Ansprache beim Jahresempfang der Metropolie des Ökumenischen Patriarchats aus Anlaß des Namenstages des Patriarchen Bartholomaios in Bonn-Beuel

Manfred Kock

11. Juni 2001

„Europas Zukunft -
gemeinsame Herausforderung für die christlichen Kirchen“

Es gilt das gesprochene Wort !!

„Du machst fröhlich, was da lebet im Osten wie im Westen.“ Psalm 65,9

Anrede ...

Es ist mir eine große Ehre, bei diesem Empfang aus Anlaß des Namenstags seiner Allheiligkeit, des hochverehrten Patriarchen Bartholomaios, zu Ihnen zu sprechen. Sie, verehrter Metropolit, lieber Bruder Augoustinos, hatten mich angeregt, Gedanken darzulegen über die gemeinsamen Herausforderungen für die christlichen Kirchen im Blick auf die Zukunft Europas. Das will ich gerne tun, denn gerade vier Wochen ist es her, dass ich mit einer Delegation des Rates der EKD dem Patriarchen in Istanbul begegnet bin. Dabei habe ich etwas von der ökumenischen Sehnsucht gespürt, die den Ökumenischen Patriarchen im Innersten bewegt.

Meine Themenstellung „Europas Zukunft - gemeinsame Herausforderung für die christlichen Kirchen“ setzt voraus, dass die Kirchen ihrem Auftrag nur dann gerecht werden können, wenn sie möglichst eng zusammenstehen und wenn sie etwas spüren, von dem, was die jeweils anderen Kirchen im Innersten bewegt.

Was wird die erweiterte Europäische Union den Kirchen in West und Ost bescheren? Eines ist bereits jetzt erkennbar: Die kirchengeschichtliche Einteilung in Ostkirchen und Westkirchen, die einst durch das Auseinanderfallen des römischen Reiches geprägt war, trifft unsere gegenwärtige Situation nicht mehr und erst recht nicht zukünftige europäische Realitäten. Wir stehen gemeinsam im Prozess des Zusammenwachsens der europäischen Staaten und Gesellschaften und sind in dieser neuen Situation auch das gemeinsame Zeugnis schuldig.

Die neuen Zuordnungen mögen verunsichern, ja ängstigen. Natürlich. Wir Menschen sind so: Erst können wir das Neue nicht früh genug in Angriff nehmen und verwirklichen, doch wenn es dann kommt, wenn die Veränderungen konkret werden, wenn absehbar wird, dass wir von der Zukunft nicht nur profitieren, sondern auch in sie investieren müssen, weil Zukunft nicht für nichts zu haben ist, dann melden sich die Bedenken.

Mag ja sein, dass Europa ein kompliziertes Gebilde ist, mag ja sein, dass wir uns alle nicht so richtig präpariert fühlen. Doch gerade in diese Situation hinein ist das Glaubensbekenntnis des 65. Psalms zu hören: „Du machst fröhlich, was da lebet im Osten wie im Westen.“ Das Wort der Bibel überschreitet von Anfang an unsere Grenzen. Wir haben Grund zur Freude, weil Gott den Weg in ein neues Verständnis unserer Rolle in einem neuen Europa mit uns geht. Der in uns das gute Werk des neuen, friedlichen Miteinanders begonnen hat, wird auch das Seine dazutun, damit es Gestalt gewinnt, damit es wachsen und reifen kann und zu einem Großen und Ganzen wird.

Unser gemeinsames Bekenntnis zu Gott, der für die Menschen im Osten wie im Westen Grund zur Freude schafft, ist die Basis, von der die Europäischen Kirchen auszugehen haben. Die Kirchen können sich nicht auf politische Visionen stützen, sie dürfen es genaugenommen nicht einmal, ohne in die Gefahr zu geraten, dass sie fremden Herren dienstbar werden. Aus ihrem Glauben an den einen Herrn Jesus Christus, aus der Mitte ihrer Identität also, gewinnen sie den Punkt, auf dem sie stehen.

1. Visionen vom künftigen europäischen Haus - Die Kirchen auf der Baustelle Europa

Es tut sich etwas im Europäischen Haus. An vielen Baustellen wird gleichzeitig gearbeitet. Manches ist im Rohbau, man ahnt nur, was daraus werden kann. Bei einigen Projekten gibt es schon einen erstaunlichen Fortschritt am Bauwerk. Die neuen Dimensionen lassen sich schon recht gut beschreiben. Wieder anderes ist noch ohne Fundament, und von einem großen Teil des europäischen Hauses fehlt noch jeder Ansatz. Es gibt Ideen und Visionen, grobe Skizzen und anspruchsvolle Pläne. In diesem Stadium des Aufbruchs in die Zukunft Europas fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten.

Schon gar, wenn die Architekten Europas plötzlich während der Bauzeit merken, dass sie ihre Baupläne überarbeiten müssen. Das gibt es auch bei normalen Häusern - wenn sich während der langen Bauzeit die Anforderungen an die künftige Nutzung verändern oder die Bodenbeschaffenheit vor bis dahin nicht erkannte Risiken stellt. Die Statik des ganzen Hauses muß nachberechnet werden, damit bedürfen auch die Fundamente der Prüfung. Wieviel kann man auf der vorhandenen Substanz aufstocken, ohne dass das Gebäude wackelt? Wo müssen die Fundamente verstärkt werden, damit sie den Belastungen des Ausbaus gewachsen sind?

Die Kirchen im zusammenwachsenden Europa merken für ihren Teil, dass sich auch für sie einiges ändern wird. Selbst wenn sie an ihren geschichtlich angestammten Plätzen bleiben, wird sich um sie herum so viel verändern, dass sie gut daran tun, sich an diesem Prozess aktiv und konstruktiv zu beteiligen. Sie können und müssen ihren Raum- und Platzbedarf anmelden, sie müssen klar sagen, wie sie sich das künftige Programm im erweiterten Europäischen Haus vorstellen, und sie müssen sich darüber einigen, was sie inhaltlich dazu beisteuern wollen und welche Argumente sie nutzen, um diesen Beitrag wirksam werden zu lassen.

Vielfalt ist Reichtum, doch man muß sehen, dass es für Aussenstehende auch etwas Verwirrendes hat, wenn die zahlreichen kirchlichen Lobbyisten ihre Interessen unabgesprochen und gleichzeitig auf den Markt der öffentlichen Meinung tragen. Im Brüsseler Europa scheint sich die Vielfalt noch zu potenzieren. Wir tun gut daran, mehr voneinander zu wissen. Darum begrüße ich es ausdrücklich, wenn - dem Thema der bevorstehenden Dialogbegegnung zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 30. Juni bis 6. Juli in Brandenburg an der Havel entsprechend - „Die Kirchen im zusammenwachsenden Europa“ miteinander über ihre Wünsche, Erwartungen und Pläne reden.

2. Gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung

Die Kirchen sind kein Selbstzweck. Sie stehen im Dienst am Evangelium. Sie predigen die Botschaft der Heiligen Schrift und sie lassen sich von Jesus in die Verantwortung rufen für Frieden, Gerechtgkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

Der letzte theologische Dialog mit dem Ökumenischen Patriarchat hatte das Thema: „Der Kosmos als Schöpfung Gottes. Die Kirchen vor dem ökologischen Problem“. Im Kommuniqué wurde 1997 auf Rhodos von der „Welt als Schöpfung und Gabe des dreieinigen Gottes ... , in der der Mensch eine besondere Stellung und Verantwortung hat.“ gesprochen. Dort hieß es auch: „Nicht der Mensch, sondern Gott ist Herr und Mitte von Schöpfung und Geschichte. Diese Einsicht bewahrt vor der Gefahr, daß der Mensch sich verabsolutiert und meint, alles machen und dürfen zu können, und sich damit an die Stelle Gottes setzt.“

Der Schlüssel zu alledem ist das Verständnis vom Menschen. „Was ist der Mensch?“ - so fragt die Bibel. „Was ist der Mensch?“ so fragen auch wir in der ethischen Herausforderungen durch die moderne Biotechnik, durch die Entwicklung der Genforschung und durch den wirtschaftlichen Kostendruck auf unsere Gesundheitsvorsorgesysteme. Wir stehen vor entscheidenden Weichenstellungen in der Fortpflanzungsmedizin und in der Frage der sogenannten Sterbehilfe. Wann beginnt menschliches Leben? Gibt es vor der Geburt oder im Sterben Entwicklungsstadien des Menschen, in denen sein Leben weniger schutzwürdig ist? Wo beginnt und wo enden Menschenwürde und Menschenrechte? - Gerade in diesen Grundfragen sehe ich eine große Übereinstimmung zwischen allen Konfessionen und Kirchen Europas. Dem gegenüber gibt es schon jetzt den großen Konkurrenzkampf der Industriestaaten um Patente und Forschungsvorsprünge, ohne dass die ethischen Grundlagen geklärt wären. Doch Europa braucht als tragfähiges Fundament das von der biblischen Botschaft geprägte Menschenbild, um die anstehenden Fragen der Bioethik verantwortlich zu beantworten.

3. Miteinander im Gespräch mit dem Islam

Wer sich mit dem Thema Europa beschäftigt, kommt um das Gespräch mit dem Islam nicht herum. Die Ausrichtung auf Europa setzt voraus, multinational, multiethnisch und multikulturell zu denken, aber auch multireligiös. Die Vielfarbigkeit des Lebens in Europa ist ohne die Anerkennung und Respektierung auch der religiösen Unterschiede nicht zu haben. Auch gegenwärtig gibt es noch blutende Teile Europas, weil Mächte und Gruppen sich religiöser Gegensätze bedienen, um Gewalt und Terror ideologisch zu begründen. In Nordirland sind es römisch-katholische und protestantische Traditionen, die im gewaltsamen Streit gegeneinander stehen; in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien sind es in erster Linie Menschen mit römisch-katholischer bzw. serbisch-orthodoxer Prägung, die  in Spannung zu ihren Nachbarn und Mitbürgern aus muslimischen Traditionen stehen. Dazu kommen noch Meldungen aus der weiten Welt, die von religiös motivierten terroristischen Taten berichten.

Ich verstehe, dass Menschen mit einer Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung solche Meldungen viel lebhafter als Bedrohung sehen als solche, die diese Nachrichten nur aus der Distanz eines theoretischen Wissens oder trotz eindrücklicher Fernsehbilder letztlich als virtuelle Information wahrnehmen. So sind wir dankbar für kritische Nachfragen, wenn in Deutschland manche vielleicht zu vertrauensselig an die Begegnung mit dem Islam herangehen.

Andererseits muß man auch beim Islam zwischen einer politisch benutzten Religion und einer glaubwürdig gelebten Religion unterscheiden. So wie man die christlichen Kirchen nicht auf ihre radikalisierten und fundamentalistischen Ränder festlegen kann, so sollten wir auch vom Islam ein differenziertes und realistisches Bild gewinnen. Denn wer möchte sich vorhalten lassen, dass er den wirklichen Islam im gegenwärtigen Europa nicht kennt? Wir müssen uns dem Gespräch stellen, und dann werden wir und auch die anderen merken: Weder sind europäische Muslime immer im „Heiligen Krieg“ noch sind Christen ständig auf „Kreuzzug“, noch sind jüdische Mitmenschen „Agenten des Zionismus“. Auf der Gemeindeebene haben sich inzwischen viele gute Beziehungen zu muslimischen Nachbarn entwickelt. Neben den Dialogen werden immer mehr Trialoge geführt. Dadurch hat unsere Kirche viele Erfahrungen gesammelt, die für das Zusammenleben der Religionen in unserer säkularen Gesellschaft wichtig sind. Gerade deshalb wollen wir dem pauschalen Misstrauen entgegentreten, das den Frieden stört und die Atmosphäre des nachbarschaftlichen Lebens vergiftet.

Wir wollen unseren Glauben selbstbewusst und furchtlos bezeugen, aber entsprechend auch das religiöse Zeugnis der anderen respektvoll anhören. Wir machen uns da nichts vor: der Islam ebenso wie das Judentum lehnen zentrale christliche Glaubensinhalte ab. Und auch wir akzeptieren wesentliche Inhalte jüdischen und muslimischen Glaubens nicht. Wir geben uns aber mit dieser Ablehnung nicht zufrieden, sondern wollen Vorurteile und Diskriminierung bekämpfen. Dazu müssen wir vor allem das Wissen über die Tradition und das jeweilige Selbstverständnis vertiefen. Auch wenn wir Kritik an islamischen Glaubenshaltungen üben, muss diese Kritik nicht in Feindschaft münden. Als Kirchen sind wir verpflichtet, aus dem eigenen Versagen in früheren Epochen für einen Rechtsfrieden einzutreten, der gegen diejenigen fundamentalistischen Kräfte durchgesetzt werden muss, die ihn unter Inanspruchnahme religiöser Motive gefährden.

Wir wissen aber, dass viele Menschen nach kontroversen Diskussionen neue Einsichten in die humanitären Qualitäten ihres eigenen Glaubens gewonnen haben. So können wir aus der Mitte unseres Glaubens und aus der Erfahrung der Kirchengeschichte die Bemühungen um ein friedvolles Zusammenleben bejahen und die Einsichten aus vielen positiven Begegnungen in den Prozess der Entwicklung Europas einbringen. Die EKD sieht sich in diesen Anstrengungen auch in großer Übereinstimmung mit orthodoxen Aktivitäten, vor allem mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, der in der Türkei und in Europa dem Gespräch mit dem Islam eine hohe Bedeutung beimisst.

4. Die Kirchen als Mitgestalter der Zukunft Europas

Vor wenigen Wochen wurde die Charta Oecumenica in Straßburg unterzeichnet. Um die Formulierungen der einzelnen Abschnitte ist von vielen intensiv gerungen worden. Nun liegt alles daran, dass die Charta sich als eine Plattform für die europäischen Kirchen erweist, von der aus sie ihre Aufgabe als Kirchen in Europa wahrnehmen wollen.

Unter dem Thema: 'Unsere gemeinsame Verantwortung in Europa' heißt es:

"Die Kirchen fördern eine Einigung des europäischen Kontinents. Ohne gemeinsame Werte ist die Einheit dauerhaft nicht zu erreichen. Wir sind überzeugt, dass das spirituelle Erbe des Christentums eine inspirierende Kraft zur Bereicherung Europas darstellt.“ Die Kirchen können dieses Zeugnis nur dann glaubwürdig geben, wenn sie selber näher zusammenwachsen - sonst ist jeder Appell an die Versöhnungs- und Einigungsbereitschaft der Menschen in einem Europa der Regionen, Ethnien und Nationen unglaubwürdig.

Die Gliedkirchen wie auch die EKD wollen die bilateralen Partnerschaften stärken und Konsultationen und Tagungen der multilateralen Gesprächskreise fördern.

Mit der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) wollen wir Zeichen der Versöhnungsbereitschaft sein und vor allem das mit vorantreiben, was als die Herausforderung für Europa wahrgenommen wurde: Europa zu begreifen und mitzugestalten 'als Kontinent zwischen Atlantik und Ural, zwischen Nordkap und Mittelmeer', wie es in der Charta Oecumenica heißt - und nicht zerfallen zu lassen in einen 'integrierten Westen und einen desintegrierten Osten'.

Der Versöhnungsauftrag der Kirchen macht das Engagement für die, die Opfer der europäischen Einigungsprozesse sind, unabdingbar. Alle Entwicklungen in Europa müssen daraufhin befragt werden, welche Werte ihnen zugrunde liegen und - damit zusammenhängend - was sie bedeuten für die Schwachen in den EU-Ländern, in den Beitrittsländern und in den Ländern, die zunächst oder auf Dauer außen vor bleiben werden.

Europa ist im politischen Einigungsprozess vorwiegend ein ökonomisches Handlungsfeld. In der Dynamik wirtschaftlicher Prozesse dürfen die konkreten Nöte und Bedrängnisse der Menschen nicht aus dem Blick geraten.

Wir müssen uns einsetzen für eine „Christliche Solidarität“, die verhindert, dass Europa eine Festung wird. Wir brauchen eine Ökonomie, die in Verantwortung für die kommenden Generationen Verzichtleistungen von der gegenwärtigen Generation einfordert. Das heißt, wenn wir sorgfältig beobachten, welche Folgen die Entscheidungen auf EU-Ebene für das Engagement und die Rolle der Kirchen haben werden, dann geht es uns nicht um Lobbyarbeit zugunsten unserer Institutionen und schon gar nicht um eine christlich-abendländische Restauration. Wir wollen vielmehr beitragen zur Entstehung eines gesellschaftlichen Grundkonsenses, zu bürgernahen Entscheidungsprozessen, zur Einhaltung der Menschenrechte, zum Entstehen demokratischer Gesellschaften.

Aber im Mittelpunkt der gemeinsamen Arbeit muss stehen, dass wir die Erfahrungen aus unterschiedlichen Kontexten zusammentragen, aufeinander hören, mögliche Auswirkungen in die unterschiedlichen Kontexte hinein  bedenken und auf dieser Basis die Eingaben und Anfragen der Kirchen formulieren. Also es geht darum, in der europabezogenen Arbeit der Kirchen miteinander schon das zu verwirklichen, was wir als Vision für ein erweitertes Europa teilen: Partizipation, Solidarität, Toleranz, Gerechtigkeit - und vor allem die Barmherzigkeit - wie es in der Charta Oecumenica heißt.

Schlußgedanken: Auf dem Weg zur Einheit

Die Ungeduld unter den Christen in unserem Land wächst: Wann machen die evangelische und die römisch-katholische Kirche endlich Ernst mit der Überwindung ihrer nun schon fast fünfhundert Jahre währenden Trennung? Wie werden die älteren Trennungen in Orthodoxie und weströmischen Katholizismus überwunden? Und wie bewältigen wir die neuen Spaltungen evangelikaler und charismatischer Sonderwege, die altkatholischen und altgläubigen orthodoxen Varianten?

Es könnte einem die ökumenische Hoffnung ganz vergehen, wenn man sich diese ganze Geschichte der Konfusionen vor Augen führt. Aber bei all dem dürfen wir einander nicht zu Schritten nötigen, die jeder von uns selber gehen muß und nur aus eigener interner Anstrengung zuwege bringen kann. Und vor allem dürfen wir die bisher erreichten Erfolge nicht übersehen. Seit vielen Jahrzehnten gibt es ein ausgezeichnetes Miteinander der orthodoxen Kirchen mit der römisch-katholischen und der evangelischen  Kirche in Deutschland. Das ist eine Basis, auf der wir weiterarbeiten können an der Einheit unserer Kirchen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wir europäischen Kirchen schulden der Weltchristenheit den Dienst an der Einheit. Schließlich sind von hier aus nicht nur entscheidende missionarische Impulse in die Welt ausgegangen, wir europäischen Christen haben auch unsere Trennungen exportiert. Heute spiegeln uns die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen in der Dritten Welt dies in erfrischender Offenheit. So sagte neulich ein Kirchenvertreter aus der Südsee: „In der Woche leben wir unser traditionelles harmonisches Gemeinschaftsleben, das Ihr Europäer immer so an uns bewundert. Aber sobald am Sonntag die Glocken läuten, gehen die einen in die lutherische Kirche, die anderen in die römisch-katholische Kathedrale und wieder andere zieht es in den calvinistischen Betsaal.“ Liebe Brüder und Schwestern, ich bin sicher, gäbe es eine Orthodoxe Kirche auf den Fidschi-Inseln, dann würde dieser Hinweis auch für sie gelten.

Die Einheit der Christenheit kann ja nicht die Wiederherstellung der alten Kirche vor jenem Jahr 1517 sein, in dem die Reformation ihren Anfang nahm, oder aus dem Jahr 1054, als die verhängnisvolle Bannbulle gegen den Patriarchen Kerullarios durch den päpstlichen Legaten [Humbert von Silva Candida]  auf den Altar der Hagia Sophia gelegt wurde, oder aus dem Jahr 1204 als westliche Kreuzfahrer auch die christlichen Quartiere Konstantinopels verwüsteten, oder aus dem Jahr 1755 als die Orthodoxen Kirchen den Lateinern die Gültigkeit der Taufe bestritten.

Wir dürfen nicht darauf warten, bis unsere Kalender uns gelegentlich zur Gleichzeitigkeit des Oster- und Pfingstfestes verhelfen. Vielmehr müssen wir eine neue Einheit in Vielfalt gestalten, in der die unterschiedlichen konfessionellen Traditionen und Frömmigkeiten gleichberechtigt sind.

Nicht zuletzt im Blick auf den für das Jahr 2003 in Berlin geplanten Ökumenischen Kirchentag wünsche ich mir, dass Menschen ihre Heimat in ihren Kirchen behalten, auch wenn sie die Grenzen der Konfessionen überschreiten.

Mit Gottes Hilfe werden uns Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit gelingen. Denn das ist die Hoffnung des 65. Psalms: „Du machst fröhlich, was da lebet im Osten wie im Westen.“