Sudan - Wenige Wochen vor dem Referendum

Historischer Wende zum Frieden oder Aufflackern eines neuen Bürgerkriegs?

Wenige Wochen vor dem Referendum sind alle Verantwortlichen innerhalb und außerhalb des Sudan aufgerufen, das Aufflammen gewaltsamer Konflikte mit allen Mitteln zu verhindern.

Zunehmend schauen auch die sonst nicht so sehr am Schicksal des Sudan Interessierten auf dieses Land: am 9. Januar 2011 soll die Bevölkerung des Südsudan über den Verbleib in einem gemeinsamen Staat oder seine staatliche Unabhängigkeit entscheiden. Damit, so die große Hoffnung, soll der jahrzehntelang währende Konflikt zwischen Nord- und Südsudan, der mehr als zwei Millionen Menschen das Leben gekostet und doppelt so viele Flüchtlinge hervorgebracht hat, endgültig besiegelt und die Weichen für eine friedliche Zukunft gestellt werden.

Als alles entscheidenden Schritt der Friedenskonsolidierung sieht das im Januar 2005 abgeschlossene sogenannte Umfassende Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement – CPA) die Durchführung dieses Referendums über die staatliche Unabhängigkeit des Südens vor. Zusätzlich stimmt die Bevölkerung einer Grenzprovinz durch Volksentscheid über ihre Zugehörigkeit zum Norden oder Süden ab und in zwei weiteren Grenzprovinzen sollen „popular consultations“ über die Beibehaltung eines Sonderstatus im Norden durchgeführt werden. Die beiden Volksabstimmungen und die „popular consultations“ bergen erhebliches Konfliktpotential. Außerdem ist das Referendum im Süden für den gesamten afrikanischen Kontinent von enormer politischer Bedeutung: erstmals stehen von europäischen Kolonialmächten gezogene Staatsgrenzen zur Disposition.

Ob die erhoffte Wende, eingeleitet mit der Unterzeichnung des CPA zwischen den Konfliktparteien im Nord- und Südsudan, mit dem Referendum ein glückliches Ende findet, beurteilen Beobachter zunehmend mit großer Skepsis: zu mangelhaft seien die internen Vorbereitungen im Süd- und Nordsudan getroffen worden, zu wenig hätten sich die offiziellen CPA-Garantiemächte – dazu gehört auch die EU – bisher für die Umsetzung des Abkommens durch die beiden Vertragsparteien engagiert.

Diese Skepsis ist vielfach begründet. Noch hat sich der Süden mit der Regierung in Khartum nicht über einen endgültigen Grenzverlauf einigen können. Noch fehlen ein klarer Zeitplan und umfassende Regelungen über die Teilung von Öleinnahmen und staatlichen Vermögens, über Minderheitenschutz sowie die zukünftigen Sicherheitsabkommen zwischen Nord und Süd für die Zeit nach der Volksabstimmung. Auch die planmäßige Abhaltung des Referendums selbst muss mit internationaler Unterstützung sichergestellt und die Entsendung internationaler Beobachter vorbereitet werden. Schließlich liegt es auf der Hand, dass die Regierung Khartums den an Bodenschätzen und mit fruchtbarem Ackerland überaus reich gesegneten Süden nicht ohne weiteres ziehen lassen möchte. Khartum wird alles versuchen, um die Einheit des Landes zu erhalten.

Bei aller Sorge um die äußeren, mangelhaften Vorzeichen darf jedoch nicht vergessen werden, dass es für die Bevölkerung im Südsudan um mehr geht, als nur um die technischen und legalen Aspektes eines Referendums. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte ist dies für die Südsudanesen viel mehr eine Frage der Umsetzung von Menschenrechten und Menschwürde. Darin liegt wohl der Grund, dass, angesichts der mangelhaften Vorbereitungen die Partei des Südens, Sudan Peoples’ Liberation Movement (SPLM) mit Salva Kiir an der Spitze, kürzlich in Washington D.C. erklärte, dass keine Verschiebung des Abstimmungstages in Frage käme und dass der Tag des Referendums im Januar 2011 „in Stein gemeißelt“ sei. Auf die Ernsthaftigkeit einer Loslösung vom Norden deuten auch zunehmend Aussagen hin, die eher von einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Südens vom Norden ausgehen, als von einer Verschiebung des Referendums sprechen.

Beide Seiten, der Süden und der Norden, haben in den zurückliegenden Jahren erheblich aufgerüstet. Ein Scheitern des Referendums birgt die große Gefahr des Aufflammens neuer bewaffneter Auseinandersetzungen mit fatalen Auswirkungen für das gesamte Land. Unter Umständen wäre eine einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit die Folge und dies würde sich die Zentralregierung in Khartum nicht bieten lassen und den sich seit wenigen Jahren anbahnenden Frieden zwischen Nord- und Südsudan mit einem Federstrich zunichte machen. Ein erneuter Ausbruch des Bürgerkriegs kann in der gesamten Region Zentral- und Ostafrikas verheerende Wirkungen entfalten.

Hinzu kommt, dass das Schicksal von Millionen von Südsudanesen, die sich aufgrund interner Flucht und Vertreibung im Nordsudan befinden, nach wie vor völlig ungewiss ist.

Bei aller notwendigen Konzentration auf das Referendum im Süden dürfen wir den andauernden Konflikt in Darfur nicht vergessen. Trotz eines anfänglich hoffnungsvollen Friedensprozesses in Qatar ist zwar leider weiterhin kein umfassendes Friedensabkommen mit den relevanten Rebellentruppen in Darfur in Sicht, aber es gibt Zeichen die darauf hindeuten, dass zerstrittene Konfliktparteien Bereitschaft zu künftiger Zusammenarbeit signalisiert haben. Zu oft haben sich Öffentlichkeit und Politik nur auf Teilkonflikte im Sudan konzentriert Eine erfolgreiche Friedenspolitik muss diese Konflikte jedoch in ihrem Zusammenhang sehen und auch die Nachbarländer wie den Tschad in den Blick nehmen.

Im Hin und Her des gegenseitigen Prä-Referendum-Geplänkels gibt es aber auch hoffnungsvolle Zeichen. So hat u.a. die Registrierung der zur Volksabstimmung Berechtigten endlich begonnen und die Regierung in Khartum erneut bestätigt, das Ergebnis eines ordnungsgemäß durchgeführten Referendums anzuerkennen. Freilich sind genug Kräfte am Werk, die dies alles zu verhindern suchen.

Die Kirchen im Sudan spielen auch in der derzeitigen Situation eine enorm wichtige Rolle. Aufgrund ihres Beistands für die Alltagsnöte der Menschen, der Bedrohung durch islamistisch radikale Kräfte, ihres Einsatzes für Menschenrechte und für Frieden und Versöhnung genießen sie in der gesamten Bevölkerung großes Vertrauen, auch unter den Nichtchristen. Aktuell drängt der Sudanesische Kirchenrat (SCC), in dem neben protestantischen und orthodoxen Kirchen auch die kath. Kirche vertreten sind, im Blick auf das bevorstehende Referendum auf eine termingerechte und ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung. In Zusammenarbeit mit kirchlichen Partnern der weltweiten Ökumene setzt sich der SCC dafür ein, dass die internationale Staatengemeinschaft dem Sudan bei der der Umsetzung des Umfassenden Friedensabkommens unterstützt. Vor allem rufen die Kirchen des Sudan auf, in diesen Tage tiefgreifender Entscheidungen für eine friedvolle Zukunft des Landes zu beten.

Die Bundesrepublik Deutschland beobachtet die Entwicklungen im Sudan nicht nur mit großer Aufmerksamkeit, als EU-Mitglied hat sie als eine der Garantiemächte zur Umsetzung des Umfassenden Friedensabkommens im Sudan auch große Verantwortung übernommen. Neuerdings, als Mitglied im UN-Sicherheitsrat, hat sie noch mehr Einfluss, darauf hinzuwirken, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf die sudanesischen Konfliktparteien erhöht, damit das im CPA niederlegte Referendum plan- und ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Sie kann auch eigene Zeichen setzen und aktiv zur Stabilisierung der Lage beitragen, indem sie selbst einen Sudanbeauftragten, ähnlich wie andere europäische Länder, ernennt, um einen weiteren notwendigen Beitrag zur Stabilisierung des Sudan zu leisten. Darüber hinaus ist vor allem auch der Zeit nach dem Referendum Aufmerksamkeit zu schenken. Die Neuorientierung im Falle einer Abspaltung des Südens, die Versöhnungsarbeit, auch des Südens mit dem Norden, die noch ausstehenden ungelösten politischen Probleme wie genaue Grenzziehung, Verteilung der Öleinkommen sind nur einige wenige Herausforderungen, die gemeistert werden müssen.

Die historische Chance für eine bessere Zukunft des Sudan war noch nie größer als heute. Sie darf nicht verspielt werden, gerade angesichts zunehmend dunkler Wolken, die am Horizont des bevorstehenden Referendums aufzuziehen drohen. Im Lichte dessen lohnt es, sich den richtungsweisenden Beschluss des Deutschen Bundestages vom März 2010 zum Sudan nochmals ernsthaft vorzunehmen, um den Forderungen zum Friedenprozess und zur Verbesserung der humanitären und menschenrechtlichen Lage zum Durchbruch zu verhelfen.

Volker Faigle

Der Verfasser ist Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den Sudan und Oberkirchenrat beim Bevollmächtigten des Rates der EKD in Berlin.