Gemeinsames Wort zur Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche 1999 vom 26.9. bis 2.10.1999

Verschiedene Menschen - gleiche Würde

06. September 1999

Verschiedene Menschen - gleiche Würde. Mit diesem Motto möchten wir Sie zur Mitarbeit und Beteiligung an der Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche 1999 aufrufen.

Jedem Menschen kommt unabhängig von seiner Sprache, seiner Nationalität, seiner Hautfarbe oder Religion eine unveräußerliche Würde zu. Das ist ein zentraler, wenn nicht der zentrale Artikel unseres Grundgesetzes, das in diesem Jahr 50 Jahre besteht, und die Basis internationaler Menschenrechtskonventionen. Diese Würde zu achten und zu schützen ist eine moralische, politische und rechtliche Verpflichtung für alle staatliche Gewalt, jedoch ebenso eine Gebot für jeden Bürger.

Der Gedanke der Menschenwürde hat religiöse Wurzeln. Die biblischen Berichte von der Erschaffung der Welt bringen zum Ausdruck, daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Damit ist jedem Menschen eine besondere Würde verliehen, da er ein Abbild Gottes ist. Alle Unterschiede zwischen einzelnen Menschen, durch welche Merkmale oder Traditionen sie auch immer bedingt seien, sind nachrangig und relativ zu der Grundaussage, daß jedem Menschen eine unveräußerbare Würde zukommt. Nicht nur die jüdisch-christliche Tradition, sondern auch andere Religionen teilen diese Überzeugung.

Dies verpflichtet dazu, jeden Menschen immer und zuallererst als achtenswerte Person und von Gott geliebten Mitmenschen zu sehen. Die christlichen Kirchen fühlen sich in besonderer Weise verpflichtet, dies stets wieder in Erinnerung zu rufen. Eine Gesellschaft ist nur dann eine wirklich humane Gesellschaft, wenn Menschen in ihrer individuellen Prägung, mit ihren Fähigkeiten, ihren Erfahrungen und Überzeugungen, aber auch mit ihrem Anderssein und ihren Grenzen wahrgenommen, geachtet und akzeptiert werden. Das schließt auch ein, daß man unterschiedlicher oder gegensätzlicher Ansicht sein kann.

  • Die Würde des Menschen ist eine Grundhaltung des Respekts vor dem anderen. Wir brauchen eine politische Kultur, die dies vor allem für benachteiligte und bedrängte Menschen spürbar und erfahrbar macht.

  • Deswegen ist es notwendig, alles zu unterlassen, was andere Menschen herabsetzt, erniedrigt oder diskriminiert. Neben rechtlichen Garantien und Sicherheiten, die verbessert werden müssen, sind der Mut und die Zivilcourage vieler Bürger notwendig, die sich im alltäglichen Zusammenleben engagieren und ihrem Gewissen folgen.

  • Wagen Sie selbst auch gegenüber Fremden oder vermeintlich Fremden den ersten Schritt! Warum nicht beispielsweise in der eigenen Nachbarschaft anfangen? Nicht nur die Entdeckung unerwarteter Gemeinsamkeiten, sondern auch Konflikte können manchmal zu mehr Nähe und Verständnis füreinander führen. Schaffen Sie selbst ein Klima der Offenheit und der Entspannung! Widerstehen Sie allen Formen von Gewalt!

Die gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und die sich weiter intensivierende Zusammenarbeit der europäischen Staaten hat eine Situation geschaffen, in der der Gegensatz von "Inländern" hier und "Ausländern" dort in sehr hohem Maße nicht mehr angemessen ist. Wir müssen dringend Begriffe und Wörter revidieren, um das vielfältige Spektrum von heimisch gewordenen Fremden über Zugewanderte deutscher Abstammung bis zu Pendlern über nationale Grenzen sachlich richtig zu beschreiben und zu bewerten. Von allen Bürgerinnen und Bürgern ist zu erwarten, daß sie diese Vielfalt wahrnehmen und Klischees und Feindbilder vermeiden.

Es muß in unser aller Interesse liegen, daß Menschen, die auf Dauer in Deutschland leben, mit gleichen Rechten und Pflichten am öffentlichen Leben teilhaben. Der Abwehrgedanke darf nicht länger im Mittelpunkt stehen. In einer weltweit vernetzten und global orientierten Gesellschaft muß Migration zukunftsorientiert gesteuert und sozial gestaltet werden. Dazu muß das Staatsbürgerschaftsrecht geändert werden.

Im Zusammenleben mit Menschen muslimischer Tradition ist es wichtig, bewußt Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten zu suchen und anzusprechen. Dabei müssen auch Unterschiede akzeptiert und Verschiedenheiten ausgehalten werden. Die Einrichtung muslimischen Religionsunterrichts als ordentliches Schulfach fördert Integration und Dialogfähigkeit. Die positiven Beispiele guter nachbarschaftlicher Zusammenarbeit brauchen Unterstützung und Nachahmung.

Bei allen Bemühungen um Integrationslösungen hier in unserer Gesellschaft darf nicht vernachlässigt werden, weiterhin für die Anerkennung und Respektierung der Grundrechte in allen Teilen der Welt einzutreten. Denn sowohl die Förderung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit als auch die Bekämpfung von Unfreiheit, Unterdrückung und Verfolgung sind Voraussetzungen dafür, daß Menschen nicht dazu gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. Denn niemand wird freiwillig Flüchtling.

Die maßgeblich vom Christentum geprägte humanitäre Tradition Europas verpflichtet dazu, daß die europäischen Staaten auch künftig Menschen, die an Leib und Leben verfolgt werden, aufnehmen. Ein einheitliches europäisches Asylrecht, das sich an der Würde der bedrohten Menschen, nicht an dem Prinzip der Abschreckung orientiert und die gemeinsamen Verpflichtungen der europäischen Staaten verbindlich regelt, ist dringend notwendig.

Wir danken allen, die sich im zu Ende gehenden Jahrzehnt immer wieder mit großem Einsatz an Zeit, Kenntnis, Phantasie und Mut für benachteiligte und bedrohte Menschen eingesetzt haben. Wir hoffen, daß Sie sich trotz mancher Enttäuschungen auch weiterhin für diese Aufgabe engagieren werden. Wir wünschen Ihnen für ihre Mitarbeit einen langen Atem, Zivilcourage und Gottes Segen.

Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Bischof Dr. Dr. Karl Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Metropolit Augoustinos
Griechisch-Orthodoxer Metropolit in Deutschland

Weitere Materialien zur "Woche der ausländischen Mitbürger 1999" können schriftlich beim Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger, Postfach 16 06 46, 60069 Frankfurt am Main bestellt werden.