Theologische Hinführung des EKD-Ratsvorsitzenden im Gottesdienst anlässlich der Eröffnung der Frauen-WM in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin

Nikolaus Schneider

26. Juni 2011

Es gilt das gesprochene Wort!

Kennen Sie Alois Hingerl, liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder?

Er ist Dienstmann Nummer 172 auf dem Münchner Hauptbahnhof. Und Hauptdarsteller einer genau einhundert Jahre alten Kurzgeschichte von Ludwig Thoma. Der Münchener im Himmel. Hingerl erledigt einen Auftrag mit solch einer „Hast“, dass er vom Schlag getroffen zu Boden fällt und stirbt. Zwei Engel schleppen ihn mühevoll in den Himmel, wo er von Petrus seinen jenseitigen Namen „Engel Aloisius“ zugeteilt bekommt, außerdem eine Harfe und eine Wolke, auf der er gemäß der „himmlischen Hausordnung“ künftig nach einem festen Terminplan „frohlocken“ und „Hosianna singen“ soll. Ohne große Lust beginnt er auf seiner Wolke zu „frohlocken“. Als ein vorbei fliegender „vergeistigter Engel“ seine Bitte nach einer Prise Schnupftabak mit einem verständnislosen, gelispelten „Hosianna!“ beantwortet, steigt sein Zorn. Der Engel Aloisius beginnt beim gesungenen „Halleluja“ zu schimpfen und zu fluchen. Diese Mischung aus Halleluja und Schimpfen verleiht seiner Art zu frohlocken ihren besonderen Charakter.

Und damit sind wir schon im Zentrum des heutigen Gottesdienstes. Es geht um das Jauchzen und das Frohlocken. Um die Freude. Um die Begeisterung. Und um das Lob.

Im 100. Psalm, den uns Herr Dr. Zwanziger gerade vorgelesen hat, steht eben das im Mittelpunkt: Der Psalm ist ein einziger Aufruf zur Freude und zum Lob Gottes: Jauchzet dem Herrn, alle Welt!

Welch passender Text für eine Weltmeisterschaft im Frauenfußball. Das sportliche Großereignis des Jahres. Ein Grund, sich gemeinsam zu freuen. Zu freuen darüber, dass die Frauenteams 16 Nationen vertreten und darüber, dass wir in den Genuss guten Fußballs kommen werden. Auch darüber, dass der Frauenfußball immer mehr die Anerkennung erfährt, die er verdient. Und  mit Freude nehme ich wahr, wie selbstbewusst er auftritt: 3. Plätze sind was für Männer – in Deutschland!

Der Psalmbeter weitet seinen Blick über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus und schaut auf die ganze Welt. Zugleich ist es auch andersherum: Der Beter schaut von Jerusalem aus auf die ganze Welt und appelliert an die ganze Welt, auf Jerusalem zu schauen. Nicht weil die Stadt als solche so schön ist. Sondern weil hier der Tempel Gottes steht: Gottes Ort bei den Menschen. Und weil Gott das Beste ist, was den Menschen passieren kann, sagt der Psalmist: Kommt her zu Gott. Tretet ein in den Tempel und seine Vorhöfe. Kommt her, jauchzt, jubelt, frohlockt, preist Gott, dankt ihm, lobt seinen Namen. In immer neuen Anläufen fordert der Psalmist seine Hörer und Leser dazu auf, sich zu freuen und Gott zu loben. „Lobt Gott!“ – das heißt auf Hebräisch „Hallelujah“.

In Psalm 100 ist gut begründet, warum wir Gott loben sollen: „Denn der Herr ist freundlich und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.“ Wir sollen Gott nicht einfach deshalb loben, weil es so in der himmlischen Hausordnung steht. Wir sollen Gott loben, weil er ein menschenfreundlicher Gott ist. Weil er ein gnädiger Gott ist, der uns annimmt, so wie wir sind. Weil er ein Gott der Wahrheit ist. Und die erste grundlegende Wahrheit ist: Gott ist Gott und der Mensch ist Mensch. Gottsein passt nicht zum Maß des Menschlichen. Diese Wahrheit ist befreiend: es reicht vollkommen, in den Grenzen des Menschlichen zu leben. Das gilt auch für Fußballgötter. Und den Fußballgott gibt es sowieso nicht - Gottlob!

Gottlob - das sagt sich so leicht. Aber: Gott loben, was ist das eigentlich, wie geht das? Einige Arten des Gotteslobs haben wir heute im Gottesdienst praktiziert.

Wir loben Gott mit Liedern und haben eben gesungen: „Lobe den Herren, den mächti¬gen König der Ehren.“ Oder fast das gleiche noch einmal auf lateinisch: „Laudate omnes gentes.“

Wir loben Gott im Gebet, zum Beispiel im Vaterunser, das wir später gemeinsam sprechen werden. Es müssen allerdings nicht immer traditionelle Gebete sein. In einem modernen Dankgebet heißt es: „Guter Gott, es sind nicht immer nur die großen und tiefen
Probleme des Lebens, die uns bewegen. In diesen Tagen denken viele von uns vor allem an die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft. Wir genießen die Spannung beim Zuschauen, die Begeisterung beim Siegen, und wir sind gerührt von den Tränen der Verlierer. Hilf, dass die weltweite Übertragung der Wettkämpfe uns auch weltweit miteinander verbindet; dass die sportlichen Begegnungen dazu beitragen, Vorurteile zu überwinden und Verhärtungen im Verhältnis der Völker aufzulösen. Verhindere, dass aus der Trauer über Niederlagen Aggression wächst. Gott, Dir sei gedankt, dass uns aus so vielen Ereignissen Lebensfreude zuwächst. Dir sei heute einmal für den Sport gedankt. Amen.“

Wir loben Gott nicht nur im Gottesdienst am Sonntag, sondern auch im Gottesdienst im Alltag. Wir loben Gott mit Taten des Glaubens und der Liebe. Wer Kranke besucht, wer sich um Flüchtlinge kümmert, wer anderen Menschen zuhört und sie tröstet, der lobt Gott auf eine ganz besondere Weise.

Gotteslob nimmt die Wirklichkeit dieser Welt zur Kenntnis. Auch wenn diese Wirklichkeit ihre Schattenseiten hat. Man muss nur einmal in die Tageszeitung oder aus dem Fenster schauen, um zu sehen, dass wir noch nicht im Paradies leben, sondern in der noch nicht erlösten Welt. Das gilt es auszuhalten. Wer im DFB Verantwortung trägt, wird das angesichts der Diskussionen über die FIFA sofort verstehen. Das gilt aber auch, natürlich in ganz anderer Weise, für die Dynamik und das Gefüge eines Fußballkaders. 

Der jüdische Gelehrte Elie Wiesel hat ein¬mal gesagt: „Um Gott zu loben, muss man leben, und um zu leben, muss man das Leben lieben - trotz allem.“ Trotz allem:  das Loben Gottes und die Liebe zum Leben gehören zusammen.

Loben wir Gott mit unserem Leben! Loben wir Gott in der Art und Weise, wie wir uns über die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen freuen. Wie wir mit unserem Team mitfiebern und wie wir auch die Leistung anderer Teams anerkennen. Wie wir das „Sommermärchen reloaded“ mit Leben erfüllen. In alledem können wir Gott loben.

Loben – Leben – Lieben: das gehört nicht nur klanglich zusammen. Freuen wir uns mit unserem Gotteslob heute auf das vom Fußball geprägte Leben der kommenden Wochen. Das Leben, das wir doch so sehr lieben. Gottlob.

Amen.