Ziel christlichen Handelns ist der Friede

Bischof Huber predigt zum 50. Jahrestag der römischen Verträge

25. März 2007

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der römischen Verträge in Berlin hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, im Berliner Dom beim Ökumenischen Vespergottesdienst, am Sonntag, 25. März, gepredigt. Nachfolgend der Wortlaut seiner Predigt.


Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Predigt im Ökumenischen Vespergottesdienst
zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge

Berliner Dom, 25. März 2007

1. Korinther 12, 12-27

I.
„Die wahren Veränderungen in Europa vollziehen sich in der Seele der Menschen. Wir wollen nicht mehr in unseren europäischen Nachbarn den Feind sehen, der uns nach dem Leben trachtet, der unser Wohlergehen, unsere Geltung beschneiden will. ... Wir wollen Mitbürger sein in einem europäischen Gemeinwesen.“ Diese Worte stammen von Walter Hallstein, dem ersten Präsidenten der Europäischen Kommission. In beeindruckender Weise verbinden sie die politische Gestalt Europas mit dem, was die Seele der Menschen bewegt. Europa ist kein abstraktes Gebilde; sondern es erwächst aus der Begegnung zwischen Menschen und zeigt sich in ihrem Handeln.

Doch zugleich übersteigt die Entwicklung Europas alles Handeln von Einzelnen. Mehr Mitglieder hat diese Union, als die Gründer vor einem halben Jahrhundert hoffen konnten. Unseren Dank für eine fünfzigjährige Geschichte des Friedens  bringen wir heute vor Gott. Der Verantwortung für das, was kommt, stellen wir uns im Angesicht des lebendigen Gottes. Den Dank für das Gelingen dieses Tages hier in Berlin schließen wir dabei mit ein. Er ruft uns – und wir wollen hören. Wir hören auf diesen Ruf als Glieder an einem Leib.

Gewiss: Der Apostel Paulus verwendet das Bild vom Leib und seinen Gliedern für die christliche Kirche, für den Leib Christi. Doch er knüpft dabei an ein Bild an, das in der politischen Sprache seiner Zeit vertraut war. Jeder politische Organismus, so dachte man in der bildermutigen und sprachmächtigen Zeit des Römischen Reichs, ist wie ein Leib. Seine Lebensfähigkeit hängt davon ab, dass die verschiedenen Glieder jeweils ihre Funktion wahrnehmen und zugleich zusammenspielen. Dafür kommt es entscheidend auf den Geist an, der den ganzen Leib prägt, auf die Seele, die ihn zusammenhält, auf die Aufgabe, der er dient. Weil es darum geht, mag es doch erlaubt sein, ein Bild, das der christlichen Kirche gewidmet ist, wieder an den Ort zu stellen, dem es ursprünglich entstammt: der Frage nämlich, was einen politischen Körper, eine politische Körperschaft  zusammenhält.

II.
Wir blicken heute auf eine Epoche, die von mutigen Menschen geprägt wurde. Sie trauten der Vergebung mehr zu als der Vergeltung. Sie nahmen einen Impuls der Bergpredigt Jesu auf. Damit vollzog sich eine Wende in der europäischen Geschichte.

Dafür investierten viele Menschen Kraft und Zeit, entwickelten Visionen, leisteten Überzeugungsarbeit. Unendliche Augenpaare sichteten umfangreiche Verträge, ungezählte Ohren lauschten zeitraubenden Verhandlungen, unermüdlich liefen Füße lange Flure entlang. „Wenn aber der Fuß spräche: Ich bin keine Hand“ oder „wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge“ und wenn sie deshalb meinten, sie gehörten dem Leib gar nicht an, dann hätte das eine nicht zum andern gefunden. Der Impuls zu „Vergebung statt Vergeltung“ wäre nicht wirksam geworden. Wir denken in Dankbarkeit an die Menschen, die dieser europäischen Idee eine politische Gestalt gegeben haben.

III.
Doch die Entwicklung Europas geht über das hinaus, was Menschen machen oder sich aus entwerfen können. „Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.“

Das Bild, mit welchem der Apostel Paulus Vielfalt und Einheit der christlichen Kirche beschreibt, kann auch als Sinnbild für Europa dienen. Gewissermaßen mit sechs Füßen begann der europäische Körper zu gehen. Heute ist er zu einer kräftigen Gestalt herangewachsen. Viele Konfliktherde wurden auf diesem Weg gelöscht; das begründet die Zuversicht, dass auch die Schwierigkeiten bevorstehender Wegstrecken gemeistert werden.

Unter den unerwarteten, ja unerwartbaren Ereignissen steht aus deutscher Perspektive das Wunder des Jahres 1989 ganz obenan. Mit jenem Jahr verbindet sich der unumkehrbare Prozess zur Freiheit in den Ländern Mittel- und Osteuropas, die heute großenteils zur Europäischen Union gehören. Europa ist mehr geworden, als es selbst aus sich machen konnte. Es lebt von einer Dynamik, die sich vor fünfzig Jahren kühn erhoffen, aber keineswegs erwarten ließ.

Der Körper Europas trägt zugleich die Narben langer und grausamer Kriege an sich, in denen er zerschunden und entkräftet wurde. Europa misshandelte seine eigene Seele. Es mochte scheinen, als zerstöre es selbst den Boden, auf dem es gehen und wachsen sollte. Doch genau auf diesem Boden entwickelte sich das größte Friedensprojekt der europäischen Geschichte.

IV.
So kam auch das Menschenbild neu zum Leuchten, das Europa von Beginn an anvertraut war. Zu dessen Quellen gehört das jüdisch-christliche Verständnis des Menschen, den Gott nach seinem Bild geschaffen hat. Daran knüpfen sich die Überzeugung von der unantastbaren Würde der menschlichen Person wie die Verpflichtung auf eine gerechte, solidarische und freiheitliche Ordnung der Gesellschaft. Dabei gehört es zu den Aufgaben Europas, für Gerechtigkeit und Frieden  auch in anderen Regionen der Erde einzutreten. Dafür, dass diese Prägung Europas auch auf dem weiteren Weg zur Sprache und zu Geltung kommt, treten wir als Christen mit Nachdruck ein.

 „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“ Diese apostolische Einsicht gilt auch politisch. Zur Seele Europas gehört eine globale Solidarität, wann immer die Würde des Menschen geschändet wird und die elementaren Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Denn zur Seele Europas gehört die Verantwortung für den Frieden. Aus geschichtlichen Schmerzen ist diese Verantwortung erwachsen.

Mit vielen Menschen denke ich dabei an die fortdauernde Friedlosigkeit im Nahen Osten; zu ihrer Überwindung beizutragen, ist eine unserer großen Verpflichtungen. Viele Menschen hoffen darauf, dass die Europäische Union dazu einen wirksamen Beitrag leisten kann.

Aber mir brennt ebenso die Situation in Darfur auf der Seele, wo sich eine humanitäre Katastrophe ereignet. Deshalb spreche ich auch an diesem Festtag die Bitte an die europäischen Regierungen aus, das ihnen Mögliche zu tun, um das Morden zu stoppen und das Elend der Millionen zu wenden. Auch an solchem Handeln kann die Seele Europas erkennbar werden.

V.
Jesus Christus war weder ein Feldherr noch ein Gotteskrieger, sondern ein jüdischer Rabbi, der in seiner Predigt die Sanftmütigen pries und die Friedensstifter „Gottes Kinder“ nannte. Ziel christlichen Handelns ist schon deshalb immer der Friede, niemals der Krieg. Dies ist die Perspektive aller Konfessionen in Europa; der Friede ist ihr gemeinsamer Auftrag.

Deshalb hat das Eintreten für den Frieden auf der Agenda der europäischen Kirchen einen wichtigen Platz. In einem der beiden jüngsten Mitgliedsländer der Europäischen Union werden wir in wenigen Monaten zur Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung zusammenkommen. In Hermannstadt in Rumänien wird diese Versammlung stattfinden. Sie steht unter dem Motto „Das Licht Christi scheint auf alle - Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa“. In unserem Gottesdienst weist eine große Kerze schon auf dieses Ereignis voraus. Wir wollen die Verantwortung der Christenheit für Gerechtigkeit und Frieden, für die Würde des Menschen und die Bewahrung der Natur unterstreichen. Wir setzen und dafür ein, dass auch die europäische Zivilgesellschaft zu einem lebendigen Organismus wird, zu dem viele Glieder beitragen. Denn wir wollen Europa gemeinsam gestalten.

Dafür erbitten wir Gottes Segen. Sein Friede reicht weiter als unser Wollen und Vollbringen. Das haben wir erlebt – und darauf vertrauen wir. Amen.

Hannover / Berlin, 25. März 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter