Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 1999

Der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Manfred Kock

9. Dezember 1999

Viele Christen unterschiedlicher Konfessionen setzen sich weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Sie tun dies in der Überzeugung, dass Gott allein Herr über Leben und Tod ist. Auch in Deutschland engagieren sich viele Gemeinden gegen die Todesstrafe. Der Rat der EKD hat im vergangenen Jahr zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den Vollzug der Todesstrafe als eine "besonders drastische und unheilbare Weise, die Menschenrechte zu verachten" bezeichnet und festgestellt: "Der Kampf um die weltweite Abschaffung der Todesstrafe seit 1948 ist nicht ohne Erfolg geblieben. Aber angesichts einer immer noch erschreckend hohen Anzahl an Hinrichtungen muss er unvermindert fortgesetzt werden." Das Thema Todesstrafe ist deshalb in diesem Jahr ein Schwerpunkt der Menschenrechtsarbeit der EKD.

Die Zahl an Hinrichtungen ist in einigen der 90 Staaten, in denen die Todesstrafe noch vollstreckt wird, in diesem Jahr sogar angestiegen. Dazu gehören neben China und Saudi-Arabien auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Einige Länder, wie Guatemala und die Philippinen, haben die Todesstrafe wieder eingeführt. In der Türkei ist die Todesstrafe seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr vollstreckt worden. Das oberste Berufungsgericht des Landes hat jedoch gerade das Todesurteil gegen Abdullah Öcalan bestätigt.

In Deutschland ist die Todesstrafe durch Artikel 102 des Grundgesetzes abgeschafft. Offiziell wird dies auch von niemandem in Frage gestellt. Und doch sind angesichts einer zunehmenden Gewaltbereitschaft und spektakulärer Medienberichte über Gewaltverbrechen, etwa an Kindern, viele Menschen auch bei uns bereit, brutalen Gewaltverbrechern das Recht auf Leben abzusprechen. Solche Gefühle der Rache, zumal bei den Opfern und ihren Angehörigen, sind nachvollziehbar. Sie dürfen jedoch nicht die Antwort der Gesellschaft auf diese Taten bestimmen.

Die Todesstrafe setzt ein falsches Zeichen. Durch ihre Vollstreckung relativiert der Staat selbst den Wert des menschlichen Lebens. Gewalt wird mit Gegengewalt beantwortet. Eine heilende Gerechtigkeit, die sich nicht auf die notwendige Bestrafung der Täter allein konzentriert, sondern Opfer von Gewalttaten und deren Angehörige unterstützt und sich für die Bekämpfung der Ursachen von Gewaltverbrechen einsetzt, kann dagegen den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen.

Es wird bei uns immer noch zu wenig für die Opfer von Gewaltverbrechen und ihre Angehörigen getan. Vielfach fehlen Hilfs- und Beratungsangebote. Von Medien zuerst bedrängt, werden Opfer und Angehörige schnell sich selbst überlassen. Die Anwendung von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung wird häufig einfach hingenommen. Viele Menschen schauen weg, wenn andere mißhandelt werden.

Hier setzt die "Dekade zur Überwindung von Gewalt" an, die die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen vor einem Jahr in Harare beschlossen hat. Die Kirchen sollen Orte sein, an denen Christinnen und Christen in ihrem Reden und Tun, ihrem Beten und Arbeiten Zeugnis dafür geben, welche besseren Chancen gewaltlose Mittel zur Konfliktbearbeitung im individuellen wie politischen Bereich bieten. Ich bitte alle, die sich auch jetzt in den Gottesdiensten zum Tag der Menschenrechte gegen die Todesstrafe einsetzen: Engagieren Sie sich weiter! Beten Sie für Opfer und Täter von Gewaltverbrechen! Füllen Sie die vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufene "Dekade zur Überwindung von Gewalt" mit Leben!

Hannover, den 9. Dezember 1999
Pressestelle der EKD