Predigt im ökumenischen Gottesdienst in der Christuskirche in Altenkirchen (Johannes 4, 5 - 14)

Nikolaus Schneider

10. September 2011

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Gemeinde,
die Anregung, im Kirchenjahr einen „Tag der Schöpfung“ zu feiern, verdanken wir unseren orthodoxen Geschwistern.
Einen „Tag der Schöpfung“ zu feiern, hilft uns, unsere große und kleine Welt als Schöpfungsgabe und als Schöpfungsaufgabe neu in den Blick zu nehmen.
Damit unsere Herzen sich mit Dankbarkeit füllen und wir zugleich alle unsere Sinne neu ausrichten auf die Verantwortung, die Gott uns für seine Schöpfung übertragen hat!

Der „Tag der Schöpfung“ lenkt unseren Blick auch auf die besonderen Probleme unserer Gemeinden „im ländlichen Raum“. Auf all die  Landwirte und Landwirtinnen, die als „Agrarunternehmen“ zu Höchstleistungen animiert werden und sich ganz alltäglich mit einer rein gewinnorientierten Art des Wirtschaftens auseinandersetzen müssen – etwa auch bei den Fragen der Nutztierhaltung. Im Anschluss an diesen Gottesdienst wird es zu diesem Themenbereich noch eine Podiumsdiskussion geben. Ich will an dieser Stelle nur zwei bemerkenswerte Sätze zitieren, die in diese Woche in einem Nachruf auf den Pfarrer Horst Kasner, dem Vater unserer Bundeskanzlerin, zu lesen waren:
„Er – Horst Kasner – predigte gern in einer Kapelle im Wald, dem „Kirchlein im Grünen“, für dessen Erhalt er sich eingesetzt hatte. Gegen Massentierhaltung konnte er dort wettern, anprangern, dass der Mensch dem Vieh den Segen raube und sich damit um den eigenen Segen bringe.“
(zitiert nach: Rheinische Post, Montag, 5.9.2011 )

In diesem Jahr feiern wir den „Tag der Schöpfung“ mit dem Schwerpunktthema „Wasser“. Wasser ist eine Grundvoraussetzung allen Lebens. Für Christenmenschen hat „Wasser“ als ein Lebensgeschenk Gottes auch eine tiefe spirituelle Bedeutung. Das spiegelt sich in vielen theologischen und liturgischen Traditionen unserer Kirche wieder. So geht es in dem Predigttext für den heutigen Gottesdienst um das „lebendige Wasser“, das in uns Menschen zu einer Quelle wird, deren Wasser in das ewige Leben quillt.

Hören wir auf die Erzählung des Evangelisten Johannes, wie sie uns in den Versen 5 bis 14 im 4. Kapitel überliefert ist:

„Da kam er – Jesus - in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab.
Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde.
Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken!
Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen.
Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. -
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser.
Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser?
Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh.
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“

„Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben erlange?“,
diese Frage, liebe Gemeinde, hat Menschen in biblischen Zeiten die Beziehung zu Jesus suchen lassen.

Was müssen wir tun, damit wir Gottes Schöpfung nicht zerstören und damit unser gefährdetes und vergängliches Leben in Gottes Ewigkeit bewahrt bleibt?,
diese Frage bewegt auch uns Heutigen - innerhalb und außerhalb unserer Kirchen und Gemeinden.
Der Gottessohn Jesus Christus bietet uns hier in diesem Predigttext „lebendiges Wasser“ an, das in uns zu einer Quelle wird, die uns mit der Ewigkeit verbindet.
Welch wunderbares, kraftvoll-heilsames Bild!

Aber folgen wir mit unseren Gedanken noch einmal der Erzählung aus dem Johannesevangelium.
Drei theologische Schwerpunkte will ich dabei setzen:

1. Jesus durchbricht in dieser Geschichte gleichsam zwei Barrieren seiner Tradition: die zwischen Mann und Frau und die zwischen Juden und Samaritern.
2. Ein distanziertes und vordergründiges Hören der Worte Jesu kann den Durst nach einem gelingenden und gesegneten Leben nicht löschen. Verstehen und Verständnis können nur wachsen, wenn Menschen sich mit ihrer ganzen Person auf Gottes lebendiges Wort einlassen. Und
3. Das Element Wasser ist in biblischer und kirchlicher Tradition Zeichen und Ausdruck für Erneuerung und Wiedergeburt, für eine Umkehr zu unvergänglichem Leben.

Zum Ersten:
Jesus durchbricht in dieser Geschichte gleichsam zwei Barrieren seiner Tradition: die zwischen Mann und Frau und die zwischen Juden und Samaritern.

Jesus „musste“ aber durch Samarien reisen.
Mit diesem Satz führt der Evangelist Johannes seine Leserinnen und Leser zu unserem Predigttext.
Jesus will einem sich anbahnenden Konflikt mit Pharisäern aus dem Weg gehen. Die nämlich hatten gehört, dass Jesus noch mehr Nachfolger um sich schare als Johannes der Täufer und suchen nach Gegenmaßnahmen. Deshalb beschließt Jesus, Judäa vorerst zu verlassen und nach Galiläa zurückzukehren.

Der kürzeste Weg führt durch Samarien. Allerdings machten fromme Juden in der Regel einen großen Bogen um dieses Gebiet, es war für sie „unreines Land“.
Samariter nämlich gehörten weder zu den „Kindern Israels“ noch zu den „Heiden“. Sie waren eine „Mischung“ aus Nachkommen von Juden, die nicht durch die Assyrer deportiert wurden, mit heidnischen Kolonisten, die die Assyrern im Norden Israels angesiedelten.
Der Glaube der Samariter gründete sich zwar wie der der Juden in der Tora - also in den fünf Büchern Mose - aber die Psalmen und die Prophetenbücher waren für Samariter ohne Bedeutung. Auch mit dem Jerusalemer Tempel wollten – und durften! – sie nichts zu schaffen haben. Sie hatten ein eigenes Heiligtum auf dem Berg Garizim.

So war Samarien eine von frommen Juden verachtete und gemiedene Gegend, aber in diesem Gebiet befand sich ein wichtiger Ort jüdischer Tradition: der Brunnen Jakobs mit dem Grab von Josef, dem Sohn Jakobs.
An diesem Brunnen gemeinsamer „Glaubens-Väter“ begegnet der Jude Jesus von Nazareth einer Frau aus Samarien.
Sie hat in unserer Geschichte keinen Namen, aber sie verkörpert und repräsentiert hier für das Evangelium – also für die frohe Botschaft der grenzenlosen Gnade und Liebe Gottes – das ganze Volk der Samariter.
In seiner Zuwendung zu ihr überschreitet der Gottessohn die Grenze vom exklusiven Glauben des Gottesvolkes Israel zum „Halbheidentum“ Samariens.

„Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau?“, so fragte die Gesprächspartnerin Jesu erstaunt, denn ihre Tradition und ihre bisherigen Erfahrungen hatten sie gelehrt: „Juden haben keine Gemeinschaft mit Samaritern“.<

Der Gottessohn durchbricht in seinem Reden und Handeln Barrieren von beziehungsfeindlichen Traditionen – seien sie religiös oder kulturell begründet.
Jesus Christus befreit Menschen - Männer und Frauen - dazu, Gottes Worte und Weisungen wie „lebendiges Wasser“ in ihrem Denken, Fühlen und Glauben wirken zu lassen.
Um das zu zeigen, „musste“ für den Evangelisten Johannes der Jude Jesus durch Samarien ziehen.

Zum Zweiten:
Ein distanziertes und vordergründiges Hören der Worte Jesu kann den Durst nach einem gelingenden und gesegneten Leben nicht löschen. Verstehen und Verständnis können nur wachsen, wenn Menschen sich mit ihrer ganzen Person auf Gottes lebendiges Wort einlassen.

Das Johannesevangelium zeigt uns den Gottessohn als einen „dialogischen“ Menschen. Jesus sucht das Gespräch und lässt sich in Gespräche verwickeln. Jesus hört, fragt und hinterfragt. Jesus gibt seinen Gesprächspartnern Hinweise, beharrt, diskutiert, schweigt, deutet an und verunsichert.
In keinem Fall moralisierend. In jedem Fall ohne Angst vor Tabus, Grenzen, Barrieren. Auch drängt er seinen Glauben und seine Gottesbeziehung nicht auf. Standpunkte nimmt er ein, wirkt aber nie festlegend, sondern befreiend.

Das alles macht Mut. Für die Seelsorge, für die Ökumene, den Dialog mit Juden, mit Muslimen. Und auch für unsere Gespräche mit Politikern und Politikerinnen, etwa wenn wir über eine nachhaltige und verantwortungsvolle Politik in Umwelt- und Landwirtschaftsfragen streiten.

In unserem Predigttext reden Jesus und die Frau aus Samarien eine ganze Zeit lang aneinander vorbei. Wie in seinem Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus – der Evangelist Johannes hatte im vorangegangenen Kapitel davon berichtet – spricht Jesus sehr „hintergründig“ und verstehen seine Gesprächspartner zunächst nur „vordergründig“.

Erst wenn Menschen in ihrem Gespräch mit Jesus auch ihr ganz persönliches Leben, ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Schuld und ihr Versagen zur Sprache kommen lassen, erst dann kann Gottes Wort in ihnen Wurzeln schlagen. Erst dann bahnen sich Verstehen und Verständnis an.

In dem unserem Predigttext folgenden Abschnitt lässt sich die Frau aus Samarien mit ihrer ganzen Person auf das Gespräch mit Jesus ein. Und sie beginnt zu verstehen und sie erkennt in dem Juden Jesus von Nazareth den von Gott gesandten „Christus“, der ihr und den Menschen ihrer Stadt „lebendiges Wasser“ zu trinken gibt. So kann in der Begegnung mit Jesus ihr Durst nach einem gelingenden und gesegneten Leben gestillt werden, sie kann neu beginnen und selbst Quelle für andere werden.

Und zum Dritten:
Das Element Wasser ist in biblischer und kirchlicher Tradition Zeichen und Ausdruck für Erneuerung und Wiedergeburt, für eine Umkehr zu unvergänglichem Leben.

„Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!“,-
mit diesen Worten lädt Gott selbst beim Propheten Jesaja die Menschen des Volkes Israel zu seinem Gnadenbund ein ( Jes 55,1 ).
Und der Prophet Jeremia lässt Gott klagen:
„Denn mein Volk tut eine zweifache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben.“ ( Jer 2, 13 ).
Diese spirituelle Bedeutung des Wassers als den Menschen von Gott geschenkte innere Lebenskraft nimmt auch der Evangelist Johannes auf. So erklärt Jesus dem Pharisäer Nikodemus:
„Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ (Joh 3, 5b)
„Lebendiges Wasser“ ist bei Johannes und in unserer kirchlichen Tradition deshalb Zeichen und Ausdruck für Erneuerung, Umkehr, Wiedergeburt und ein neues, unzerstörbares Leben in der Bindung an den Auferstandenen.
Unser „irdischer Durst“, der Durst unseres Körpers und unserer Erde, weist uns zeichenhaft hin auf den geistigen und geistlichen Lebensdurst nach einem gelingenden, weil von Gott gesegneten Leben. Dieser Durst kann nur von Gott, dem Schöpfer und Erhalter allen Lebens, gestillt werden.
In seinem Sohn Jesus Christus hat Gott allen Menschen, auch den Samaritern und auch uns „Heidenvölkern“ das lebendige Wasser des Lebens geschenkt.
Der Auferstandene kann und will auch uns heute zu einer Quelle werden, die in Ewigkeit sprudelt und die uns selbst zu einer Quelle für Gottes Schöpfung und für unsere Mitmenschen macht.
In der Nachfolge Jesu Christi können wir leben und wirken wie Bäume, die „gepflanzt an niemals versiegenden Wasserbächen“ (vg. Psalm 1) ihre Früchte bringen und nicht welken - auch in gefühlten und erlebten Zeiten von Dürre und kräftigem Gegenwind.

Jesus Christus zeigt und schenkt sich den Menschen als das Wasser des Lebens und wird in uns zur Quelle, die in Ewigkeit und in die Ewigkeit sprudelt!
Lassen Sie sich ermutigen durch dieses wunderbare biblische Bild, das auch den Liederdichter Hans Jürgen Netz zu dem Lied „Wie eine Wasserquelle“ inspirierte. Der Text dieses Liedes gibt dem lebendigen Wasser in uns Wegweisung für ein segensreiches Wirken auf dieser Erde. Nehmen Sie es mit für Ihren Gottesdienst im Alltag dieser Welt!

„Du wirst sein wie eine Wasserquelle,
der es nie an frischem Wasser fehlt.
Mit dem Hungrigen brichst du dein Brot
und den Durstigen füllst du den Krug.
In der Wüste wirst du Garten sein.
Mit den Flüchtigen teilst du dein Haus
und den Leidenden gibst du dein Herz
und die Schöpfung wird dir heilig sein.
Mit den Frierenden brichst du das Eis.
Für die Traurigen bist du der Trost
und in Ende wirst du Anfang sein.
Mit den Suchenden suchst du ein Ziel,
in der Finsternis bist du ein Licht
und der Erde wirst du Himmel sein.
Du wirst sein wie eine Wasserquelle,
der es nie an frischem Wasser fehlt.“

Dazu helfe uns Gott an allen Tagen und an allen Orten unseres Lebens!

Amen.