Präses Kock hält Eröffnungspredigt vor dem Zentralausschuss

26. August 2002

Vom 26. August bis 3. September 2002 tagt in Genf der Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Die diesjährige Sitzung hat vor allem zwei Schwerpunkte.

In den letzten Jahren sind wieder verstärkt Fragen der Kirchenlehre in den Mittelpunkt der ökumenischen Diskussion gerückt. Mit diesem Thema hat sich die "Kommission für Glauben und Kirchenverfassung" beschäftigt. Ihre Ergebnisse werden hierbei Diskussionsgegenstand sein.

In diesem Zusammenhang steht auch die Arbeit der "Sonderkommission über die Mitarbeit der Orthodoxen im ÖRK". Dabei geht es um die Beziehung der Orthodoxen zu den Nichtorthodoxen innerhalb des ÖRK. Die Kommission unterbreitet im Hinblick darauf Vorschläge zur strukturellen Änderung des ÖRK.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) , Präses Manfred Kock, hält den Eröffnungsgottesdienst zum Auftakt der Tagung des Zentralausschusses des ÖRK. Darin führt er unter anderem folgendes aus:

"Welch ein Aufatmen war durch die Welt gegangen, als die Mauern zwischen Ost und West verschwunden waren! Nicht nur Veränderung der Welt, sondern ihre Verbesserung schien nahegerückt. Wie war die Hoffnung auf Frieden gewachsen! Selbst Stellvertreter-Kriege in Afrika, Asien und Lateinamerika, mit denen die beiden Großmächte um Einfluss kämpften, müssten doch jetzt überflüssig sein. - So hatten viele gehofft.
Aber nun zeigt sich: Viel Schlimmeres scheint sich zusammenzubrauen. Ein Kampf der Zivilisationen beginnt sich zu entwickeln. Die globale Wirtschaft scheint Hunderte von Millionen Menschen überflüssig zu machen. In vielen Gegenden herrscht die Macht der nackten Gewalt – selbst Kinder sehen keine Überlebenschancen als nur die des blutigen Kriegshandwerks. Organisierte Kriminalität verdient an Waffen und Drogen – und Millionen kommen um.

„Ich bin nicht besser als meine Väter“, lautet die resignierte Klage des Elia. Ein Bild der Enttäuschung und der Resignation könnte das auch für die ökumenische Bewegung sein.

Welch eine Hoffnung hatte die Christenheit in Amsterdam 1948 ergriffen – nach dem schrecklichen Weltkrieg! Erneuerung und Einheit sollte der Beitrag der getrennten christlichen Kirchen sein. Die Kolonialzeit ging dem Ende entgegen. Missionskirchen wurden selbständige und selbstbewusste, lebendige Kirchen. Den traditionellen Mutterkirchen haben sie inzwischen viel an Geisteskraft voraus.
„Glaube und Kirchenverfassung“ - vor 75 Jahren ist die Bewegung in Gang gekommen. Erkenntnis und Kenntnis voneinander sind gewachsen seitdem. Das Lima-Dokument über „Taufe, Eucharistie und Amt“ wurde verabschiedet, mit der beglückenden Erkenntnis, wie nahe die Kirchen einander gekommen sind.
Aber auch in dieser ökumenischen Bewegung sind viele Hoffnungen zusammengebrochen.

Konfessionalismus als eine Gegenbewegung zur Einheit wächst immer wieder heran. Die Vielfalt der Konfessionen lässt nicht nur geistlichen Reichtum ahnen. Sie fördert auch Abgrenzung und Gegnerschaft, Furcht vor Proselytismus macht sich breit und die Angst, die eigene Überlieferung könne verfälscht werden. Manchen fällt selbst das gemeinsame Gebet schwer, – wie kann denn da die Einheit in den Sakramenten wachsen?

Dabei sind die Herausforderungen an den Glauben der Christen doch so viel größer geworden. Verfolgungen und Massaker haben Geschwister in vielen Ländern zu erleiden, in Pakistan, in Nigeria, in Indonesien, in Indien und an anderen Orten. Sie werden verfolgt, nicht weil sie Presbyterianer oder Episkopale sind, sondern weil sie Christen sind. Der Materialismus breitet sich weiter aus, korrumpiert die Starken, zerstört ihre Seelen und lässt die Leiden der Armen ins Unermessliche wachsen.
„Ich bin nicht besser als meine Väter“, hatte Elia geklagt. Und hatte unter dem Wacholderstrauch den Tod herbei gewünscht.

Nie mehr aufstehen, nie mehr wach werden müssen, nie mehr verantwortlich sein, alles vergessen können, sich selber loslassen wollen, solche Art der Erlösung kennen wohl manche. Das ist eine Todessehnsucht, die aus dem Gefühl der Ohnmacht erwächst. Lebenskrisen und schicksalhafte Lebenswenden bringen viele Menschen an den Rand der Existenz, so auch Elia. Er musste erkennen: Eine Welt, die man zu retten sucht, indem man das Böse tötet, gewährt keine Sicherheit! Ein Gott, dessen Sieg in Blitz und Donner gefeiert und dessen Widersacher nicht bekehrt, sondern getötet werden, schenkt keine Zuversicht. Eine Bluttat war noch niemals ein annehmbares Modell für den Umgang mit anders Glaubenden. In unserer multikulturellen Welt ist das besonders deutlich."

Hannover, den 26. August 2002
Pressestelle der EKD