Auf dem Weg nach 2017

Protestantische Kirchen tagen auf Kongress in Zürich

08. Oktober 2013

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Es gibt einfachere Texte als den Dialog zwischen Jesus und Nikodemus aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums. „Was für ein Text für morgens um 9:00 Uhr“, seufzt Margot Käßmann. Doch sie gibt sich einen Ruck und  nimmt die gut 240 Zuhörerinnen und Zuhörer im Kirchgemeindehaus Neumünster mit auf eine spannende exegetische Reise.
Nikodemus missversteht Jesus zuerst, als dieser sagt, niemand könne das Reich Gottes sehen, es sei denn er werde neugeboren. Was? Nikodemus ist perplex: „Wie kann ein alter Mensch denn neugeboren werden?“

Margot Käßmann versteht das Missvergnügen des Phariäers, sie erkennt lästige Tendenzen unserer Tage: „Das ist, finde ich, eine sehr angenehm realistische Frage! Kann denn ein alter Mann neu anfangen? Gibt es das wirklich, als alte Frau alles hinter sich lassen, noch einmal zurück auf Los?“ Sie sehe solche Thesen mit wachsendem Unbehagen und erzählt von einem Erlebnis aus diesem Frühjahr auf dem Hamburger Kirchentag: „Eine Wissenschaftlerin beschrieb, dass wir alle immer älter werden, ständig Neues lernen sollen, neue berufliche Wege einschlagen, uns neu orientieren…. Ich habe tiefe Erschöpfung gefühlt. In unserer Gesellschaft sollen wir uns alle verjüngen, ob durch Botox oder Haarimplantate, neu aufbrechen sollen wir, mobil und flexibel sein. Vielleicht möchte ich aber gar nicht mehr ständig neu anfangen, sondern endlich mal Ruhe haben und alles lassen wie es ist? Da kann die Forderung, neu geboren zu werden, ja auch Stress auslösen!“

Aber gemeint ist ja etwas anderes, es geht um eine geistliche Neugeburt, aber, so fragt Käßmann: „Was kann das heißen, aus dem Geist geboren?“ Und: „Erst wird vom Geist gesprochen, dann vom Wasser: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ – Jetzt, so Käßmann werde es ernst: „Oja, jetzt kommen wir in diffiziles ökumenisches Minengelände! Da gibt es diejenigen, vor allem Baptisten, die sagen: erst der Geist, dann das Wasser – der Taufe!“

Für Martin Luther, so Käßmann, sei die Taufe das „zentrale Ereignis und Sakrament“. Es war eine revolutionäre Erkenntnis der Reformation: Gott sagt dem Menschen in der Taufe Gnade, Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens können das nicht rückgängig machen. „Baptizatus sum – ich bin getauft“ – diese habe sich Luther in den schwersten Stunden seines Lebens gesagt und daran Halt gefunden. Aber einige fragten sich: „Kann die Kindertaufe wirkmächtig sein, wenn Menschen nicht auch mit ihrem Verstand, mit bewusstem Ja zur Taufe stehen? Muss es dann nicht eine zweite Taufe als Erwachsener geben oder nur eine Erwachsenentaufe?“

Unabhängig solcher bestehenden Differenzen haben die Kirchen gelernt, mit dem Dissens versöhnt zu leben. Als wichtige Meilensteine nannte Käßmann das Schuldbekenntnis des Lutherischen Weltbundes von 2010 gegenüber den Mennoniten, die die Erwachsenentaufe vertreten. Und 2007 haben fast alle Kirchen in Deutschland ihre Taufe erstmals formell gegenseitig anerkannt - ein gewichtiges Zeichen der Gemeinsamkeit, das viel Mut macht.