"Menschenrechte - Anspruch und Herausforderung"

Rolf Koppe

25. Juni 2004

anlässlich der 41. Bundestagung des EAK der CDU/CSU  im Congress Centrum Hannover

Wer heute für die universalen und ungeteilten Menschenrechte entschieden eintritt, gerät schnell in den Verdacht, kein Realist zu sein und ein Weltverbesserer werden zu wollen. Ich sage das nicht nur in Richtung Politik, sondern auch selbstkritisch im Blick auf unsere Kirche. Denn wir haben uns nach den historischen Wenden in Europa, in lateinamerikanischen Staaten und im südlichen Afrika ziemlich schnell dahingehend verständigt, dass nach der Beseitigung des Kommunismus, der Militärdiktaturen und der Apartheid eigentlich nicht mehr viel übrig geblieben ist, um sich für die Durchsetzung grundlegender Menschenrechte einzusetzen. Doch diese Entdramatisierung täuscht darüber hinweg, dass der hohe Anspruch geblieben ist, "für Würde und Lebensrecht aller Menschen einzutreten", wie es der evangelische Basistext der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD aus dem Jahr 1975 programmatisch formuliert hat. Ludwig Raiser und Roman Herzog haben in ihrem Vorwort zu der Schrift "Die Menschenrechte im ökumenischen Gespräch" m.E. wegweisend formuliert: "Das Fragen nach Sinn, Inhalt und Verwirklichung der Menschenrechte ist in den letzten Jahren zum Gemeingut der Christenheit geworden". Übrigens mit Hilfe der ökumenischen weltweiten Bewegung, die uns Deutschen dafür die Augen geöffnet hat, dass es neben der europäischen Aufklärungstradition im philosophischen Sinn auch eine Menschenrechtstradition aus christlichen Wurzeln gibt, die mehr im angelsächsischen Rechtskreis ihre Bedeutung gewonnen hat - bis hin zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und den Erklärungen des Ökumenischen Rates der Kirchen seit seiner Gründung im Jahr 1948.

Die Stichworte vor 30 Jahren hießen: Recht auf Leben, kulturelle Identität, Freiheit der Meinung, persönliche Würde, freie Religionsausübung, gegen Folter. Seitdem ist vieles dazugekommen: Stellung der Frau, Armutsbekämpfung oder Gesundheit. Der alte Gegensatz zwischen individuellen und sozialen Menschenrechten aus der Zeit des Kalten Kriegs ist in seiner ideologischen Gegenüberstellung längst überwunden, wirkt aber in anderer Form nach und wird im Blick auf unterschiedlich religiös geprägte Gesellschaften wieder neu belebt. Spätestens seit der Menschenrechtstagung der UN in Kairo vor 10 Jahren ist die Frage wieder auf der Tagesordnung, inwieweit Kulturen unterschiedlich sind oder sogar bleiben müssen. Ein Beispiel für diese Diskussion ist die Abschaffung der Todesstrafe: der Europarat hat sie zur Vorbedingung für die neuen mittel- und osteuropäischen Staaten gemacht, in die europäische Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden. In den USA wird sie in den meisten Bundesstaaten noch praktiziert, obwohl es bereits Aufweichungen bei den Begründungen gibt. Die Türkei hat sie praktisch abgeschafft während sie in der Volksrepublik China massenhaft praktiziert wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich erst in den USA in dieser Hinsicht etwas bewegen muss, bevor man mit Nachdruck auf die chinesische Regierung einwirken kann. Der Westen muss ein gemeinsames Vorbild abgeben - wie überhaupt die Demokratisierung einhergehen muss mit der Institutionalisierung der Menschenrechte in einem nationalen Staatswesen bzw. in einer Union von Staaten und darüber hinaus.

Seit dem 11. September 2001 ist die institutionelle Verankerung und Ausweitung der Menschenrechte in eine legitimatorische Krise dadurch geraten, dass die USA sich ihr in Teilbereichen entziehen, wie die Schaffung eines rechtsfreien Raums in Guantanamo zeigt, bzw. die Verweigerung, die eigenen Soldaten internationalem Recht zu unterwerfen. Diese Vorgänge machen es wiederum allen leicht, die behaupten, islamisch geprägte Staaten seien prinzipiell nicht in der Lage, individuelle Menschenrechte zu achten und zu garantieren. Ich erwarte von der Politik eine Stärkung der Vereinten Nationen und des Völkerrechts. Das in der UN-Charta vereinbarte Gewaltverbot darf nicht ausgehöhlt werden, da es auch Menschenrechte schützt. Der Bau von Rechten, die zwischen Völkern und für einzelne Menschen gelten, darf nicht eingerissen werden, gerade auch nicht mit dem moralischen Anspruch, den Terror zu bekämpfen. Ich erwarte, dass sich die Politik gegen die Aufgabe von Menschenrechten im Rahmen der Terrorismusbekämpfung wendet, und z.B. die Sicherheitshaft für Ausländer nicht unmenschlich ausweitet, dass sie ein tragfähiges Zuwanderungsgesetz verabschiedet und praktiziert. Speziell der CDU-Bundestagsfraktion möchte ich danken für ihre Initiative im Juni 1999, eine Anfrage zur "Verfolgung von Christen in aller Welt" einzubringen, die mit dem Hinweis verbunden war, dass das Engagement für Christen andere bedrohte Glaubensgemeinschaften nicht aus dem Blick verlieren darf, da Religionsfreiheit universell gelten muss. Seitdem ist auch in anderen Parteien der Blick für das Thema Religionsfreiheit bzw. Religionsausübung geöffnet worden. Eine Arbeitsgruppe der EKD, der auch das Ratsmitglied und Mitglied des Bundestages, Hermann Gröhe, angehört hat, veröffentlichte entsprechende Länderberichte zu dieser Thematik. Der Titel heißt "Bedrohung der Religionsfreiheit. Erfahrungen von Christen in verschiedenen Ländern. Eine Arbeitshilfe".

Lassen Sie mich noch etwas zu der Frage sagen, ob es eine Annäherung in der Menschenrechtsfrage zwischen den Religionen gibt. Friedberg Pflüger hat in seinem Buch "Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens" seine Erfahrungen in Ländern des Nahen Ostens geschildert. Er hat positiv über die Haltung von Großscheich Tantawi von der Al-Azhar Universität in Kairo gegen die palästinensischen Selbstmordattentate geurteilt. Ich habe die teilweise selbstkritischen Ausführungen in der FAZ Ende 2002 auch gelesen, aber dann am 11. Dezember (ebenfalls in der FAZ) seinen Märtyrerbegriff kritisiert, der Gewaltanwendung keineswegs ausschließt. Ich halte im übrigen die von Herrn Pflüger rehabilitierte Denkfigur vom "gerechten Krieg" für nicht angemessen in einem Krieg, der keiner ist, weil das Gegenüber nicht mehr im klassischen Sinn zu fassen ist.
Es gibt Brücken, die gestärkt werden müssen: Überwindung von Armut und Analphabetismus, also Bildung, Entwicklung, Partizipation. Es gibt Immigranten, die in Deutschland gelebt haben, und wieder in ihre Länder zurückgekehrt sind; Journalisten, die die Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen; Wirtschaftler, die Rechte für ihre Mitarbeitenden etablieren; Politiker, die einen Dialog über die Einführung einer unabhängigen Justiz führen, Kirchenleute, die vergessene Minderheiten besuchen und sie mit Nichtregierungsorganisationen in Kontakt bringen.

Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, in Teilbereichen die schlechte Lage von Menschen zu verbessern. Warum Sie, lieber Herr Pflüger, in ihrem Buch, das ich tatsächlich ganz und über weite Strecken mit Zustimmung gelesen habe, mehrmals Gutmenschen in Anführungsstriche setzen, ist mir allerdings ein Rätsel geblieben. Wir können doch nicht die Maßstäbe, die wir Christen nach der Hitlerdiktatur mit aufgerichtet haben, deswegen nicht mehr einhalten wollen, weil sich andere nicht danach richten. Ein neuer Weltkrieg könnte auch deswegen drohen, weil Menschenrechte bei uns außer Kraft gesetzt werden und in anderen Staaten gar nicht erst eingeführt werden.