EKD-Delegation kehrte aus Indonesien zurück

Ratsvorsitzender Kock traf indonesischen Staatspräsidenten Wahid in Jakarta

25. Mai 2000

Am 22. Mai 2000 traf der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Manfred Kock, mit einer 8-köpfigen EKD-Delegation den indonesischen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid, genannt Gus Dur. In dem einstündigen Gespräch in Jakarta wies Kock auf das Vertrauen hin, das dem 1999 gewählten indonesischen Präsidenten auch in Deutschland entgegengebracht werde. In den Gesprächen mit den kirchlichen Partnern in Indonesien und mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Nichtregierungsorganisationen sei eine große Sehnsucht nach mehr Demokratie, Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und Frieden in Indonesien spürbar gewesen, verbunden mit der Hoffnung, dass die Regierung von Präsident Wahid darin deutliche Fortschritte für Indonesien erzielen möchte. Konkret benannte Kock fünf Problemkreise, die in dem von einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise geprägten Land die Ursachen für z.T. schwere Unruhen sind: die soziale Gerechtigkeit, die internen Flüchtlinge (z.B. in Westtimor und Morotai), das Zusammenleben der Religionen mit den heftigen Konflikten z.B. in Ambon, wo allein 4500 Tote - Christen und Muslime - zu beklagen sind, das staatliche Gewaltmonopol, das durch studentische Gewalt in Frage gestellt ist, sowie schwerwiegende ökologische Probleme.

Präsident Wahid betonte in seiner Antwort das Bemühen seiner Regierung um eine schnelle Lösung der drängendsten Probleme des Landes. Schon im Juni sei mit einer Autonomieregelung für die im Norden der Insel Sumatra gelegene muslimische Provinz Aceh zu rechnen. Auch werde er schon bald nach Westpapua zur Aushandlung einer Autonomieregelung für diese Krisenregion reisen. Intensiv werde nach den Hintermännern gesucht, die zur Anheizung des außer Kontrolle geratenen Konfliktes auf der molukkischen Insel Ambon Waffen dort hin schmuggelten. Der dort zuständige General werde abberufen, da er sich als unfähig erwiesen habe. Die von Jihad-Kämpfern in die Provinz Ambon neu eingetragene Gewalt werde von den dort ansässigen Christen mit oft ebenso brutaler Gewalt beantwortet. In den Konflikten müsse ebenso entschlossen wie vorsichtig agiert werden, um einen Flächenbrand im ganzen Land zu verhindern. Die wirtschaftliche Lage Indonesiens sei besser als sie von den Medien dargestellt werde. England, Frankreich und Japan hätten Bereitschaft signalisiert, ihre Investitionen zu verdoppeln.

Weiterhin führte die Delegation ein Gespräch mit dem stellv. Religionsminister, Generaldirektor Dr. Marwan Saridjo. Hier wurde die Frage gestellt, wie die in Artikel 29 der indonesischen Verfassung garantierte Religionsfreiheit derzeit realisiert wird. Dr. Saridjo betonte das Bemühen seines Ministeriums um den interreligiösen Dialog in Indonesien, an dem auch die Weltkonferenz für Religion und Frieden (WCRP) aktiv beteiligt sei. Dieser erreiche jedoch nicht die Basis. Hinter den religiösen Konflikten in Indonesien stünden besonders soziale und ethnische Spannungen. Das Gefühl der Marginalisierung der einheimischen - überwiegend christlichen - Bevölkerung auf Ambon gegenüber den wohlhabenderen und besser gebildeten zugewanderten Muslimen sei eine wesentliche Quelle der eruptiven Gewalt. Das Militär werde als parteiisch erlebt. Die Bemühungen um eine Befriedung der Situation werde von Provokateuren beider Seiten gestört. Er bestätigte die Vermutung, dass das Motiv auch der Versuch der Destabilisierung der Regierung von Wahid sei. Die Arbeit von Menschenrechtsgruppen bewertete er positiv. Für die Möglichkeit, aus dem Ausland Fachkräfte zur Friedensvermittlung auf lokaler Ebene in sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Fragen einzuladen, zeigte sich Saridjo offen.

Im Gespräch mit dem Direktor für soziale und kulturelle Angelegenheiten im Außenministerium, Herrn Supardi, wurde von der Delegation u.a. auf das Problem der restriktiven Haltung lokaler Behörden in Indonesien bei der Erteilung von Genehmigungen für den Bau von Kirchen hingewiesen. Dies und die Meldungen über militante Jihad-Kämpfer machten es nicht leicht, für eine tolerantere Haltung gegenüber Muslimen in Deutschland zu werben, die konkret werde in der Befürwortung von islamischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und dem Bau von Moscheen. Supardi entgegnete, dass die Genehmigung für den Bau von religiösen Stätten für alle fünf registrierten Religionen in Indonesien (Muslime, Protestanten, Katholiken, Hindus, Buddhisten) nach den gleichen Regeln erteilt werde. Das Bemühen der indonesischen Regierung um Harmonie unter den Religionen sei nicht leicht und erfordere Zeit.

Professor Dr. Franz von Magnis-Suseno, SJ, der an der katholischen Driyarkara-Universität in Jakarta lehrt, wies im Gespräch mit der Delegation auf die Probleme der bevorstehenden Regionalisierung hin. Autonomie heiße in der Praxis die Verlagerung vieler Entscheidungen auf die Bezirksebene. Da die Kirchen zwar zur Zentralregierung wie auch zu den Provinzregierungen relativ gute Beziehungen aufgebaut hätten, nicht jedoch zu dieser mittleren Ebene, sei mit einer Verschlechterung der Situation für die Kirchen zu rechnen. Die Genehmigung für Kirchbauten, die in islamischen Gebieten schon völlig unmöglich geworden sei, werde noch schwerer als bisher zu bekommen sein. Zur größten Muslimorganisation Nahdlatul Ulama (NU) bestehe zur Zeit aber ein sehr gutes Verhältnis. Die Milizen der NU würden sogar beim Schutz von Kirchen gegen Zerstörung helfen. Einig sei man sich mit dem Islam über das Prinzip der Vergebung. Hingegen sei für Muslime die Rückgabe einmal von ihnen für den Islam reklamierter Gebiete ausgeschlossen. Seit 1959 sei Indonesien kein Rechtsstaat im Vollsinn mehr. In den 32 Jahren unter Suharto sei Gewalt befördert worden. Die heute besonders von jungen Leuten, insbesondere Studenten, geforderte Aufarbeitung der dunklen Jahre 1965 und 1966, als mindestens 500 000 Menschen Opfer der vom Westen damals geduldeten Gewalt geworden waren, gestalte sich schwierig.

Zuvor ließ sich die Delegation durch Vertreter von Kirchen und Nichtregierungsorganisationen aus den Krisengebieten in Ambon, Halmahera, Sulawesi, Timor und Westpapua über die derzeitige Situation informieren und beriet Möglichkeiten der Unterstützung aus Deutschland für eine Lösung der Probleme. Die Lage der jetzt noch 2000 Flüchtlinge auf der Insel Morotai drohe zu einer humanitären Katastrophe zu werden, wenn nicht schnelle Hilfe die leidenden Menschen erreiche.

Des weiteren besuchte die Delegation im Rahmen ihrer Reise die von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM/Wuppertal) geförderten Krankenhäuser UKI und Cikini in Jakarta sowie Projekte der UCM (Urban Community Mission), die von Brot für die Welt, der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe und vom Kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD gefördert werden, darunter eine Kindertagesstätte, die Gewerkschaft Tangerang und die Arbeit von UCM unter zurückgekehrten Wanderarbeiter/innen (migrant workers). Die Delegation begegnete auch dem unter Suharto mehrfach inhaftierten Gewerkschafter und Verfassungsjuristen Muchtar Pakpahan, dem Vorsitzenden der indonesischen Menschenrechtskommission (Komnas Han) Asmara Nababan sowie dem in Menschenrechtsangelegenheiten engagierten Rechtsanwalt Luhut Pangaribuan. Das Programm wurde abgerundet durch einen Empfang der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Jakarta und der deutschen Botschaft in Indonesien.

Hannover, 25. Mai 2000
Pressestelle der EKD