Abschied vom Nationalhelden Luther

Eröffnung der Nationalen Sonderausstellung "Luther und die Deutschen" auf der Wartburg bei Eisenach

3. Mai 2017

Lutherdenkmal in Worms, Rückenansicht des Reformators
Rückansicht der Skulptur Martin Luthers am Lutherdenkmal in Worms. (Foto: epd-Bild/Andrea Enderlein)

Eisenach (epd). Die grellen Aufkleber waren nicht zu übersehen: In giftgrüner Schrift auf gelbem Grund warben sie für "Kirchentage in der DDR im Lutherjahr 1983". Zentrales grafisches Element war ein Kreuz, das auch auf Plakaten, Plattencovern und Plaketten allgegenwärtig war. Für die kirchenfeindliche DDR war dies eine gewisse Sensation: Zu den Aktivitäten der evangelischen Kirche zum 500. Geburtstag Martin Luthers (1483-1546) gab der Staat so etwas wie einen offiziellen Segen.

Das brachte nicht nur den Großveranstaltungen eine bis dahin undenkbare Aufmerksamkeit. Auch die Sicht des SED-Staates auf Luther war eine ganz und gar andere geworden: Er galt nicht länger als "Fürstenknecht", sondern fand sich wieder in den "fortschrittlichen Traditionen", auf die sich die sozialistische DDR gern berief. Dies war wohl einer der krassesten Schwenks bei der Einschätzung des Reformators. Dabei sind Wandlungen im Lutherbild keine Besonderheit der DDR.

Die Perspektive auf Luther hat sich permanent gewandelt

Die Perspektive auf Luther hat sich permanent gewandelt. "Veränderungen hat es seit dem 16. Jahrhundert immer wieder gegeben", sagt der Historiker Marc Höchner. Anfangs hätten vor allem konfessionelle Aspekte dominiert. Martin Luther sei als Gründerfigur und geistiger Vater des Protestantismus gesehen worden, erläutert der promovierte Wissenschaftler. Höchner ist Kurator der Ausstellung "Luther und die Deutschen", die als eine der drei Nationalen Sonderausstellungen zum 500. Reformationsjubiläum am 3. Mai auf der Wartburg eröffnet wird.

Mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert habe sich der Blick auf den Reformator dann vom Konfessionellen gelöst, sagt Höchner: "Vielen gilt Luther seither als Begründer der Freiheit, vor allem der Freiheit des Gewissens." Diese Auffassung sei in der Luther-Rezeption "der wichtigste Schritt" gewesen, denn damit sei – unabhängig vom religiösen Gehalt seiner Schriften – erstmals die überkonfessionelle Bedeutung Luthers herausgestellt worden.

Die Wartburg als deutsches Nationalsymbol

300 Jahre nach der Reformation verbanden Studenten beim Wartburgfest in Eisenach den Gedanken freier Gewissensentscheidung mit der Forderung nach demokratischen Freiheiten. Die Versammlung von rund 500 Studenten und einiger Professoren 1817 war eine Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei und propagierte einen Nationalstaat mit einer eigenen Verfassung. Die Wartburg als Zufluchtsort Martin Luthers galt schon damals als deutsches Nationalsymbol.

Später im 19. Jahrhundert entwickelte sich schließlich ein ausgeprägt nationalistisches Lutherbild, wie Höchner feststellt. Spätestens mit der Reichsgründung von 1871 wurde Luther zu einer der bestimmenden Persönlichkeiten bei der Suche nach nationaler Identität – was nicht zuletzt Ausdruck fand in den zahlreichen Luther-Denkmälern, die den Theologen mit der aufgeschlagenen Bibel zum nationalen protestantischen Helden machten.  

Das Religiöse wurde zusehends verdrängt vom "deutschen Luther". Unter den neueren Nationen habe keine "je einen Mann gesehen, der so in Art und Unart das innerste Wesen seines Volkes verkörpert hätte", referierte der Historiker Heinrich von Treitschke zu Luthers 400. Geburtstag, den Staat und Kirche 1883 groß feierten.

Heute zerfällt das Bild in zahllose Facetten

Mit der Wahrnehmung als Nationalheld war es spätestens nach 1945 vorbei. "Nach Vereinnahmung und Missbrauch auch von Martin Luther durch die Nationalsozialisten gingen die alten Bilder nicht mehr", betont Höchner. In der Nachkriegszeit hätten sich für den Reformator im Westen Deutschlands vor allem Theologen interessiert. Im Osten sei dagegen versucht worden, das alte Heldenbild umzukehren in sein Gegenteil. Am Anfang stand 1947 die Schrift "Von Luther bis Hitler". Doch vom Pamphlet des späteren Doppelagenten Wolfram von Hanstein distanzierte sich damals selbst die SED-Führung.

Mittlerweile zerfällt das Bild vom wichtigsten Repräsentanten der Reformation in zahllose Facetten. "Das eine Lutherbild gibt es nicht", betont denn auch Kurator Höchner und fragt sich, wer oder welche Instanz denn in einer freien Gesellschaft darüber entscheiden sollte. So finden sich zur Annäherung an den Menschen Martin Luther neben theologischen Fachbüchern längst unterschiedlichste Darstellungen in allen nur denkbaren Medien. Diese Vielfalt spiegle sich auch in Zufallsbefragungen unter Besuchern auf der Wartburg wider, sagt Höchner: "Wie auch immer die Antworten ausfallen – Luther sagt ihnen etwas."

Thomas Bickelhaupt (epd)