulänglich, und wenn nicht, dann als ausgrenzend, vor allem wenn wir noch die moralische Messlatte anlegen.

Stattdessen zeigt der Apostel Paulus. Das alles ist der Glaube nicht, er ist kein Gesetz, das zu erfüllen wäre, keine Moral, der zu folgen wäre, kein seelisches Bewusstsein, das man pflegen könnte.
Gerade das ist alles abgelöst, weil Gott JA zu uns Menschen sagt, weil der Vater schon gewartet hat an der Tür auf den Heimkehrer und ihn in die Arme schließt.
Glauben ist Verwandlung, ist eine neue Wirklichkeit, macht aus Knechten Söhne und Töchter. Eine neue Schöpfung, sagt der Apostel Paulus an anderen Stellen. Der Glaube macht uns zu Gliedern am Leibe Christi.

Gottes Geist selber schenkt uns diesen Glauben. Er setzt die neue Wirklichkeit, ebenso gewiss wir getauft sind. Nun sind wir frei, brauchen nicht mehr zu jagen nach gesellschaftlichem Status, nach Anerkennung durch Menschen um uns herum. Das Evangelium stellt uns auch frei von unseren konfessionellen Zwängen. Wir müssen die Einheit der Kirchen nicht machen, sie ist in Christus aufgehoben. Das ist eine Botschaft gegen alle ökumenische Resignation, die uns manchmal befällt, wenn wir sehen, wie vieles stagniert oder manches sogar rückwärts geht.

3.


Nun sind wir nicht mehr Jude oder Grieche, nicht mehr Sklave oder Herr, nicht mehr Mann oder Frau. Das ist die neue Wirklichkeit des Leibes Christi. Wir sind nicht mehr unseren Unterschieden entsprechend in der Wirklichkeit Gottes, sondern wir gehören zu ihm. Wir sind ein Teil geworden von seiner Wirklichkeit.

Das ist das Kennzeichen der neuen Zeit, der neuen Schöpfung. Was diese Wirklichkeit angeht, so sind wir nicht mehr gefangen und isoliert in unseren individuellen Unterschieden, wir sind vielmehr miteinander verbunden und sind eins.

Juden und Griechen, das sind Begriffe, die stehen bei Paulus als unterschiedliche Lebensentwürfe. Sie sind in Christi neuer Wirklichkeit aufgehoben. Sie hindern mit ihren Unterschieden die Einheit nicht mehr. Auch unsere konfessionellen Unterschiede sind im Leibe Christi aufgehoben, und das hängt nicht davon ab, ob einer uns das Amt nicht bestätigt oder wir es gegenseitig anerkennen, sondern ob wir es uns selber zu sagen trauen, für uns, ob wir es dem anderen zubilligen, dann sind wir eins.

4.


Wir sind auf dem Wege der Erkenntnis der neuen Wirklichkeit. Wo Menschen zusammen kommen, unterscheiden sie sich voneinander, das bleibt auch so.
Wer wollte wohl aufhören, Mann oder Frau zu sein.
Wer wollte wohl seine Hautfarbe umfärben.
Wer will bestreiten, dass der gesellschaftliche Status uns Menschen unterscheidet.
Wer wollte verdrängen, dass wir in unseren Suchbewegungen, in unseren unterschiedlichen Lebensentwürfen und Glaubenseinstellungen auch unterschiedlich sind.
Wer wollte wohl bestreiten, dass wir unterschiedlichen Kirchentümern leben, weil wir in unterschiedliche Formen hineingeboren wurden.
Wer wollte wohl aufhören, Jude oder Christ oder gar katholisch oder Protestant zu sein oder orthodox.

All diese Unterschiede hören nicht auf, aber darin sind wir nicht exklusiv, sind wir nicht voneinander getrennt. Christi Liebe ist nicht die Sympathie mit Gleichgesinnten, sie ist die Verwandlung von Fernen und Nahen, von Verlorenen und Wiedergefundenen. Wir sind in all dem unterwegs auf dem Weg der Erkenntnis, und wir haben auf diesem Weg eine neue Orientierung: Wir sind eins in Christus. Je einzeln können wir uns als verschiedene Glieder am Leibe Christi anerkennen. Durch das Wunder der gleichen Bibel sind wir geboren, und im Elfenbeinturm der Konfessionalisten müssen wir nicht stecken bleiben.

Das Ziel der ökumenischen Mühen ist nicht die organisatorische, die rechtliche, die dogmatische oder liturgisch einheitliche Kirche. Ziel ist vielmehr die Vielfalt. Wir können sie als Reichtum begreifen, wenn wir das Bekenntnis der Einheit dem Christus überlassen und uns in den Unterschieden als "an einen Leib verbunden akzeptieren". Das Ziel ist also, einander anzuerkennen, als in der Taufe Gottes miteinander verbunden. Heraus aus dem Rudel- und Herdendenken hin zu einer offenen Kirche unterwegs. Konziliar, d. h., sich im gleichen Christusleib wissend und das Fragen dabei nicht aufgeben. Verwunderungen und die Rätsel und den Auftrag auf dem Weg des gemeinsamen Hörens und unterschiedliche Antworten dürfen wir zulassen.

5.


Zum Christus gehören, das heißt, wir sind Abrahams Kinder nach der Verheißung, wir sind Erben, wir sind einbezogen, wir sind nicht abgelöst, wir sind einbezogen in Gottes Ja-Wort, und dann können wir den Weg der Freiheit gehen. Wir nehmen uns an, wie wir sind, weil wir angenommen sind. Wir leben im Vertrauen Gottes und leben unsere Gemeinschaft als soziale Realität. Dann sind die anderen nicht betrogen, sondern auch sie sind Söhne und Töchter Gottes. Gott bietet uns durch Christus, durch sein Kreuz die geöffneten Arme. Der macht aus Knechten Söhne und Töchter des Vaters.

Amen