Gemeinsame Erklärung zur lutherisch-katholischen Verständigung in Fragen der Rechtfertigungslehre

Rat der EKD, Vorstand der Arnoldshainer Konferenz und Kirchenleitung der VELKD

11. Oktober 1999

Am Reformationstag 1999 werden der Lutherische Weltbund (LWB) und die römisch-katholische Kirche auf der Grundlage der in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre und den vereinbarten Zusatzdokumenten (der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung und dem Annex) erreichten Übereinstimmungen feierlich bekunden, daß zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht. Sie verbinden damit die Feststellung, daß die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die Lehre des Partners über die Rechtfertigung des Sünders vor Gott, wie sie in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vorgelegt wurde, nicht treffen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Vorstand der Arnoldshainer Konferenz und die Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) begrüßen diese Einigung. Sie stellt eine bedeutsame Annäherung zwischen reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche in zentralen Fragen der christlichen Lehre dar. Das Ergebnis dieses Prozesses ist von hoher Bedeutung für alle Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, nicht nur für die unmittelbar beteiligten Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes.

Zum ersten Mal seit der Reformation ist es mit der Gemeinsamen Erklärung und den Zusatzdokumenten gelungen, daß die seit damals getrennten Kirchen gemeinsame Aussagen zu jener Lehre machen, die einst Ausgangspunkt für das Zerbrechen der Einheit der abendländischen Kirche gewesen ist. Die Lehrverurteilungen, die sich auf die Rechtfertigungslehre beziehen, haben damit ihre kirchentrennende Wirkung verloren.

Das jetzt Erreichte bedeutet noch nicht die Herstellung von Kirchengemeinschaft. Es kann aber zu einer wichtigen Voraussetzung dafür werden, wenn es konsequent für die Weiterarbeit an den nach wie vor strittigen Themen genutzt wird, die die Gemeinsame Erklärung selbst nennt: insbesondere das Verhältnis von Wort Gottes und kirchlicher Lehre sowie die Lehre von der Kirche, von ihrer Einheit, vom kirchlichen Amt, von der Autorität in der Kirche und von den Sakramenten. Hoffnungsvoll stimmt uns die Aussage in der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche, wonach der erreichte Konsens Ausgangspunkt für weitere Dialogbemühungen sein soll, um "zu voller Kirchengemeinschaft, zu einer Einheit in Verschiedenheit zu gelangen, in der verbleibende Unterschiede miteinander 'versöhnt' würden und keine trennende Kraft mehr hätten". Damit wird auf das Konzept der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" Bezug genommen, das sich in der Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa auf der Grundlage der Leuenberger Konkordie von 1973 hervorragend bewährt hat und das von allen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland bejaht wird. Die reformatorischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche werden durch die nunmehr erreichte Verständigung über Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre auf das in der Heiligen Schrift bezeugte Evangelium zurückverwiesen, das allein der Grund der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" ist.

Die Gemeinsame Erklärung und die über sie geführte Diskussion haben die biblische Botschaft, daß der Sünder allein durch Gottes Gnade gerechtfertigt wird und daß er seine Rechtfertigung allein im Glauben empfängt, in einem erfreulichen Maß sowohl in den Kirchen wie in der Öffentlichkeit neu ins Gespräch gebracht. Dabei ist vor allem deutlich geworden: Die Rechtfertigungslehre ist der kritische Maßstab für die Kirche, an dem sich jederzeit überprüfen lassen muß, ob ihre Verkündigung und ihre Praxis dem, was ihr von ihrem Herrn vorgegeben ist, entspricht. Es geht um die Mitte der Heiligen Schrift. Alle Verkündigung der Kirche ist zu messen an der Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders: daß unsere Heilsgewißheit, d.h. der Grund unseres Lebens, unseres Vertrauens und unserer Hoffnung nicht in uns selbst zu suchen ist, sondern in Gott, der uns durch Christus mit unbeirrbarer Liebe begegnet. Die Aussage, der Glaubende sei "gerecht und Sünder zugleich", macht deutlich, daß die überlegene göttliche Gnade ihn von der Mitwirkung an seiner Rechtfertigung entlastet und zugleich von der Illusion befreit, er könne das ewige Leben auch als Lohn für seine guten Werke und Verdienste erwarten. Die Frage nach der zeitgemäßen Vergegenwärtigung der Rechtfertigungsbotschaft muß überzeugende Antworten in der Verkündigung der Kirche finden.

Die Auseinandersetzung um die Gemeinsame Erklärung, wie sie in der wissenschaftlichen Theologie, in den Kirchen und in den Medien geführt wurde, hat den Rezeptionsprozeß in Deutschland wesentlich geprägt und mit dazu beigetragen, daß offene Fragen benannt und unterschiedliche Profile in den Lehrtraditionen der beteiligten Kirchen deutlich herausgearbeitet wurden. Es bleibt eine Aufgabe, die vorliegenden Texte weiter zu diskutieren, kritisch zu befragen und mit darauf zu achten, daß sie in künftigen Dialogen in einer Weise aufgenommen werden, die den Ertrag der bisherigen Diskussion berücksichtigt.

Mit der jetzt erzielten Einigung sind die Voraussetzungen gegeben, um erneut an das in Deutschland erarbeitete und in allen Gliedkirchen positiv aufgenommene Dokument "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" von 1986 anzuknüpfen. Der weitere Dialog zwischen den reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche muß danach streben, daß sich die beteiligten Kirchen gegenseitig als Kirche Jesu Christi anerkennen. Das schon Erreichte ermöglicht es nach unserer Überzeugung, daß sie einander zur Teilnahme am Heiligen Abendmahl einladen. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und die Arnoldshainer Konferenz haben eine solche Einladung bereits in der Mitte der 70er Jahre ausgesprochen. Wir bekräftigen heute diese Einladung.

Wir bitten die Christen und Gemeinden, der erreichten Verständigung in Fragen der Rechtfertigungslehre fürbittend und mit Dank gegen Gott zu gedenken. Wir regen an, aus diesem Anlaß am 30. oder 31. Oktober mit den römisch-katholischen Gemeinden am Ort ökumenische Gottesdienste zu feiern.

Evangelische Kirche
in Deutschland


Manfred Kock
Präses
Vereinigte Evangelisch
Lutherische Kirche
Deutschlands

Roland Hoffmann
Landesbischof

Arnoldshainer Konferenz



Dr. Christian Zippert
Bischof

Hinweis: Diese Pressemitteilung wird zeitgleich von den Pressestellen der EKD, der VELKD und der Arnoldshainer Konferenz in Hannover und Berlin veröffentlicht.

Hannover/Eisenach/Kassel, 11.Oktober 1999

Pressestelle der Evangelischen Kirche in Deutschland