Zwischenbilanz des Gemeinsamen "Sozialwortes" der Kirchen

Bischof Dr. Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Salvatorkirche, Duisburg

25. Februar 1998

1. Das gemeinsame Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland hat seit seiner Veröffentlichung vor fast genau einem Jahr eine wahre Flut von Stellungnahmen, Beiträgen, Kommentaren und Meinungsäußerungen ausgelöst und eine Art heilsamer, geistig produktiver Unruhe in Kirche und Gesellschaft freigesetzt. Gemessen allein an der Zahl solcher Äußerungen und dem großen Lob, das der Kircheninitiative allseits großzügig gespendet wurde, war das Wort gewiß ein außerordentlicher Erfolg. Es gibt kaum ein vergleichbares kirchliches Vorhaben, das eine ähnlich große Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden hat.

Was aber hat das Wort tatsächlich bewirkt, was konnte es vernünftigerweise bewirken? Diese Frage ist, wenn man nach nunmehr einem Jahr seit seiner Veröffentlichung eine Zwischenbilanz zu ziehen versucht, ungleich schwieriger zu beantworten. Man kann sich jedenfalls nicht des vordergründigen Eindrucks erwehren, daß man die Kircheninitiative häufig nur deshalb förmlich mit Lob überschüttete, um sich dann um so eher einer sachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit den eigentlichen Anliegen entziehen oder gar Folgerungen daraus versagen zu können. Trotz auch mancher kritischer Auseinandersetzungen mit dem Wort und seinen Anliegen steht die eigentliche Diskussion und Reflexion darüber deshalb erst noch bevor. Ich denke hierbei insbesondere an die Abschnitte 3 und 4, das eigentliche Herzstück des Wortes, in denen aus dem christlichen Glaubensverständnis heraus und auf der Grundlage der christlichen Sozialethik die Prinzipien und Maßstäbe herausgestellt werden, die nach Ansicht der Kirchen unabdingbare Voraussetzung für eine solidarische und zukunftsgerechte Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sind.


2. Vor allem um diesen Grundkonsens geht es den Kirchen. Was die Gesellschaft auf ihrem weiteren Weg in die Zukunft trägt und zusammenhält, lehrt uns die zweitausendjährige Heils- und Wirkungsgeschichte des christlichen Glaubens. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend christlicher Zeitrechnung brauchen wir eine Erneuerung der Grundwertedebatte, die sich auf die ethischen, kulturellen und geistigen Werte im Verständnis christlichen Glaubens und christlicher Nächstenliebe besinnt. Auf das Wort "Grundwerte" allein kommt es dabei nicht an, es geht um den gemeinsamen Nenner von Wertüberzeugungen, sittlichen Maßstäben und verbindlichen Normen.

Der Individualisierungsschub in unserer Gesellschaft ist so mächtig, daß er diesen verbindlichen Grundkonsens, auf den jede Gesellschaft angewiesen ist, zu sprengen droht. Wir setzen demgegenüber auf Gemeinsinn und Gemeinsamkeit gegen Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Das Gemeinwohl muß wieder an die erste Stelle rücken und darf nicht allein der staatlichen Obhut und Vorsorge überantwortet werden. Wir setzen auf Solidarität und soziale Gerechtigkeit, die die Teilhaberechte des Schwächeren und die Würde eines jeden Menschen achtet und wahrt. Wir setzen auf Freiheit und Eigenverantwortung als Voraussetzung individueller Entfaltung. Die biblische Option für die Armen, Schwachen und Benachteiligten ist für uns der Maßstab, an dem sich die Sozialstaatlichkeit im Verständnis des Grundgesetzes und soziale Gerechtigkeit messen lassen müssen. Nicht der Markt, sondern der Mensch ist das Maß.


3. Die bedrängendste Sorge in unserem Land ist die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die mit über 4,8 Mio. Arbeitslosen im Januar 1998 einen neuen erschreckenden Höchststand erreicht hat. Allein in Duisburg sind über 37 000 Menschen, im Ruhrgebiet über 305 000 arbeitslos. Wir können und dürfen uns nicht damit abfinden, daß so viele Mitmenschen, Eltern, Geschwister, Nachbarn und Freunde in so großer Zahl von einem tätigen, eigenverantwortlichen und sinnerfüllten Leben sowie von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind, zu Kostgängem des Sozialstaates gestempelt und so an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Was uns alle bedrückt, ist die offensichtlich bestehende Rat-, Hilfs- und Konzeptionslosigkeit, um am Arbeitsmarkt tatsächlich eine Wende herbeizuführen. Bisherige Rezepte versagen, viele neue und weiterführende Ideen bleiben häufig schon im Ansatz stecken, werden zerredet oder scheitern an der kompromißlosen Verteidigung einseitiger Interessen, an überzogenem Besitzstandsdenken oder an politisch motivierten Blockaden. Diese wechselseitigen Verweigerungen machen unsere Gesellschaft unbeweglich.

Die Arbeitslosen haben keine Lobby und sitzen nicht an den Verhandlungstischen, wenn es um beschäftigungspolitisch wirksame Entscheidungen oder den Abschluß von Tarifverträgen geht. Wenn sie sich jetzt mit Protestaktionen und Demonstrationen gegen die lähmende Rat- und Tatenlosigkeit wenden und ihre Teilhabe- und Beschäftigungschancen einfordem, machen sie von ihrem Recht auf Arbeit Gebrauch, wie es auch das gemeinsame Wort postuliert. Die Kirchen sind mit diesen Forderungen der Arbeitslosen solidarisch. Wir brauchen über alle politischen Gräben und Fronten hinweg eine gemeinsame Kraftanstrengung aller, von Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften, um in gemeinsamer Verantwortung und Solidarität unter Zurückstellung von Eigeninteressen Wege aus der Beschäftigungskrise zu finden. Dazu gehört selbstverstänclich die Flexibilität und Änderungsbereitschaft der Betroffenen. Sie sollten sich davor hüten, sich politisch mißbrauchen zu lassen von Gruppierungen, die am Ende ganz andere Interessen verfolgen.


4. Mehr denn je sind heute der wirtschaftliche Erfolg und sozialer Fortschritt von der Innovations- und Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt, von den sozialen, kulturellen und strukturellen Bedingungen, der Infrastruktur und dem Bildungssystem abhängig. Diese Leistungen bringt die Gesellschaft insgesamt hervor und hält sie vor, und zwar mittels des Steuer- und Abgabenaufkommens der großen Masse der Bevölkerung. An diesen Leistungen partizipiert vor allem auch die Wirtschaft und zieht daraus Gewinn. Auch für sie gilt, daß sie über eine rein ökonomistische Betrachtungsweise hinaus von Bedingungen lebt, die sie selbst nicht zu schaffen und zu gewährleisten vermag. Unter diesem Aspekt haben deshalb auch Wirtschaft und Unternehmen über betriebswirtschaftliche Bilanzwerte hinaus eine weiterreichende Mitverantwortung für die Gesellschaft. Ihnen kann und darf es nicht gleichgültig sein, in welchem Zustand sich die Gesellschaft befindet, in der sie produzieren und agieren. Dies gilt nicht zuletzt im Blick auf das Bildungs- und Ausbildungssystem sowie die Zukunftsperspektiven der Jugend.

Ausgaben für Bildung und Ausbildung sind Investitionen in die Zukunft der Gesellschaft. Die Jugendlichen haben ein Anrecht darauf, im Wege der schulischen Bildung und Erziehung und eines bedarfs- und leistungsgerechten beruflichen Ausbildungssystems auf ein eigenverantwortliches Leben in Freiheit und die beruflichen Anforderungen einer Gesellschaft vorbereitet zu werden, in der der Zugang zu Wissen und Information fast grenzenlos ist. Um in einer solchen Welt ständiger Veränderungen bestehen zu können, brauchen die Jugendlichen freilich auch Halt und Orientierung. Zur Vermittlung eines festen Bestandes geistiger und ethischer Grundüberzeugungen ist für uns der schulische Religionsunterricht deshalb - unabhängig von der wichtigen grundgesetzlichen Garantie - unverzichtbarer Bestandteil einer ganzheitlichen Erziehung und Bildung.

Daß wir uns auch in der Kirche nicht damit abfinden wollen und dürfen, daß Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhalten und nach der Schule in Perspektiv- und Arbeitslosigkeit entlassen werden, zeigen viele erfreuliche Initiativen kirchlicher Institutionen und Einrichtungen. Ich denke hier an die Initiative des BDKJ, "Arbeit für alle", an die Beiträge von Kolping, BKU, KAB und vieler Sozialinstitute und beruflicher Bildungseinrichtungen. An dieser Stelle darf ich besonders die Ausbildungsplatzkampagne des Ruhrbistums Essen hervorheben und Weihbischof Franz Grave für seinen unermüdlichen Einsatz danken. Er hat Hand in Hand mit anderen Verantwortlichen bewiesen, daß man sich nicht zu schade sein darf, um notfalls auch bei Betrieben und Untemehmen von Tür zu Tür zu gehen, um zusätzliche Ausbildungsplätze zusammenzubetteln.


5. Indifferenz und Rücksichtslosigkeit sind weitgehend auch für das Verhältnis gegenüber Ehe und Familie insbesondere gegenüber Familien mit Kindem in unserer Gesellschaft bestimmend. Ehe und Familie sind nach unserem christlichen Verständnis die zentralen Grundinstitutionen und damit auch fundamentale Werte, die für die Kultur, die Menschlichkeit, die Verläßlichkeit und den Halt einer jeden Gesellschaft unentbehrlich sind, ihr ein menschliches Antlitz geben. Was Gemeinschaft, d.h. soziales Leben mit Geben und Nehmen bedeutet, lernt man zuerst in der Familie, am besten in Familien mit Kindern. Was Solidarität zwischen den Generationen konkret bedeutet, erfährt man in der Familie. Schulische Erziehung und berufliche Bildung können allein nicht die Mentalitäten und Verhaltensweisen, Wertmuster und Lebensüberzeugungen vermitteln, die in der Familie grundgelegt werden: Rücksichtnahme, Toleranz, Grundvertrauen und Liebesfähigkeit. Auch wenn es heute manchem altmodisch und weltfremd erscheinen mag, für uns katholische Christen ist und bleibt die auf Dauer und Unauflöslichkeit angelegte Ehe das tragende Fundament und die Grundlage einer jeden Familie. Gegen die Beliebigkeit und Flüchtigkeit unverbindlicher Partnerschaftsbeziehungen setzen wir im Sakrament der Ehe auf die Verläßlichkeit einer Lebens- und Liebesgemeinschaft, die für die Dauer des ganzen Lebens trägt. Bei allen sozialen Wandlungen steckt hier mehr geschichtlich und menschlich erfahrene Weisheit, als viele ahnen können. Wir werden dies in der Woche für das Leben 1998 beträchtlich zu vertiefen suchen.

Wir sind kein kinderfreundliches Land mehr. Mehrere Kinder zu haben, ist heute für manche zu einem Armutsrisiko geworden. Die Chance, mit zwei oder drei Kindern eine geeignete Wohnung in einem kinderfreundlichen Wohnumfeld zu finden, ist gering. In der hohen Zahl von Abtreibungen und einer damit einhergehenden Geringschätzung menschlichen Lebens und seines unbedingten Schutzes sehen wir ein weiteres erschreckendes Zeichen eines kinderfeindlichen Klimas in unserer Gesellschaft. Hierzu trägt auch - gewiß ungewollt und indirekt - eine Rechtsprechung bei, die die Zeugung und Geburt eines Kindes, wenn auch lediglich unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten, als Schadensursache begreift.

Die Leistungen, die die Familien für die Gesellschaft insgesamt erbringen, sind in ihrem materiellen Wert nicht bezahlbar und daran allein auch nicht meßbar. Sie sind im Grunde unersetzbar. Die Förderung und Anerkennung der Familienarbeit muß deshalb auch über einen rein materiellen Familienlastenausgleich hinausgehen. Was sich vor allem ändern muß, ist die strukturelle Rücksichtslosigkeit, die das Verhältnis der Gesellschaft gegenüber der Familie und den Kindern beherrscht. Den Familien und ihren Leistungen muß Gerechtigkeit widerfahren, Gerechtigkeit auch insoweit, als sie anderen gegenüber nicht auch noch benachteiligt werden dürfen. Dies gilt hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familienarbeit und Beruf ebenso wie hinsichtlich der Bereitstellung bezahlbaren familiengerechten Wohnraums oder von Kinder- und Jugendbetreuungseinrichtungen. Wir sehen uns in dieser Frage auch als Kirche in der Pflicht, erwarten freilich angesichts der Lasten, die wir tragen, auch die aktive Unterstützung der Gesellschaft und des Staates.


6. Die bisher dargestellten sozialen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten und Belastungen werfen die Frage nach der Wirksamkeit des Sozialstaates und der Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit in der weiteren Zukunft auf. Die notwendige Diskussion und Auseinandersetzung darüber wird in unserem Lande seit geraumer Zeit vorwiegend unter dem alles überlagernden Stichwort "Globalisierung" geführt. Dahinter steht mit dem weltweiten Wettbewerb, den gewaltigen Umbrüchen durch die technischen Umwälzungen und den beschleunigten Wandel zweifellos eine elementare Herausforderung, die auch einen wachsenden Konflikt zwischen nationalen und sogar kontinentalen Traditionen hervorruft. Es ist eine Überlebensfrage, wie wir im Sturm dieser Veränderungen bestehen können. Es ist klar, daß wir alle davon ergriffen werden und daß keiner unverändert bleibt.

Aber es kommt darauf an, wie man davon spricht. Globalisierung muß nämlich als Argument für fast alle wirtschafts-, sozial- und beschäftigungspolitischen Fehlentwicklungen und Schwierigkeiten herhalten, von der Arbeitslosigkeit, dem weiteren Beschäftigungsabbau, Firmenpleiten und dem Abbau sozialstaatlicher Leistungen bis hin zu der zu hohen Staats- und Abgabenbelastung einerseits und der defizitären Entwicklung und Überschuldung der öffentlichen Haushalte andererseits. Entsprechend wohlfeil sind die jeweils daran geknüpften Folgerungen und Empfehlungen. Kein Wunder, daß manche - sicher auch eine unerlaubte Vereinfachung - hinter einer solchen Berufung auf Globalisierung einen erneuerten Kapitalismus und so etwas wie "Marktwirtschaft pur" vermuten.

Hinter der Globalisierungsdebatte in unserem Lande verbirgt sich zum einen eine schwer erträgliche Binnenschau, die weder den eigentlichen Anliegen und Herausforderungen einer global vernetzten Welt noch den Lebenschancen und Teilhaberechten der Menschen in den unterentwickelten Ländern der sog. Dritten Welt gerecht wird. Zum anderen wird erstaunlich davon abgesehen, daß wir als Exportweltmeister gelten, uns also im weltweiten Standortwettbewerb durchaus zu behaupten wissen. Auch kann nicht übersehen werden, daß viele Probleme und Schwierigkeiten hausgemacht sind, also von uns auch selbst zu lösen sind. Wir müssen unsere Hausaufgaben selbst machen.

Die Globalisierung ist nicht neu, nicht schicksalhaft, auch ist man ihr nicht wehr- und hilflos ausgesetzt. Sie ist - und dies soll keineswegs in Abrede gestellt werden - ein komplexer Vorgang mit vielfältigen Aspekten, zu denen das weltweite Zusammenwachsen der Gütermärkte infolge sinkender Handelsschranken ebenso rechnet wie die erhöhte Mobilität von Produktionsfaktoren, insbesondere des Kapitals, der unternehmerischen Initiative und des technischen Wissens. Bei diesem Wettbewerb geraten zwangsläufig die standortgebundenen Faktoren, vor allem die überwiegend immobil bleibenden Arbeitskräfte, unter Druck.

Der mit der Globalisierung einhergehende Standortwettbewerb ist deshalb verständlicherweise mit vielerlei Befürchtungen verbunden. Diese reichen von einer Aushöhlung sozialstaatlicher Leistungen über eine Verminderung des arbeitsrechtlichen Schutzes bis zur Herabsetzung des Umweltstandards und einer Senkung der Einkommen. An diesen Fragen und Sorgen kommt keine verantwortliche Politik in keinem Land der Erde vorbei. Die Globalisierung und der damit einhergehende weltweite wirtschaftliche Wettbewerb ist für kein Land ein Nullsummenspiel und zwingt nicht zuletzt auch uns zu teilweise schmerzlichen Anpassungen.

Die Probleme einer global vernetzten Welt können freilich weder auf nationalstaatlicher Ebene allein noch durch völlig ungesteuerte und unkontrollierte Marktprozesse gelöst werden. Sie bedürfen der fairen Gestaltung, die in Verantwortung für ein übergreifendes "Weltgemeinwohl" das Recht eines jedcn Menschen achtet, in Würde zu leben und an den Gütern dieser Erde in sozial-gerechter Weise teilzuhaben. Eine solche Gestaltung muß auf der Grundlage eines übergreifenden Regelungskonzepts, einer Art von "Weltgesellschaftsvertrag", insbesondere die Armutsbekämpfung und eine nachhaltige Entwicklungshilfe einschließen. Sie kommt nicht ohne so etwas wie eine globale Ordnungspolitik aus. Eine Ideologie des totalen Weltmarktes, die die Lebenschancen und Teilhaberechte des größten Teils der Menschheit in den Ländern der Dritten Welt mißachten würde, wäre zynisch und menschenverachtend. Dies erkennt beispielsweise auch die Weltbank an, wenn sie liberalistische Vorstellungen eines "Minimalstaates" zurückweist und eine gemeinsame Rahmenordnung auf internationaler Ebene für notwendig erachtet. Was sich heute noch wie eine Utopie ausnimmt, ist jedoch schon jetzt ein dringendes Bedürfnis.

Die Kirchen sehen sich in der Mitverantwortung für ein solches Weltgemeinwohl. Die Kirche ist ihrem Wesen nach weltweit und setzt sich in ökumenischer Zusammenarbeit und in intensiven Partnerschaften bis auf die Ebene von Gemeinden und Ortskirchen in allen Kontinenten für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung ein. Die großen kirchlichen Werke in Deutschland, ADVENIAT, von Kardinal Hengsbach mitbegründet und mit Essen als Hauptsitz - Brot für die Welt, Hoffnung für Osteuropa, MISEREOR, MISSIO, RENOVABIS leisten nicht nur unmittelbare Hilfe vor Ort, sondern tragen ebenso zur entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Bewußtseinsbildung bei. Die Kirchen kommen damit gerade auch in diesem Bereich ihrem Auftrag zur Weltgestaltung und Weltverantwortung wirksam und erfolgreich nach.

Mit dem heutigen Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Ich benutze deshalb die Gelegenheit, auf die 40. MISEREOR-Fastenaktion der deutschen Katholiken aufmerksam zu machen, die am 28. Februar in Köln mit einer Kundgebung und am 1. März im Kölner Dom mit einem Gottesdienst eröffnet wird. An den Eröffnungsveranstaltungen nehmen auch diesmal wieder Vertreter der Weltkirche, Bischof Belo von Osttimor, Erzbischof Edmundo Abastoflor aus Bolivien und Erzbischof Henri Teissier aus Algerien teil. Die Länder, aus denen die Bischöfe kommen, stehen zugleich für das Ausmaß des Bedarfs an Hilfe und der erwarteten Hilfeleistungen. Die Spendenbereitschaft in unserem Lande hat trotz der eigenen Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, nicht nachgelassen. Auch von dieser Stelle aus sage ich ein herzliches Vergelt's Gott für alle Hilfs- und Opferbereitschaft.


7. Die 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages neigt sich ihrem Ende zu. Am 27. September 1998 wird der 14. Deutsche Bundestag gewählt, dessen Wahlzeit bis in das dritte Jahrtausend reicht. Der Wahlkampf hat bereits begonnen; an anderen Orten in Deutschland sind zur gleichen Zeit politische Aschermittwochsveranstaltungen im Gange, die der Sammlung der eigenen Kräfte und der Einstimmung auf die Wahlkampfauseinandersetzungen dienen.

Mit der bevorstehenden Bundestagswahl werden in Deutschland die politischen Weichen für den Beginn des nächsten Jahrtausends gestellt. Der anstehende Entscheidungsbedarf reicht von der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Reform der Steuer- und Finanzpolitik über die notwendige Anpassung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolltik bis hin zur Überprüfung und Erneuerung der Finanzierungsgrundlagen der sozialen Sicherungssyssteme. Vor allem aber gilt es, energisch und mit allem Nachdruck die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit anzugehen.

Es steht außer Zweifel: Die anstehenden Probleme können nur gemeinsam gelöst werden. Bei aller Anerkennung durchaus berechtigter Einzelinteressen erfordert die heutige Lage ein weit höheres Maß an Gemeinsamkeit, als dies derzeit der Fall ist. Mit ihrem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland streiten die Kirchen für einen Grundkonsens über diese tragenden Elemente einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Grundkonsens wird dabei nicht verstanden als utopische Maximalforderung an Harmonie, sondem als ein ausreichendes Maß an Gemeinsamkeit, um trotz verbleibender Gegensätze unabweisbare Entscheidungen zur Bewältigung der drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme herbeizuführen.

Diese Entscheidungen erfordem Solidarität, Augenmaß, Kompromißfähigkeit, vor allem aber Verzicht auf Lagerdenken und Verweigerungsstrategien. Es müssen endlich die oft ideologisch bestimmten Schützengräben verlassen, die kompromißlose Verteidigung von Sonderinteressen im Namen des übergeordneten Gemeinwohls aufgegeben und die politischen Selbstblockaden überwunden werden.

Mit ihrem Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland treten die Kirchen für einen Grundkonsens über die tragenden Elemente einer zukunftsfähigen Gesellschaft ein, für den das christliche Menschenbild, die ethischen Traditionen der Bibel und die Prinzipien der christlichen Sozialethik bestimmend sind. Das gemeinsame Wort ist uns auch bei der anstehenden Bundestagswahl ein unerläßlicher Prüfstein, an dessen Anforderungen sich die parteipolitischen Programme, die vorgeschlagenen Konzepte und die zur Wahl stehenden Kandidaten messen lassen müssen.

Duisburg, 25. Februar 1998
Pressestelle der EKD