Ansprache zum 175jährigen Jubiläum der Deutschsprachigen Gemeinde in Athen, Deutsche Botschaft

Bischof Martin Schindehütte, Ökumene und Auslandsarbeit der EKD

14. Oktober 2012

Sehr geehrter Herr Botschafter Dold,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe ökumenischen Gäste,
liebe Schwestern und Brüder,

im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland grüße ich Sie herzlich und teile mit Ihnen Dank und Freude anlässlich dieses Jubiläums der Gemeindegründung vor 175 Jahren. Dieses tue ich mit besonderem Nachdruck auch im Namen des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, der es sehr bedauert, dass er aus gesundheitlichen Gründen dem Jubiläumswochenende nicht wie ursprünglich geplant beiwohnen kann. Diesen Grüßen schließt sich auch die Leiterin der Auslandsarbeit, OKRin Dine Fecht, an.

Danken möchte ich Ihnen, sehr geehrter Herr Botschafter, dass wir zu diesem freudigen Anlass heute Abend Ihre Gäste sein dürfen. Ein besonders schönes Zeichen für das enge Verhältnis mit der evangelischen Kirche deutscher Sprache hier in Athen.

Die Gemeinde hat eine sehr bewegte Geschichte, in der ihr durch die Zeiten hindurch immer wieder politische und wirtschaftliche Verhältnisse viel abverlangt haben. Aber es gab immer auch Menschen, die der Treue und Hilfe Gottes vertrauten und sich ermutigen ließen an dieser Gemeinde weiter- oder neu zu bauen.

Sie waren und sind dabei getragen von der Zusage Gottes, dass da, wo jemand mit den Herausforderungen seines Lebens, seines Alltags kämpft, Christus nur eine Handbreit neben ihm steht. Gott wendet sich den Menschen zu – auch wenn es nicht immer so aussieht – weil er sie liebt: „ Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Auf dieser Zusage aus dem Johannesevangelium, Kapitel 3, Vers 16, die im Fenster über dem Altar Ihrer Kirche zu lesen ist, beruht nicht nur die Zukunft der Gemeinde. Es ist die Grundlage und Quelle des christlichen Lebens überhaupt und sie gilt: weltweit!

In diesem lebendigen Wort Gottes liegt die begründete Hoffnung, die uns Christinnen und Christen immer wieder die Freiheit und den Mut gibt, unsere Welt aktiv mitzugestalten. So wie Sie sich als christliche Gemeinde mit dem Haus Koroneos um alte und bedürftige Menschen kümmern oder Deutsche unterstützen, die in der Krise dieses Land verlassen müssen.

Die Begleitung von Menschen, die besonders unserer Hilfe bedürfen, die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Institutionen und Einrichtungen vor Ort und die ökumenischen Beziehungen hier in Athen sind ein Zeugnis dafür. Dafür können wir gerade heute gemeinsam dankbar sein und dies auch gemeinsam feiern! Ich weiß um die große diakonische und caritative Aufgabe, die die Kirchen – selber in durch die wirtschaftliche Entwicklung im Lande unter Finanznot - im Blick auf die große soziale Not vieler Menschen leisten müssen. Ich weiß, dass von den Kirchen in Deutschland schon Unterstützung geleistet wird. Ich sehe Möglichkeiten, Sie in Ihrer Arbeit auch etwa
durch das Programm „Kirchen helfen Kirchen“ zu unterstützen.

Wie jede Kirchengemeinde wird erst recht eine Gemeinde im Ausland unter den Bedingungen der „Fremde“ in besonderer Weise eine eigene Identität herausbilden, die sie in gut evangelischer Grundorientierung aus dem Umgang mit der biblischen Tradition, aus dem Gottesdienst und der Gemeinschaft im Abendmahl gewinnt. Damit wird sie zum kritischen Gegenüber der gängigen Wertmaßstäbe und Ideologien unserer Zeit. Zugleich aber bleibt sie gerade darin in verantworteter Freiheit der Welt und ihren zentralen Lebensfragen zugewandt. Eine christliche Gemeinde schaut über den Tag hinaus, denn sie hat eine Hoffnung über alle Grenzen und Zeiten hinweg.

Dieser Hoffnung vertrauen wir gerade auch in einer Zeit, in der Frieden, Gemeinschaft und Versöhnung gefährdet sind. Griechenland befindet sich seit Monaten in einer tiefen Krise, wirtschaftlich und sozial und sie trifft die schwächsten Bevölkerungsgruppen unbestritten am Härtesten. Die Menschen in diesem Land, besonders auch die jungen Menschen, leiden nicht nur materiell. Sie verzweifeln und haben kein Vertrauen in die Zukunft mehr. Es geht Angst geht um in Griechenland: vor dem Bankrott des Landes, vor weiteren Einsparungen, vor Arbeitslosigkeit, vor sozialen Unruhen und vor Isolation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

Die breite Anerkennung, dass Griechenland seinen Bürgerinnen und Bürgern schon enorme Anstrengungen abverlangt hat, um einen Weg aus der Krise zu finden, bleibt aus oder kann nicht gehört werden. Die Überzeugung fehlt, dass nur ein längerfristiges Entschuldungsprogramm und - neben der überbrückenden Finanzierungshilfe und der Durchführung dringend notwendiger Strukturreformen - ein für die griechische Bevölkerung spürbares Investitionsprogramm weiterhelfen kann.

Bestehende Ungleichheiten dürfen sich im Zuge der Krisenbewältigung nicht weiter vertiefen. Sonst besteht die Gefahr, dass Populisten und Extremisten weiter Zulauf bekommen. Aufkeimender Fremdenhass und sich häufende Übergriffe auf Migranten sind Vorboten einer Entwicklung, der es entschieden entgegenzutreten gilt.

Zugleich ist jedoch nun wohl jedem klar. Es geht längst nicht nur um Griechenland. Es geht um ganz Europa. Und die Krise hat auch nicht allein ihren Ausgangspunkt in Griechenland. Sie betrifft ganz Europa. Ihre Anlässe und Ursachen sind vielfältig. Sie liegen auch in grundlegenden Entscheidungen, Fehleinschätzungen und Versäumnisen.

Es geht auch nicht nur um Wirtschafts- und Finanzfragen. Es um die Frage nach gerechtem Wirtschaften, um Solidarität unter den Menschen in Europa und unter den Mitgliedsländern. Es geht um einen Lebensstil, der die Bedingungen nicht zerstört, von denen er lebt. „Europa ist nicht nur eine Währung“, so hat es in diesen Tagen der deutsche Schriftsteller Martin Walser formuliert. „Die Europäische Union hat ihren Preis. Europa aber hat vor allem einen Wert“. Heißt es in einer Erklärung, die von Rat der EKD in der kommenden Woche veröffentlichen wird. Europa ist ein Projekt der Versöhnung, in der die Vielfalt in einer übergreifenden Einheit ihr Recht behält. Europa ist ein Raum, in dem nach dem Prinzip der Subsidarität gesellschaftliche und politische Verantwortung auf den verschieden Ebenen belassen aber demokratisch aufeinander bezogen ist. Europa ist ein Friedensprojekt. Darum ist gut, dass die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten hat. Es lässt uns von den bedrängenden Problemen aufblicken und sehen, worum es im Kern geht.

Europa hat eine Geschichte, die aus tiefen Konflikten und Kriegen, zu Versöhnung und Frieden geführt hat. Das gilt auch für das deutsch-griechischen Verhältnis. Die bewegte Geschichte der evangelischen Kirche deutscher Sprache in Athen ist dafür ein Beispiel. So wie sich die Gründung der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde politischen Verhältnissen verdankt, so zeigt die wechselhafte Geschichte der Gemeinde und der Menschen, die in ihr leben, bis heute die vielen kulturellen, sozialen und politischen Verbindungen unter den Ländern. Diese zeichnen sich einerseits aus durch Vertrauen und Freundschaft , andererseits aber – wenn wir an die Besatzung durch das Nazi-Deutschland und seine Folgen denken – leider bis heute immer noch durch tiefe Verletzungen. Mit dem Engagement der Gemeinde gerade auch in dieser Zeit fördern Sie Verständigung und Versöhnung. Die deutsch-griechischen Familien, aus denen ein guter Teil der Gemeinde besteht, geben ein gelebtes Zeichen interkultureller Verständigung in schwierigen Zeiten. Indem Sie an den Sorgen der Menschen in Griechenland teilhaben und einander helfen, baut die Gemeinde Brücken im Prozess der europäischen Verständigung.

Die Evangelische Kirche tritt dabei für den Zusammenhalt in Europa ein und warnt vor populistischen Tendenzen. Der Ratsvorsitzende und andere führende evangelische Vertreter haben in öffentlichen Äußerungen an den europäischen Gedanken von Frieden und Versöhnung erinnert und die soziale Dimension der Krise in den Vordergrund gestellt.

Es darf kein Bild von Europa entstehen, in dem für Solidarität kein Platz mehr ist und in dem soziale Gerechtigkeit dem erhofften maximalen Profit einer freien Marktwirtschaft geopfert wird.

Die evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) haben sich bereits 1973 in der Leuenberger Konkordie dazu verpflichtet, gemeinsam für irdische Gerechtigkeit und Frieden zwischen den einzelnen Menschen und unter den Völkern einzutreten. Diese Verpflichtung wurde in einer Stellungnahme zur Verantwortung der Kirchen für Europa in der 7. Vollversammlung, die unter dem Motto ´Frei für die Zukunft – Verantwortung für Europa` am 26. September in Florenz zu Ende gegangen ist, noch einmal bekräftigt. Diese Freiheit verdankt sich dem Zuspruch Gottes in Jesus Christus. Die Botschaft von Jesus Christus begründet Vertrauen und macht frei zu verantwortlichem Dienst in der Welt.
In der gegenwärtigen europäischen Krise haben viele Menschen Angst vor der unmittelbaren Zukunft. Viele Menschen in Europa sind betroffen von Arbeitslosigkeit, sinkenden Einkommen, gekürzten Sozialleistungen, staatlichen Sparmaßnahmen bei der Finanzierung öffentlicher Güter und wachsender Armut. Besonders betroffen macht die extrem hohe Arbeitslosigkeit junger Menschen in vielen Staaten. Die tiefsitzende Sorge um ihre Existenz und ihre Perspektivlosigkeit treibt viele Menschen auf die Straßen.

Die Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa ist sich bewusst, dass es in dieser Kriese keine einfachen Antworten und nicht den einen Königsweg einer Lösung gibt, zumal die europäische Wirtschaft und Finanzwirtschaft mit der Weltwirtschaft eng verflochten sind. Auch möchte die Vollversammlung den politisch Verantwortlichen, die unter enormen Druck stehen und die Last, eine schwerwiegende Verantwortung für die Zukunft zu tragen haben, ihren Respekt bezeugen und ihrer Fürbitten versichern.

Innerhalb unserer Länder, aber auch weltweit, öffnet sich die Schere zwischen arm und reich. Die Opfer der Krise leben nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Erde. Alle Lösungsvorschläge und Entscheidungen müssen sich aber daran messen lassen, wie sie den betroffenen Menschen und Gesellschaften helfen sowie den europäischen Einigungsprozess und weltweite Solidarität fördern.

Es gilt, in der fortdauerenden Krise neue Gestaltungsspielräume für eine gerechtere, solidarische und friedliche Gesellschaft zu gewinnen.

Und es gilt, das Recht auf nationale Selbstbestimmung und auf Wahrung berechtigter nationaler Interessen von einem Nationalismus zu unterscheiden, der zu Konkurrenz und Feindschaft zwischen den Völkern und zur Unterdrückung von ethnischen Minderheiten führt. Der europäische Einigungsprozess ist gerade gegen den Nationalismus des 19. Jahrhunderts und seine schrecklichen Folgen im 20. Jahrhundert entstanden. Daher sind evangelische Kirchen diesem Prozess verbunden und unterstützen ihn.
Die Europäische Union hat bislang einen wichtigen Beitrag zu Frieden, Freiheit und Wohlstand in Gerechtigkeit in Europa geleistet. Diesen Zielen weiß sich auch die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa verpflichtet. Sie möchte die Partnerschaften von Kirchen und Kirchengemeinden und die Solidarität unter ihnen quer durch Europa stärken. Gerade in dieser Zeit sind kirchliche Partnerschaften und ökumenische Zusammenarbeit von ganz besonderem Wert für das Miteinander in Europa, für Verständigung und Zusammenhalt inmitten der Krise.

„ Also hat Gott die Welt geliebt…“

Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – wie die Globalisierung, der Klimawandel, der demografische Wandel, die Veränderungen in der Weltwirtschaft, der politische Transformationsprozess in den Nachbarregionen Europas – verlangen nach einem freien und geeinten Europa, dessen Bereitschaft zur Solidarität nicht an den Grenzen einzelner Staaten endet und über die Grenzen Europas hinausreicht.

Mit Ihrem unermüdlichen Engagement als Gemeinde, Ihrer internationalen Aufgeschlossenheit und ökumenischen Weite ermöglichen Sie in einem zusammen-wachsenden Europa ein Zusammenleben der Menschen in versöhnter Verschiedenheit.

Dafür sage ich Ihnen im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland am heutigen Tage herzlichsten Dank!

Vielfältige und verantwortungsvolle Aufgaben liegen auch zukünftig in den Händen ihrer Gemeinde und denen, die mit ihr verbunden sind. Die Hoffnung und Kraft, die aus der Zusage unseres Gottes kommt, dass er die Welt liebt, und der Friede Gottes, der grenzenlos ist und unser Vermögen übersteigen, begleite Sie alle und mache uns in unserem Reden und Tun zu lebendigen Zeugen seiner Gnade.

Ich freue mich Ihnen, sehr geehrter Herr Botschafter, und Ihnen und unseren ökumenischen Gästen diesen Text überreichen zu können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.