Der politische Christ

Vor 20 Jahren starb der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer

15. Oktober 2013

Helmut Gollwitzer

Mit dem Studentenführer Rudi Dutschke war er befreundet. Für die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die 1976 in Stammheim Suizid beging, hielt er die Grabrede. Mit Heinrich Böll demonstrierte er vor der Raketenbasis Mutlangen. Der evangelische Pfarrer und Sozialist Helmut Gollwitzer (1908-1993) sah seinen christlichen Glauben stets als öffentliche Aufgabe. Sein Todestag jährt sich am 17. Oktober zum 20. Mal.

Die NS-Zeit prägte den Theologen, der in ein national wie religiös konservatives Pfarrhaus im bayerischen Pappenheim hineingeboren worden war. Unter der Hitler-Diktatur schloss sich der Schüler des Schweizer Theologen Karl Barth der Bekennenden Kirche an. Er setzte sich gegen die sogenannte Gleichschaltung der Kirchen und die nationalsozialistische Verfälschung des christlichen Glaubens ein. Mehrfach wurde Gollwitzer verhaftet, im Jahr 1940 schließlich mit Reichsredeverbot belegt.

Seit 1937 vertrat Gollwitzer in Berlin-Dahlem Pfarrer Martin Niemöller, der als "persönlicher Gefangener des Führers" im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert worden war. Fünf Tage nach der Verhaftung Niemöllers begann Gollwitzer mit Fürbittgottesdiensten in der Kirche. Acht Jahre lang versammelten sich in der Dahlemer Kirche täglich die Anhänger der Bekennenden Kirche.

In seinen Predigten kritisierte Gollwitzer öffentlich die dem nationalsozialistischen Führerprinzip und seiner Rassenideologie folgenden Deutschen Christen sowie die Verfolgung der Juden. In seiner Predigt zum Buß- und Bettag 1938, kurz nach der Pogromnacht, sagte er: "Nun wartet draußen unser Nächster, notleidend, schutzlos, ehrlos, hungernd, gejagt und umgetrieben von der Angst um seine nackte Existenz, er wartet darauf, ob heute die christliche Gemeinde wirklich einen Bußtag begangen hat."

Fünf Jahre war Gollwitzer, der 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden war, in russischer Kriegsgefangenschaft. In dieser Zeit setzte er sich intensiv mit dem real existierenden Sozialismus auseinander, kritisierte vor allem das sozialistische Menschenbild mit seiner Idealvorstellung eines perfekten Menschen. Sein Bericht über die Gefangenschaft "...Und führe, wohin du nicht willst" wurde in sechs Sprachen übersetzt.

Ab 1950 war Gollwitzer zunächst Professor in Bonn, dann an der Freien Universität in Berlin. In seiner Lehre fühlte sich der Theologe stets einem christlich begründeten humanen Sozialismus sowie der Gerechtigkeit verpflichtet. "Sozialisten können Christen, Christen müssen Sozialisten sein", hat er einmal gesagt. An anderer Stelle schrieb er: "Ein Sozialist hält eine bessere Gesellschaft, als es die gegenwärtige ist, für möglich und für nötig."

Zu Zeiten der Studentenbewegung wurde Gollwitzer für viele linke Studenten in Berlin zur Leitfigur. Er, der selbst kinderlos geblieben ist, pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Studenten, durchbrach die starre universitäre Etikette. Gollwitzer "gehörte in den 60er Jahren zu den wenigen radikaldemokratischen Lichtern in der Wüste der autoritären Professorenschaft", schrieb Rudi Dutschke.

Gollwitzer hielt die Traueransprache für den Studenten Benno Ohnesorg, der 1967 bei Protesten gegen den Besuch des Schahs von Persien von einem Polizisten erschossen worden war. Bei einem Teach-in an der Berlin Freien Universität befürwortete Gollwitzer die Unterscheidung zwischen "Gewalt gegen Sachen" und "Gewalt gegen Menschen", wofür er viel Kritik einsteckte.

Deutlich trat Gollwitzer gegen die Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik Deutschland ein. Ein Christ sei verpflichtet, in dieser "rüstungswahnsinnigen Welt" sein Nein deutlich zu machen, begründete er etwa in den 80er Jahren seine Teilnahme an der Sitzblockade gegen die Raketenstationierung in Mutlangen.

Gollwitzer hat sich Zeit seines Lebens als politischer Christ verstanden. Wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag starb er 1993 in Berlin. Er liegt auf dem St. Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem begraben, nur wenige Meter Luftlinie vom Grab des Studentenführers Rudi Dutschke entfernt. (epd)