Auf dem Weg zu einem Gerechten Frieden? Anmerkung zur Ausrichtung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik aus friedensethischer Sicht, Evangelischen Akademie in Bonn

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

10. Oktober 2011

Wir sind uns einig: Friedensethischer Grund- und Leitbegriff der Evangelischen Kirche im Rheinland wie der EKD ist der „Gerechte Friede“. Wir sagen gemeinsam: Wer den Frieden will, muss den Frieden, und zwar einen gerechten Frieden vorbereiten und für Frieden und Gerechtigkeit arbeiten. Wer den Frieden will, darf keine Unrechtsstrukturen tolerieren und weder offen noch heimlich militärische Gewalt vorbereiten oder ausüben.

Frieden ist mit der EKD-Denkschrift von 2007 als ein „Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit“ zu verstehen. Friedensfördernde Prozesse sind innerstaatlich und zwischenstaatlich „auf die Vermeidung von Gewaltanwendung, die Förderung von Freiheit und kultureller Vielfalt sowie auf den Abbau von Not“ ausgerichtet.

Gerechter Friede ist nicht gleichzusetzen mit Unverwundbarkeit und absoluter Sicherheit. Wohl ist Sicherheit ein ur-menschliches alltägliches Bedürfnis. Wir wissen aber aus unserer täglichen persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Erfahrung, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Wir leben immer mit Unsicherheiten. Es gibt „Fenster der Verwundbarkeit“ (Ronald Reagan), die wir nicht einfach schließen können. Sicherheit ist ein Aspekt von Frieden, aber Frieden ist immer mehr als Sicherheit. Der Versuch, alle „Fenster der Verwundbarkeit“ zu schließen, ist aussichtslos und ruinös.

Es gibt keinen Frieden, wenn Sicherheit die höchste Priorität hat. Deshalb wehren wir uns als Christenmenschen, die in Gott geborgen sind, gegen die „Versicherheitlichung“ von allen Lebensbereichen und Politikfeldern. Gerechter Friede ist immer auch ein Wagnis. Man muss Frieden wagen, wie man auch Vertrauen wagen muss. Ich erinnere an Dietrich Bonhoeffers Satz auf Fanö 1934: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit“. Wenn wir Gerechten Frieden gestalten wollen, dann tun wir das unter allen Bedingungen von Unsicherheit, Verletzbarkeit und Verwundbarkeit, die zu unserem Leben gehören und die uns aufgegeben sind.

Im Folgenden gehe ich ein auf unterschiedliche Sicherheitskonzepte, auf Afghanistan und auf Libyen, und komme abschließend zu einigen aktuellen Herausforderungen.

1. Unterschiedliche Konzepte von Sicherheit

Die Erarbeitung der Argumentationshilfe „Ein Gerechter Friede ist möglich“ war ein Auftrag der Landessynode 2004. Der Text wurde vor sechs Jahren (im November 2005) veröffentlicht. Er setzt sich mit traditionellen Konzepten von Sicherheit auseinander. So problematisiert er den Begriff der „erweiterten Sicherheit“, wie er dem 1999 von der Nato beschlossenen „Neuen strategischen Konzept“ zugrunde liegt, von der rot-grünen Bundesregierung aufgenommen und in der europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 sowie in den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 entfaltet ist. In diesem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht 1994 auch die Rolle der Bundeswehr verfassungsrechtlich geklärt durch ein Urteil, das den Somalia-Einsatz als Out of Area-Einsatz im Rahmen einer „humanitären Intervention“ für rechtmäßig erklärte. Dieses Urteil ist verfassungsrechtlich und friedensethisch unter dem Gesichtspunkt des Friedensgebotes des Grundgesetzes (Helmut Simon) umstritten.

Abweichend davon geht der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ der Bundesregierung von 2004 von einem ausdrücklich zivil orientierten Begriff der erweiterten Sicherheit aus, der sich auf politische, ökonomische, ökologische und soziale Stabilität richtet. Er enthält folgende Kriterien: Achtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfindung, Bewahrung natürlicher Ressourcen, Entwicklungschancen in allen Weltregionen, die Nutzung friedlicher Konfliktlösungsmechanismen.

Im kirchlichen Bereich präferieren wir eine andere Wortwahl und reden von einem  Konzept „menschlicher Sicherheit“. Der Ansatz für dieses Konzept wurde 1994 im Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen sehr weit und prozesshaft definiert im Blick auf das Wohlergehen des einzelnen Menschen und seiner Lebensinteressen. Wo diese bedroht sind, sind sicherheitsbildende Prozesse im Sinne von politischer, ökologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Stabilisierung erforderlich.

Ziel ist der Schutz einzelner Menschen vor Not und vor Gewalt. Dieser Schutz wird als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft und der einzelnen Staaten identifiziert. Dahinter liegt die Vorstellung, dass die Würde des Menschen grundsätzlich unantastbar ist. Das UN-Konzept der menschlichen Sicherheit hat aber auch sehr konkrete Vorstellungen, nämlich die Absicherung gegen chronische Bedrohungen wie Hunger, Krankheiten und Unterdrückung, den Schutz vor Bedrohungen des täglichen Lebens und vor Not, die Einhaltung von Menschenrechten und die Gewährung von Rechtssicherheit.

Die Denkschrift der EKD knüpft hier an. Sie formuliert: „Die im UN-Bericht 1994 vorgenommene Verknüpfung des Konzeptes menschlicher Entwicklung mit dem Konzept menschlicher Sicherheit hebt auf Sicherheitsbedürfnisse der Menschen in ihrem Alltagsleben ab und basiert auf der Idee, dass es zu den Aufgaben der Staaten und der internationalen Gemeinschaft gehört, die einzelnen Menschen sowohl vor Gewalt als auch vor Not zu schützen“. Menschliche Sicherheit ist also nicht unter dem Primat des Militärischen zu gewinnen, sondern sie erbaut sich aus Diplomatie und Politik, Recht und Gerechtigkeit, Rücksichtnahme und Kompromiss, Augenmaß und Mäßigung. Dieser Ansatz unterscheidet sich von herkömmlichen anderen politischen Entwürfen, denen es um die Sicherheit von Staaten geht.

Das Konzept der „vernetzten Sicherheit“, seit 2009 im Koalitionsvertrag der CDU/CSU/FDP- Bundesregierung als sicherheitspolitische Leitlinie festgelegt, gehört auf den Prüfstand – diese Forderung des aktuellen Friedensgutachtens nehme ich auf. Das Konzept hat einen starken militärpolitischen Akzent; es bezieht viele Politikfelder ein, und es will zivile Prozesse integrieren. Dies ist gedacht unter dem Primat einer militärisch zu sichernden Sicherheit. Sabine Jarberg von der Führungsakademie der Bundeswehr kritisiert die Ambivalenz dieses Konzeptes. Ich erinnere daran, wie im Mai 2006 Bundesverteidigungsminister Jung vernetzte Sicherheit mit zivil-militärischer Zusammenarbeit gleichsetzte (FAZ 02.05.2006) und damit den Eindruck erweckte, es gehe darum, zivile Maßnahmen zu militarisieren. Wenn das gewollt wäre, müssten wir uns als Kirchen mit allen Mitteln dagegen verwahren.
Aus kirchlicher Sicht ist festzustellen: Bewaffnete Gewalt kann nur unter sehr beschränkten Bedingungen überhaupt Hilfe zur Problemlösung sein. Wir brauchen Konzepte, die unter dem Primat des gewaltfreien Handelns stehen. Zivile Strukturen müssen deshalb die Priorität haben. Militärische Strukturen können allenfalls zugeordnet werden. Evangelische Entwicklungsorganisationen bestehen wie andere NGOs darauf, in Krisengebieten unabhängig und unparteiisch zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund sind sie für eine Kooperation mit dem Militär, bei der dieses die Rahmenbedingungen zivilen Handelns definiert oder das zivile Handeln instrumentalisieren möchte, nicht zu gewinnen. Ebenso denken Friedensorganisationen.

Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen unter der Absicht stehen, Frieden und Sicherheit zu wahren und zu fördern. Sie brauchen die Grundlage eines kohärenten Friedens- und Sicherheitspolitischen Gesamtkonzeptes unter dem Primat des Zivilen (DS Ziffer 118, 149f). Das ist die Absage an den Primat des Militärischen (prinzipiell), aber auch Skepsis gegenüber dem Konzept „Vernetzte Sicherheit“, das aufgrund mancher Unklarheit und Diffusität viele Fragen aufwirft.

Die Friedensdenkschrift der EKD nennt die Kriterien für eine Rechtfertigung von militärischen Auslandseinsätzen: Erlaubnisgrund, Autorisierung, richtige Absicht, äußerstes Mittel, Verhältnismäßigkeit der Folgen, Verhältnismäßigkeit der Mittel, Unterscheidungsprinzip (Ziffer 102). Sie stellt heraus, dass alle Kriterien erfüllt sein müssen (Ziffer 103).

„Kann und soll es Prüfungskriterien geben, einschließlich der Kriterien aus der Lehre vom gerechten Krieg, die es rechtfertigen, die Souveränität eines Staates durch gewaltsame Interventionen seitens eines anderen Staates oder einer völkerrechtlichen Autorität zu verletzen?“ So fragt die rheinische Arbeitshilfe und nähert sich damit der Frage, ob oder unter welchen Kriterien der Einsatz von Gewalt zur Herstellung und Bewahrung von Menschenrechten zulässig ist  (Seite 13, 3.1.2 letzter Absatz).

Politisch geht es um sogenannte humanitäre Interventionen und um die Überlegungen und Beschlüsse zur Schutzpflicht für gefährdete Bevölkerungsgruppen. Dazu sagt die EKD-Denkschrift: Wenn es um Genozid geht, um Mord an ethnischen Minderheiten und Gruppen, um ethnische Vertreibungen, kollektive Folter und Versklavung, kann militärisches Eingreifen gerechtfertigt sein. Darüber hinaus müssen auch alle anderen Kriterien rechtserhaltenden Gewaltgebrauchs erfüllt sein (DS Ziffer 112).

Für die Militäreinsätze der Bundeswehr haben wir eindeutige rechtliche Vorgaben. Die Regierung unterbreitet einen Vorschlag für einen Auslandseinsatz, über den das Parlament abstimmen muss. Dies ist eine Stärke unserer Demokratie.

Der Auftrag der Bundeswehr ist in unserem Grundgesetz beschrieben, und zwar nach Art. 87.a hinsichtlich der Landesverteidigung, nach Art. 24 hinsichtlich des Erfüllens von Bündnisverpflichtungen und internationalen Verträgen. Seitens der Bundesregierung wird diese Bündnisverteidigung – nicht unwidersprochen - auch als Landesverteidigung ausgelegt (de Maizière / DEKT 2011).

Nach meiner Auffassung brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, welche Rolle die Bundeswehr im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Rahmen der Vereinten Nationen übernehmen soll. Ob dies eine Veränderung des Grundgesetzes durch ein Bundeswehr-Aufgabengesetz erforderlich macht, ist in einem zweiten Schritt zu klären.

Ich bejahe eine kollektive Schutzverantwortung, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen massivster Art einzudämmen (s. o.), wie sie gerade in scheiternden oder gescheiterten Staaten auftreten können, also auf der Basis des rechtlichen Rahmens, den die Vereinten Nationen mit „Responsibility to Protect“ (2005) gesetzt haben. Bei aller Kritik ist zu betonen, dass die „R2P“ drei Aufgaben umfasst: als wichtigste die Prävention (prevention), dann den Wiederaufbau (rebuild), erst im Notfall gewaltförmiges Eingreifen (reaction). Erforderlich ist ein internationales Mandat.

In der EKD-Denkschrift werden als weitere Kriterien genannt: eine ausgearbeitete Interventionsstrategie, die Verhältnismäßigkeit der Mittel, eine realistische Einschätzung des Zeitrahmens, der für eine wirtschaftliche und politische Aufbauarbeit erforderlich ist, und zwar in Verbindung mit Ausstiegsszenarien.

Die Friedensdenkschrift der EKD hält militärische Gewalt und damit Krieg als Ultima Ratio für denkbar, wenn es dafür einen Rechtsrahmen gibt, d.h. ein Mandat der Vereinten Nationen. Wir sehen die Problematik dieser Forderung und halten es für notwendig daran zu arbeiten, dass ein solches Mandat vom Sicherheitsrat ausgeht und eine besondere Legitimation behält, damit der polizeiliche Charakter dieser Einsätze stärker betont werden kann.

2. Afghanistan

Zu Afghanistan habe ich schon oft Stellung genommen. Hier bleibt es dabei: Im Blick auf Afghanistan fordern wir seit Jahren eine klare Exit-Strategie. Sie kann nur gelingen, wenn in Kooperation mit einer von der Bevölkerung legitimierten afghanischen Regierung ein internationales Wiederaufbauprogramm für dieses Land realisiert wird. Ein erfolgreicher Demokratisierungsprozess kann nur von der afghanischen Bevölkerung selbst ausgehen und umgesetzt werden, weil die „local ownership“ zu respektieren ist. Gestritten werden kann über die gegenwärtige offizielle Strategie der Counterinsurgency bzw. zivil-militärische Aufstandsbekämpfung (COIN), die eine Grundlage des ISAF-Einsatzes ist und deren Absicht in der Zustimmung und Loyalität der Bevölkerung nach der Bekämpfung der Aufständischen mit militärischen Mitteln liegt. Hier liegt eine Mischung ziviler und militärischer Mittel vor.
Für die Bundeswehr ist ein geordneter und stufenweiser Rückzug aus Afghanistan in Abstimmung mit den internationalen Kräften vorgesehen; die Regierung spricht von einer „Übergabe in Verantwortung“.

Nach meiner Auffassung ist es notwenig, den in Afghanistan erforderlichen zivilen Aufbau durch den Bundestag zu mandatieren. Er braucht einen unabhängigen Auftrag und ist mit den notwendigen Ressourcen auszustatten.

3. Libyen

Aus der Perspektive der EKD-Denkschrift ist die Entscheidung der Bundesregierung nachvollziehbar, sich an dem internationalen Einsatz in Libyen nicht zu beteiligen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch z.B. in den USA wurde die Frage gestellt, ob es Alternativen zu dem Militäreinsatz in Libyen gegeben hätte, z.B. durch Sanktionen, durch eine Unterbrechung der Geldströme an Libyen bzw. an die Gaddafi-Regierung oder durch eine Seeblockade mehrerer Staaten. Offensichtlich wurden im Vorfeld nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die nicht militärischer Natur waren.

Die UN-Resolution 1973 des Sicherheitsrates vom 17. März 2011 ermöglichte es der NATO, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ... um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete … zu schützen.“  Dieses unklare Mandat ist extensiv ausgelegt worden. Der Nato-Einsatz in Libyen belegt erneut, dass eine klare Zielstellung ebenso erforderlich ist wie ein klares Konzept für die Beendigung einer solchen Intervention.

Im Blick auf die Kriterien der EKD-Denkschrift kann man feststellen, dass die Kriterien UN-Mandat sowie humanitäre Gründe als Erlaubnisgrund vollständig oder überwiegend erfüllt sind, wohingegen die Erfüllung der anderen Kriterien fraglich ist (vgl. Ziffer 112).

4. Weitere aktuelle Herausforderungen

Der Umbau der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee hat in der Kirche zu einigen Fragen geführt. Das Konzept „Bürgerinnen und Bürger in Uniform“ und der „Inneren Führung“ hat sich als tragfähig erwiesen; die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft. Die Bundeswehr steht unter dem Primat der Politik; sie ist Teil der Demokratie. Es ist fraglich, ob sich diese Errungenschaften auch mit einer Freiwilligenarmee durchhalten lassen.

30% der geplanten rund 185.000 Soldaten sind Berufssoldaten, der weitaus höhere Anteil sind Soldaten auf Zeit. Welche beruflichen Perspektiven haben sie für und auch nach ihrem Dienst in der Bundeswehr? Der Druck, ausreichendes Personal vorzuhalten, könnte u.U. dazu führen, qualitative Anforderungen oder auch Erwartungen an die Persönlichkeit von Soldatinnen und Soldaten zu senken (Thomas Hoppe spricht von der Gefahr einer „Negativ-Auslese“).

Diese Einwendung betrifft möglicherweise auch die bis zu 15.000 Freiwilligen, die für einen Wehrdienst zwischen 12 und 23 Monaten gewonnen werden sollen; anders als bisher ist dann auch ihr Auslandseinsatz erlaubt.

Die Evangelische Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten wird sich auf solche Veränderungen einstellen müssen.
Die Konsequenzen dieser Veränderungen für den Zivildienst und die kirchlichen Freiwilligendienste können nach ersten Erfahrungen noch nicht zutreffend beurteilt werden.

Als Kirche haben wir auch zu beobachten, ob in der Debatte über den Umbau der Bundeswehr eine längst eingeführte Argumentation verstärkt wird, die auf wirtschaftliche Interessen gerichtet ist und Auslandseinsätze zu ihrer Durchsetzung legitimiert. Aus kirchlicher Sicht ist es zum einen sinnvoll, strenge Kriterien für Auslandseinsätze präzise zu benennen und erfolgte Auslandseinsätze kritisch zu evaluieren.

Zum anderen ist es notwendig, nichtmilitärische Möglichkeiten für die friedliche Bearbeitung von Konflikten zu entfalten, Instrumentarien des early warning vorzustellen und für das Spektrum präventiver Maßnahmen hartnäckig und freundlich zu werben.

Mie ist bewusst, dass es Kirchen, Friedensfachorganisationen und konziliare Zusammenschlüsse gibt, die anders als der Rat der EKD, anders als ich über den Einsatz von Gewalt bzw. über das Verhältnis von Militärisch und Zivil denken. Ich habe Respekt vor Positionen, die auf dem Einsatz gewaltloser Mittel auch in aussichtslos erscheinenden Situationen bestehen und demzufolge den Einsatz von Gewalt als Ultima Ratio grundsätzlich ablehnen. Diese Haltung bezieht sich auf das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe Jesu, und sie beruft sich auf die Gewaltlosigkeit, die er gepredigt und selbst gelebt hat. Die radikale Schlussfolgerung lautet, dass ein Leben in der Nachfolge Jesu keine Option auf Gewalt als äußerstes Mittel zulässt.
Hier gibt es Unterschiede im theologischen Verständnis. Sie verweisen uns an die Frage, ob es Situationen gibt, in denen Menschen nicht schuldfrei bleiben können. Im Blick auf unsere deutsche Geschichte und im Blick auf gegenwärtige Terror- und Gewaltregime sehe ich das Dilemma: Der Verzicht auf Gewalt lässt uns schuldig werden an den Opfern, und der Gebrauch von Gewalt lässt uns schuldig werden als Täter.

In pazifistischer Überzeugung sein eigenes Leben hinzugeben, also keine Gewalt anzuwenden, um das eigene Leben zu retten, das ist unbestreitbar ein Akt und Ausdruck der Nachfolge Jesu Christi. In pazifistischer Überzeugung aber zuzusehen, wie andere Menschen abgeschlachtet werden, und nicht „Dem Rad in die Speichen zu greifen“ – diese Haltung muss sich dem theologischen Diskurs stellen.

Es ist eine Realität, dass das Engagement für gerechten Frieden in unserer Kirche sehr unterschiedlich aussehen kann. Dieses Engagement speist sich aus Gottes Geboten und seinen Verheißungen – und es bringt Menschen mit verschiedenen Meinungen in den Diskurs und miteinander in Beziehung. Das Gespräch, die gemeinsame Suche nach tragfähigen Antworten, brauchen wir. Dazu steht die Evangelische Kirche im Rheinland.

Einig sind wir uns m. E. darin, dass zivile Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation intensiv weiterentwickelt werden müssen. Das ökumenische Begleitprogramm für Frieden in Palästina und Israel, die internationalen Friedensbrigaden und -organisationen wie Sant’ Egidio u.a. haben gezeigt, dass gewaltfreie Interventionen möglich und erfolgreich sind. Wo Gewalt abnimmt, kann Gerechtigkeit wachsen.

Unsere Kirche ist friedensethisch wach: sie wird getragen von engagierten Menschen in den Gemeinden, in ökumenischen Gruppen, in den kirchlichen Organen. Unsere Ausschüsse haben sich mit den Anstößen der Friedenskonvokation auf Jamaica beschäftigt. Die kommende Landessynode wird sich u.a. mit Anträgen zu Waffenhandel und Rüstungsexportkontrolle, zu Hermesbürgschaften, zur Bundeswehr an Schulen und der Forderung nach gleichberechtigten friedensethischen Maßnahmen befassen. Ergebnisse des heutigen Studientages werden einfließen in eine Stellungnahme zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept der „vernetzten Sicherheit“.  Ich sehe dies als wichtigen Beitrag, das Leitbild des „Gerechten Friedens“ in seinen theologischen und ethischen Implikationen zu vertiefen.