Kleine Kirche mit langem Arm

Diakonische Hilfsdienste der Lutheraner kümmern sich um bedürftige Menschen in Georgien

4. Februar 2016

Evangelische Versöhnungskirche in Tiflis, Außenansicht
Die Versöhnungskirche in Tiflis ist Zentrum der 1999 gegründeten Evangelisch-lutherischen Kirche Georgien. (Foto: epd-Südwest/Archiv)

Sie lebt im vierten Stock eines Wohnklotzes, in dem der Aufzug nur selten funktioniert. Für eine 90-Jährige in Georgiens Hauptstadt Tiflis wäre das herausfordernd genug. Doch seit sich Maria Kapianidze vor einem halben Jahr das Bein bei einem Sturz zertrümmert hat, kann sie die Wohnung sowieso nicht mehr verlassen.

Die Witwe, deren einzige Tochter an Krebs gestorben ist, braucht dringend Hilfe – und die bekommt die orthodoxe Christin von der Diakonie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien.

Die übermächtige georgisch-orthodoxe Kirche, der weit über 80 Prozent der Bewohner des Landes angehören, hat kein eigenes Sozialwerk. Karitative Aufgaben werden teilweise von Frauenklöstern übernommen. Eine strukturierte häusliche Pflege, auf die viele Menschen angewiesen wären, gehört nicht zu ihrem Repertoire. Hier springen mit bescheidenen Kräften Diakonie und Caritas in die Bresche.

Jeder Neunte ist extrem arm

Insgesamt 82 Klienten versorgt die lutherische Diakonie in der Hauptstadt, in der über eine Million Menschen leben. Die Pflegedienstleitung liegt bei der 55-jährigen Galina Kromm. Sie hat ihr Büro neben der lutherischen Versöhnungskirche unweit des Stadtzentrums – im selben Gebäude, in dem auch der Bischof der Lutheraner, Hans-Joachim Kiderlen, sitzt. Die ursprünglich von Deutschen gegründete Kirche hat nach den Auswanderungswellen der vergangenen Jahrzehnte heute nur noch rund 600 Mitglieder.

Aber ihre Leidenschaft für den Dienst am Nächsten ist groß. Neben der Kirche gibt es ein kleines Altenheim, dessen Küche außer den Heimbewohnern rund 80 weitere Bedürftige in der Stadt mit einem Mittagessen versorgt. Jeder Neunte der knapp vier Millionen Georgier lebt in extremer Armut.

Verwandte müssen bei Pflege einspringen

Pflegerin Nadja Rerhwiashwili ist ausgebildete Krankenschwester, ebenfalls orthodox und täglich zu sechs Patienten unterwegs. Für ihren Einsatz bekommt sie im Monat 220 Euro. Sie hilft der 90-Jährigen Kapianidze täglich bei der Körperpflege und beim Anziehen, macht ihr ein Frühstück und kauft ab und zu für sie ein. Nur am Wochenende haben auch die Diakonie-Mitarbeiterinnen frei, dann müssen die Verwandten der Pflegebedürftigen einspringen.

Maria Kapianidze hat Glück gehabt, auf den evangelischen Sozialdienst gestoßen zu sein. Nach dem Sturz musste sie ihre Knochen in einer Operation verschrauben lassen. Danach war sie ans Bett gefesselt. Ein paar Verwandte hat sie zwar noch, aber für die Pflege hatte keiner Zeit, weil jeder selbst Geld verdienen muss. "Ich bin sehr glücklich, dass ich meine Helferin habe. Sie ist wie meine Tochter", sagt die 90-Jährige frühere Englisch-Dozentin mit strahlendem Gesicht.

Zwei bis vier Euro pro Stunde

Die Diakonie arbeitet mit dem Sozialamt der Hauptstadt Hand in Hand. Die Behörden sind froh, dass sich jemand kümmert, und berappen bereitwillig die Gebühr für Patienten, die als arm registriert sind. Die Mehrheit der Klienten sind aber Selbstzahler. Je nach Pflegeleistung bezahlen sie fünf bis zehn georgische Lari (zwei bis vier Euro) für die Stunde, die eine Hilfskraft oder Krankenschwester vorbeikommt.

Rund 30.000 Euro gibt die Diakonie in Tiflis pro Jahr für die häusliche Pflege aus. Die Hälfte davon erhält sie von den Behörden erstattet, 2.400 Euro legen die Selbstzahler zusammen. Den Rest schießen das Diakonische Werk Württemberg und die ebenfalls diakonisch engagierte Freikirche der Adventisten zu.

Maria Kapianidze ist auf dem Weg der Besserung. Mit einem Gehgestell kann sie sich langsam wieder in ihrer Wohnung bewegen. Ob sie je wieder Treppen steigen wird, ist ungewiss. Aber so lange sie täglich eine Helferin der Diakonie zu Besuch hat, macht ihr dieser Gedanke keine Sorgen.

Marcus Mockler (epd)