"Es muss sich etwas in den Köpfen verändern"

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock, zum Auftakt der Internationalen "Dekade zur Überwindung von Gewalt" des Ökumenischen Rates der Kirchen in Berlin

04. Februar 2001

Rings um den Erdball wächst die Sorge über die zunehmende Gewalt. Nachrichten über kriegerische Konflikte, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Brutalität in Video und Fernsehen halten uns in Atem. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist dankbar, dass der Ökumenische Rat der Kirchen durch die Ausrufung der weltweiten "Dekade zur Überwindung von Gewalt" die Dringlichkeit dieser Aufgabe in den Mittelpunkt seiner Arbeit rückt. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass der Zentralausschuss des ÖRK die weltweite Dekade am kommenden Sonntag, 4. Februar, in Berlin eröffnen wird. Die Stadt ist für diesen Anlass ein ausgezeichneter Ort. Berlin war mit seiner nun auf friedliche Weise niedergerissenen Trennmauer ein Symbol für eine Welt, die jahrzehntelang in der Gewalt des Kalten Krieges erstarrt schien. Die gewaltsame Trennung Deutschlands wurde gewaltlos überwinden.

Doch bleibt Gewalt in Deutschland eine zentrale Herausforderung auch für die Kirchen. Bei der Suche nach Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktvorbeugung und -lösung sehe ich für die nächsten Jahre in drei Bereichen eine besondere Verantwortung:

  • Gewalt in unseren Häusern und Familien: Noch immer halten zwei Drittel aller Eltern körperliche Strafen für ein legitimes Mittel der Erziehung. Gewalt gegen Frauen und der sexuelle Missbrauch von Kindern gehören zu den Schattenseiten unserer Gesellschaft.

  • Rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalt: Deutschland war in den zurückliegenden Monaten leider Schauplatz von zahlreichen Gewaltakten gegen Menschen anderer Hautfarbe oder von Attacken gegen jüdische Gotteshäuser. Trotz zahlreicher von den Kirchen mit getragener Initiativen konnten wir dieses Problem noch immer nicht mit spürbarem Erfolg bekämpfen.

  • Gewalt zwischen den Völkern: Die Bilder vom Kosovo-Krieg sind uns noch gegenwärtig, die Eskalation der Gewalt in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten hat bis an den Rand eines Krieges geführt. In diesen wie in anderen Konflikten, zum Beispiel in Indonesien, wird immer wieder auch versucht, Religion für andere Interessen zu instrumentalisieren. Dagegen müssen sich Christen und Gläubige aus anderen Religionen gemeinsam wehren.
Dies alles macht deutlich: Es muss mehr geschehen, es muss sich etwas in den Köpfen verändern. Wir brauchen eine Kultur der Gewaltfreiheit. Sie muss eingeübt werden, zuhause im Wohnzimmer, auf dem Schulhof, in Stadt und Land ebenso wie in der internationalen Politik. Der Ökumenische Rat der Kirchen erinnert uns mit der Ausrufung der Dekade an diese Aufgabe. Sie ist nicht leicht und wir werden sie einem Jahrzehnt nicht abschließen können. Doch die Zustimmung, die EKD und Gliedkirchen dabei nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern aus breiten Kreisen der deutschen Gesellschaft erhalten, ist ermutigend. Wer sich für die Überwindung von Gewalt einsetzt, ist kein weltfremder Träumer. Wir wollen uns an die Arbeit machen an der "Dekade zur Überwindung von Gewalt", dem großen Projekt der weltweiten Christenheit, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens.

Hannover, 02. Februar 2001
Pressestelle der EKD