Stille Oasen zwischen Achterbahn-Loopings

Eine Kirche im Vergnügungspark

18. Juli 2015

Europapark
Foto: Vera Rüttimann

Im Europa-Park sind die Hotels an diesem Wochenende restlos ausgebucht. Viele der Besucher zieht es auf dem riesigen Gelände zu eleganten Meisterwerken deutscher Ingenieurskunst wie dem “Silver Star“, wo sie in Sekunden in den badischen Himmel katapultiert werden. Über 120 Personen gehen jedoch auch in das Hotel "Santa Isabel". Sie tragen Muscheln an ihren Rucksäcken. Es sind Teilnehmer der Pilgerveranstaltung “Muschel Europas“. Seit zehn Jahren bietet die Badische St. Jakobusgesellschaft in Zusammenarbeit mit der “Kirche im Europa-Park“ diese Tour an, die Pilger von Ettenheim zum 4-Sterne Hotel Santa Isabel im Europa-Park führt.

Kein Kulissenzauber

Unter den Pilgern sind auch Margot und Erich Baierl. Das Ehepaar beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Jakobs-Pilgerweg. Sie staunen: Auch vor der Tür des portugiesischen Klosterhotels finden sie die berühmte Muschel als Erkennungszeichen im Boden. Im Innern treffen sie auf Unerwartetes: Während draußen die Parkbahn vorbeirauscht, können sie drinnen still durch einen Kreuzgang wandeln. In einem stilechten Refektorium hängen Bilder von Heiligen und Päpsten. Aus der Jakobus-Kapelle in der Hotel-Lobby riecht es nach Weihrauch. Das Kloster-Hotel Santa Isabel ist eine Station auf dem “Spurenweg“ des Projektes “Kirche im Europa-Park“.

Dass es hier ein solches Themenhotel gibt, hat viel mit der Unternehmerfamilie Mack zu tun, die sich zu ihren katholischen Wurzeln bekennt. Am Eingang zur Jakobus-Kapelle befindet sich eine Votivtafel, die Liesel Mack gewidmet ist. Ihre Religiosität und soziales Engagement prägten die beiden Söhne Jürgen und Roland. Es ist kein Zufall, dass sich sozial engagierte Künstler aus der Musikbranche wie Siegfried Fietz hier besonders wohl fühlen. Der evangelische Liedermacher bereichert an diesem Tag die Jakobs-Pilger im Hotel Santa Isabel mit seiner berühmt gewordenen Vertonung des Dietrich Bonhoeffer Textes “Von Guten Mächten wunderbar geborgen.“

Lange vor dem Jakobsweg-Boom durch Happe Kerkelings Buch “Ich bin dann mal weg“ erkannte die Unternehmerfamilie Mack: Immer mehr Menschen suchen in ihrer Freizeit auch nach spirituellen Erlebnissen. Warum also, fragte sie sich, nicht auch hier? So entstand das Projekt “Kirche im Europa-Park“. Andreas Wilhelm, Diakon und Pastoralreferent der Erzdiözese Freiburg und Martin Lampeitl, Gemeindediakon der Evangelischen Landeskirche Baden, gestalten das Angebot.

Auf dem Spurenweg

So ist der Europa-Park heute nicht mehr nur bekannt für seine bizarren Achterbahnschlaufen am Himmel, die aussehen wie ein Konstrukt aus Fritz Lang’s Stummfilmklassiker “Metropolis“, sondern ist auch beliebtes Ausflugsziel für kirchliche Gruppen. Es hat sich herum gesprochen, dass es hier einen “Spurenweg“ gibt. Martin Lampeitl sagt: “Die Anfragen zu Gruppenführungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen.“ Manche suchen hier ihr Seelenheil, spirituelle Ruhe oder schlicht eine Auszeit aus dem Alltag.

Andreas Wilhelm begleitet am späten Nachmittag eine Ministranten-Gruppe durch den Park. Nach einem Getränk im “Café Benedetto“ führt er sie erst zum “Mack“-Brunnen, dessen schwere Kugel von einem dünnen Wasserfilm bewegt wird. Weiter geht’s zum russischen Themenbereich, wo sich in der Elz die goldenen Kuppeln der orthodoxen Kirche spiegeln. Die Gruppe gelangt zur Marienkapelle, die sich hinter einem Torbogen mit dunkelroten Kletterrosen versteckt. Erneut ein Ort, an dem sich Himmel und Erde begegnen.

Das ruhige Auge im Tornado

Über eine Holzbrücke gelangt die Gruppe in den skandinavischen Themenbereich. Dort befindet sich mit der Stabkirche eine besondere Wegmarke auf dem “Spurenweg“. Die 1991 erbaute Holzkirche ist umgeben von einer zerklüfteten Fjord-Landschaft und einem Fluss, auf dem sich Touristen auf schwarzen Gummireifen jauchzend treiben lassen. Die Kirche mit den senkrecht gestellten Holzmasten und den Drachenköpfen an den Giebeln ist ein Blickfang. Andachten machen die Kirche zu einer Oase der Stille inmitten des Menschenstroms. Das ruhige Auge inmitten eines Tornados. Unzählige Paare aus aller Welt haben sich in der norwegischen Stabkirche schon das Ja-Wort gegeben.

Andreas Wilhelm trifft an der Stabkirche auf Ernst Heller, der hier auf ein Brautpaar wartet. Der Schweizer, der über viele Jahre als katholischer Zirkus-Pfarrer gearbeitet hat, weilt noch immer gern im Europa-Park. Er hat das Projekt “Kirche im Europa-Park“ mit angestoßen. Begeistert sagt er: “Die Menschen finden in dieser wunderbaren Umgebung zueinander. Das ist für mich Kirche: mitten unter dem Volk, mitten in der Welt und nicht daneben stehend.“ Das zuhörende Ohr des 67-Jährigen ist hier noch immer gefragt, vor allem bei der Parkfamilie Mack, zu der er seit den achtziger Jahren einen engen Draht hat. Auch die Mitarbeiter des Parks suchen ihn häufig auf. Ernst Heller kennt die Kehrseiten dieser Vergnügungsmaschine: Parkmitarbeiter, die an den Rezeptionen oder an den Bahnen stets auf Knopfdruck gut gelaunt sein müssen, ermüden manchmal seelisch. Gespräche, die er in der Stabkirche führt, drehen sich häufig um Todesfälle, Arbeitsverletzungen und Beziehungsprobleme.

Abbremsen und entschleunigen

Ernst Heller schätzt es, wenn im Park am Abend Ruhe einkehrt. Zur blauen Stunde lichten sich die großen Plätze, auf denen sich Stunden zuvor noch tausende Vergnügungswillige und “Muschel“-Pilger drängten. Roland Mack holt Ernst Heller am Hotel Colosseo mit seinem kleinen Elektrowagen ab. Er möchte mit ihm noch eine letzte Runde im Park drehen. Noch einmal geht’s mitten hinein in den “Circus Macksimus“! Doch diesmal schläft der Festbetrieb, die Achterbahnen stehen reglos da.

Zum Ausklang gehen die beiden Freude in die “Mille-Miglia-Bar“ im fünften Stock des Hotel Colosseo. Wer dort aus den Panorama-Fenstern sieht, blickt auf die Rheinebene mit den angrenzenden Ländern Schweiz und Frankreich. Auch an diesem Ort ist etwas vom Geist dieses Ortes zu spüren. In einer Zeit als noch keiner an den Wegfall von Grenzen dachte, ersannen die Macks einst auf einem Bierdeckel das Konzept des europäischen Themenparks. Über ein Vierteljahrhundert nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs ist hier tatsächlich ein Europa in Miniatur entstanden, in dem sich Menschen unterschiedlicher Länder, Kulturen und Mentalitäten grenzübergreifend begegnen können. Europa ist an diesem Ort das, was sich Papst Franziskus 2014 in seiner Straßburger Rede erwünscht hat: Ein “Vorbild-Kontinent‘ und “Sehnsuchts-Ort der Welt“.

Vera Rüttimann (aus: evangelisch.de)