Faire Geschäfte im Wandel der Zeit
Besuch in einem der ältesten und dem jüngsten Weltladen
7. März 2016
Wahres Engagement kann man nicht kaufen. Es muss einen Grund geben, warum so viele Menschen sich unentgeltlich für eine Sache stark machen. Einer der ersten Weltläden hat 1974 im schwäbischen Herrenberg, der jüngste Mitte Januar 2016 in Isny im Allgäu seine Ladentür geöffnet. Ein Rückblick: Im Spätherbst 1973 erlebten die Deutschen einen ersten Ölpreisschock, die Politik verordnete autofreie Sonntage, in Vietnam herrschte Krieg, die Regierung in Chile wurde in einem blutigen Putsch beseitigt und die RAF machte Terror.
Rund zwanzig junge Leute trafen sich regelmäßig im schwäbischen Herrenberg 30 Kilometer südlich von Stuttgart im Haus der Begegnung, besorgt, was um sie herum geschah und mit einem wachen Blick auf die Ungerechtigkeiten in der sogenannten "Dritten Welt". Manche von ihnen kamen aus dem Arbeitskreis "Gottesdienst und Musik", lediglich ein Tarnname, um in der Kirche in Herrenberg, der das damals alles viel zu politisch war, überhaupt politische Arbeit machen zu können. Andere wiederum waren Pfadfinder oder gehörten zur "Projektgruppe Dritte Welt". Sie alle einte der feste Wunsch, gegen Ungerechtigkeit und die Armut des Südens vorzugehen. Brauchte man dazu aber einen richtigen Laden mit festen Öffnungszeiten? Das wurde in der Anfangszeit wild diskutiert.
Übermenschliche Ziele standen am Anfang
Schüler ebenso wie Lehrlinge, Ärzte und Lehrer, eine Pfarrersfrau, Studenten und Arbeiter, Hausfrauen und Krankenschwestern teilten sich damals in Herrenberg den Ladendienst. Die angestrebten Ziele waren nahezu übermenschlich. Sie wollten Rassismus und Apartheid, Militärregimes, Ausbeutung und die Verletzung von Menschenrechten überwinden und träumten von Weltfrieden, einer weltweiten sozialen Gerechtigkeit und Solidarität, einer gerechten Wirtschaftsordnung durch "fairen Handel" und von der Bewahrung der Erde. Für manche Initiativen braucht es diese überbordende Zielsetzung. Und eigentlich fing ja alles übersichtlich an: Für 500 Deutsche Mark Miete konnten sie in das Erdgeschoss eines Fachwerkhauses mitten in Herrenberg in die Stuttgarter Straße 6 ziehen, wo sie von den Vermietern unterstützt wurden. Aus der ehemaligen Wäscherei wurde ein Verkaufsraum. Zusätzlich gab es einen Versammlungsbereich und Lagermöglichkeiten.
Die Frage des Geldes – sie war lange offen
Heute unverständlich scheint, dass die evangelische Kirche die Ladengründung finanziell mit keinem Darlehen unterstützte, mit der Begründung: "Herrenberg ist für eine solche Dauereinrichtung zu klein und die Gefahr besteht, dass sich die Angelegenheit in relativ kurzer Zeit totläuft." Das Verhältnis zueinander wandelte sich erst langsam. Mit den Jahren kamen auch mehr Mitarbeitende aus dem kirchlichen Umfeld. Aber auch in Isny im Allgäu lehnte die Kirchengemeinde zuerst ein Darlehen zur Anschubfinanzierung für die Ladeneröffnung mit der Begründung ab, dass der Weltladen ein Verein sei.
Denn der neu eröffnete Laden liegt knapp außerhalb der Altstadtmauern und somit fehlt die Laufkundschaft bisher. Für die Aufmerksamkeit soll nun eine Fahne sorgen. Der Kundenstamm muss wachsen, das Darlehen für den Laden abbezahlt werden. Vielleicht kann man auch hier einmal weiter ins Zentrum der Stadt ziehen.
Unbekanntes und Exotisches im Weltladen
Das bundesweite Netz der Weltläden lässt heute oft die bescheidenen Anfänge vergessen. Für die Mitarbeiter in Herrenberg war das Geschäft wegen seiner Winzigkeit einfach "s'Lädle". Umwelthefte, farbenfrohe indianische Wolldecken und handgestrickte Ponchos aus Bolivien waren die Waren der ersten Stunde. Die Kundschaft von damals war zumeist jung, zwischen 19 und 25 Jahre alt. Das Unbekannte und auch ein bisschen Exotische lockte in den Laden. Die interessierten Kunden wurden schnell und kompetent auf den sozialen Hintergrund der Initiative hingewiesen. Die Unterschriftenlisten lagen immer bereit. Man wollte wissen: Wo kommt die Ware her, was steckt dahinter? Miteinander wurde über weltpolitische Probleme diskutiert, etwa die Zusammenhänge zwischen Rüstungsexporten und dem Hunger in den Entwicklungs- und Schwellenländern und dadurch Bewusstsein geschaffen.
Bei aller Konstanz tat auch Veränderung gut. Mit den Jahren erweiterte man das Sortiment: Kunsthandwerkliche Makonde-Figuren aus Tansania wurden teils selbst importiert, Töpferwaren aus Mexiko, Stoffbilder aus Chile, Gebatiktes und Flechtarbeiten aus Südost-Asien kamen hinzu. So gegensätzliche Dinge wie Papier und Kaffee sind bis heute die Verkaufsschlager. Der erste verkaufte Indiokaffee kam aus dem Hochland von Guatemala. Jedoch unterstützten die Steuern, die die Hälfte des Preises ausmachten, die damalige dortige Militärdiktatur. Aus diesem Grund entschied man sich später, vermehrt Kaffee aus Nicaragua zu verkaufen.
Lebensmittel sind Verkaufsschlager
Georg Stickel, von Beruf Ingenieur und Weltladen-Öffentlichkeitsarbeiter in Herrenberg, berichtet, dass heute im Herrenberger Weltladen 65 Prozent des Umsatzes der Verkauf von Lebensmitteln ausmachen, 30 Prozent sind Kunsthandwerk und fünf Prozent der Verkauf von Papier. Der Verkauf selber ist einfacher geworden. Die elektronische Kasse ersetzte rasch den von Hand auszufüllenden Quittungsblock.
Eine Kritik, die den Weltläden immer wieder entgegenschlägt, ist, dass die Produzenten nicht verstehen, warum ihre guten Produkte immer noch so wenig verkauft werden. Auch Georg Stickel sagt: "Nach 40 Jahren liegt der Marktanteil von fair gehandeltem Kaffee nur bei 2,7 Prozent. Das ist doch verrückt." Dabei ist FairTrade inzwischen, wie Bio, ein In-Label, auch im Discounter-Bereich. Die "Fair-Trade-Light-Produkte" in Supermärkten sieht der erste Vorsitzender vom Herrrenberger Weltladen Günther Wolz, gelernter Betriebswirt, aber kritisch. "Nur das Produkt wird zertifiziert, aber nicht die gesamte Wertschöpfungskette wie etwa Weiterverarbeitung, Transport und Verkauf", erklärt Wolz. Joachim Kienzle leitete in Isny im Allgäu 13 Jahre lang den ökumenischen Arbeitskreis "Dritte-Welt-Verkauf", den heutigen Arbeitskreis "Eine Welt Isny im Allgäu e.V.", zusammen mit seiner Frau Brunhilde. Der 77-Jährige kritisiert, dass Läden wie Lidl und Aldi diese Produkte lediglich als "Feigenblatt" nutzten und nur zwei oder drei Fair-Trade-Produkte im Regal neben 1.000 anderen stehen hätten. Damit wollten die großen Handelsketten nur Geld machen, stimmt ihm der Psychologe Josef Stuckle aus dem Isnyer Weltladen zu. Letztlich sei nur ein Prozent aller Waren der fünf großen Handelsketten Fair-Trade-Produkte.
Was wird verkauft – was nicht?
Es gehört auch zur Aufgabe der verbundenen Importorganisationen, ihre Produzenten wissen zu lassen, was in Deutschland vermarktbar ist und was nicht. Im Herrenberger Weltladen erinnert sich Gründungsmitglied Michael Happler an die Diskussion darüber, inwieweit die Nachfrage hierzulande in die Produktionsbedingungen in den Herstellungsländern eingreifen soll. Hierzulande ließen sich beispielsweise besser Schalen als Masken in der entsprechenden Farbe verkaufen. Inwieweit zwingt also der Markt die Produzenten, ihre eigene Identität aufzugeben, wenn sie Produktwünschen aus Deutschland nachkommen? Doris Gosh, die zweite Vorsitzende, erinnert sich an die damalige Diskussion. Mittlerweile ist man pragmatischer. So werden Engel in Kenia und Taschen auf den Philippinen so produziert, wie die Deutschen sich das wünschen.
Aus der "Ersten" und der "Dritten" Welt sollte eine gemeinsame Welt werden. Da sind sich die Mitglieder einig. Über den Weg wird heftig gestritten. Ohne Politik gäbe es keine Veränderungen, sagen viele. Und viele Christen suchen die Annäherung über die Aufforderung zur Nächstenliebe. Heute arbeiten bis zu 30 Ehrenamtliche im Herrenberger Laden, davon drei Pastoren im Ruhestand. "Der Glaube schenkt uns eine Haltung, ohne die es nicht geht", sind sich viele einig. Auch heute noch hat jeder seine eigene Motivation, um Kraft für die Arbeit aufzubringen. Für Rechtsanwalt Michael Kappler, seit 18 Jahren Schatzmeister, spielt das politische Engagement die tragende Rolle: "Ich wollte und will die Ungerechtigkeiten anprangern und dafür kämpfen, dass die Welt gerechter wird", sagt er. Günther Wolz, der in seiner langjährigen Entwicklungsarbeit in Uganda und Kenia viele Missstände gesehen hat und dadurch seinen Weg in den Weltladen fand, ist überzeugt: "Der Glaube redet nicht nur von Gerechtigkeit, sondern setzt auch Gerechtigkeit um." Die Lebensumstände der Menschen in den Armutsländern verbessern und damit Fluchtursachen bekämpfen, das ist die Antriebsfeder für Georg Stickel. Er ist überzeugt, dass dann auch weniger Menschen ihre Heimat verlassen werden.
"Der Glaube setzt Gerechtigkeit um"
Inwieweit der persönliche Glaube zur Vorstellung beiträgt, dass das eigene Engagement Frucht bringt, kleidet die erste Vorsitzende des Isnyer Weltladens Rosemarie Boldt in das Bild vom Senfkorn nach Lukas 13,19. Glauben und auch Zuversicht haben das Projekt für sie seit der ersten Planungsphase stetig wachsen lassen. Das war auch anstrengend. Grundfragen nach Raumgestaltung und Einrichtung waren ebenso zu klären wie die Gründung des zum Ladenbetrieb notwendigen Vereins, sagt Kassenwart Hartmut Boldt. In Isny gibt es bisher noch weniger Mitarbeiter als in Herrenberg. Aber auch sie bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit: Wie etwa Dorothee Grözinger als ehemalige Lehrerin. Sie engagierte sich in der Entwicklungsarbeit in Guatemala und gerade für das Hilfsprojekt Mariphil in einem Kinderdorf für Waisen und Straßenkinder auf der Insel Mindanao auf den Philippinen. Oder die Sozialarbeiterin und stellvertretende Vorsitzende Susan Holst, die in dem Laden zuvor einen Kinder-Second-Hand-Laden betrieben hatte und versuchsweise anfing, in einem Regal Fairtrade-Produkte zu verkaufen.
Den Herrenbergern ist Aufklärung wichtig. Pädagogisches Engagement in Schulen geht Hand in Hand mit sozialem Engagement, etwa durch das Spenden von Überschüssen an Unternehmungen, die gleiche Ziele verfolgen. Während die Stadt Herrenberg seit 2015 Fair-Trade-Town ist, will Isny im Allgäu es noch werden. Den ältesten und jüngsten Weltladen verbindet mehr als sie trennt, allerdings nicht nur im Positiven. "Wir werden miteinander alt", klagt Michael Kappler in Herrenberg. Und auch in Isny will es nicht gelingen, junge Menschen für die ehrenamtliche Arbeit im Weltladen zu gewinnen.
Die fair gehandelte Ware der Weltläden garantiert, dass mit dem Produkt am Beginn der Lieferkette ein Mensch satt und nicht ausgebeutet wird. Etwa sechs Millionen Menschen in 70 Ländern profitieren von den Leistungen des fairen Handels und damit auch von der Arbeit der Weltläden. Doch beim Verkauf von Fair-Trade-Produkten ist noch viel Luft nach oben. Im jüngsten wie im ältesten Weltladen Deutschlands ist es den Helfern wichtig, das Bewusstsein dafür zu schärfen. Dafür braucht es mehr öffentliche Aufmerksamkeit und weitere helfende Hände.
Markus Bechtold (evangelisch.de)
- Bildergalerie: Der Herrenberger Weltladen im Wandel der Zeit (auf evangelisch.de)
- Hintergrund zur Geschichte der Weltläden (auf evangelisch.de)