Erklärung zum Streit in der römisch-katholischen Kirche über die Zukunft der Schwangerschaftskonfliktberatung

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

24. September 1999

Die evangelische und die römisch-katholische Kirche in Deutschland waren bisher darin einig, sich um des ungeborenen Lebens und der schwangeren Frauen willen an der Pflichtberatung zu beteiligen. Dieser Konsens hat seinen Ausdruck gefunden in der gemeinsamen Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens" von 1989 (S. 70-73). Er besteht allem Anschein nach fort. Die Deutsche Bischofskonferenz wird aber daran gehindert, die der gemeinsamen Überzeugung entsprechende Praxis fortzusetzen. Ich bedaure dies außerordentlich. Die evangelische Kirche hält daran fest, in der gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatung mitzuwirken. Dieser wichtige Dienst für den Schutz des ungeborenen Lebens und für die Begleitung von Frauen in einer bedrängenden Konfliktsituation darf nicht aufgegeben werden. Wer nicht nur die Prinzipien des Lebensschutzes hochhalten, sondern die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich vermindern will, muß den Frauen in den realen Entscheidungssituationen, also auch in der Pflichtberatung nahe sein. Dies verdunkelt nicht die Klarheit des kirchlichen Zeugnisses für das eigenständige Lebensrecht auch schon der ungeborenen Kinder, es wird davon gerade gefordert.

Ich habe Verständnis für die Enttäuschung und Kritik, die die jüngsten Entwicklungen in der römisch-katholischen Kirche hervorgerufen haben. Pauschale Urteile führen jedoch in die Irre. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im Januar dieses Jahres mit ihrem Beratungs- und Hilfeplan ein Konzept vorgelegt, das sich sowohl durch Überzeugungstreue als auch durch Realitätssinn auszeichnete und das geeignet war, dem Schutz des ungeborenen Lebens auf wirksame Weise zu dienen. Daß mit dem Beschluß vom Juni dieses Konzept durch einen fragwürdigen, ja doppelbödigen Zusatz auf dem Beratungsschein belastet wurde, ist weniger der Deutschen Bischofskonferenz als vielmehr ihren deutschen Kritikern und der römischen Zentrale anzulasten.

Die gegenwärtigen Vorgänge machen auf ihre Weise die guten Gründe sichtbar, aus denen wir evangelischen Christen bis heute den Impulsen der Reformation folgen, mit anderen Worten: warum wir evangelisch sind und nicht römisch-katholisch. Ich bin dankbar für alle Annäherungen in Lehre und praktischem Handeln, wie wir sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, zuletzt in der Überwindung der Lehrverurteilungen, soweit sie die Rechtfertigungslehre betreffen. Das entscheidende Hindernis auf dem Wege zu voller Kirchengemeinschaft zwischen der römisch-katholischen Kirche und den reformatorischen Kirchen ist das Verständnis des Papstamtes als einer zentralen Entscheidungsinstanz.

Der in der römisch-katholischen Kirche ausgetragene Streit um die Schwangerschaftskonfliktberatung und sein zu vermutender Ausgang beschädigen die kirchliche Verläßlichkeit. Davon bleibt auch die evangelische Kirche nicht unberührt. Der Unmut richtet sich weithin pauschal gegen die Kirche. Das ist nicht anders, wenn die evangelische Kirche Anlaß zu Ärgernis und Kritik gibt. Ich wünsche mir allerdings, daß in den Meldungen, Kommentaren und Stellungnahmen zu kirchlichen Vorgängen genauer hingesehen und genauer geredet wird. In Deutschland und weltweit gibt es verschiedene Kirchen. Es ist ein Gebot der Sorgfalt und auch der Redlichkeit, zwischen den Vorgängen, Auseinandersetzungen und Entscheidungen in der römisch-katholischen Kirche und in anderen Kirchen zu unterscheiden.

Hannover, 24. September 1999
Pressestelle der EKD