Jugendliche als Botschafter für ein anderes Deutschland

Stiftung fördert Schülerreisen zu KZ-Gedenkstätten

25. Januar 2013

Deutsche Schüler bei einem Besuch des früheren Konzentrationslagers Auschwitz in Polen.

Damit sich das finstere Kapitel des Nazi-Terrors nicht wiederholt, setzt ein Kölner Unternehmerehepaar auf die Jugend. Mit einer Stiftung fördern Roswitha und Erich Bethe die Reisen von Schülern zu KZ-Gedenkstätten. Ein Konzept, das aufgeht.

Manchmal versagen einfach die Worte. Die Bielefelder Schülerin Marlene erlebt das bei dem Anblick der Duschräume in dem früheren Konzentrationslager Majdanek. Das Lager nahe der polnischen Stadt Lublin war das erste, das die Nationalsozialisten im besetzten Polen errichteten. Mehrere hunderttausend Juden, Roma, Sinti und Kriegsgefangene wurden hier ermordet.

"Der Duschraum war der Beginn der Entwürdigung", sagt die 18-jährige Gymnasiastin. Am Ende habe dann das Krematorium gestanden. "Das war für mich besonders eindrücklich", erzählt die Schülerin der Bielefelder Friedrich-von-Bodelschwingh-Schulen. Schweigend legt sie eine Rose vor den Duschraum.

Marlene gehört zu den Schülern des Geschichtsleistungskurses, die im vergangenen Jahr auf einer Studienreise in den Gedenkstätten Majdanek und Auschwitz in verschiedenen Projekten arbeiteten. Auf dem zehntägien Programm standen außerdem Gespräche mit Zeitzeugen und Treffen mit polnischen Jugendlichen. Ermöglicht werden die Studienfahrten von der privaten Stiftung "Erinnern ermöglichen", die das Unternehmer-Ehepaar Roswitha und Erich Bethe in Düsseldorf gegründet haben.

"Unser Ziel ist, dass möglichst alle deutschen Schüler die Möglichkeit haben, Auschwitz zu besuchen", sagt der 72-jährige Erich Bethe, der mit seiner Bethe-Stiftung bereits viele soziale Projekte unterstützt. Engländer und Skandinavier besuchen wesentlich häufiger KZ-Gedenkstätten. Deutsche kommen erst an 16. Stelle. "Das finden wir nicht in Ordnung", sagt Bethe.

Ältere Bundesbürger hätten noch immer Berührungsängste, diese Orte, die für die größten Verbrechen der Deutschen stehen, zu besuchen, erklärt der Unternehmer aus Bergisch-Gladbach. Deshalb setzt seine Stiftung die Hoffnung auf die Jugendlichen. Wer einmal in einer solchen KZ-Gedenkstätte war, könne kein Nazi sein, ist Bethe überzeugt, dessen Vater den Kriegsdienst verweigerte und ein Gegner Hitlers war. Weil es für solche Projekte kaum öffentliche Förderungen gibt, rief das Ehepaar Bethe Ende 2010 die Stiftung "Erinnern ermöglichen" ins Leben.

Die Idee ist einfach: Jeder Schüler zahlt einen Eigenbeitrag von rund 30 Euro. Die restlichen Kosten von rund 250 Euro legt die Stiftung drauf. Bedingung der Stiftung ist lediglich, dass die Schüler am Ende der Studienreise über die Ergebnisse einem Bericht verfassen. Zu den Unterstützern der Stiftung zählen der frühere Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), der Journalist Günter Wallraff, die evangelischen und katholischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen sowie jüdische Verbände.

Seit dem Start hat die Stiftung laut Bethe fast 8.000 Schüler Studienfahrten von Schülern Nordrhein-Westfalens gefördert. Eine bundesweite Ausweitung sei zwar gewünscht, erklärt der westfälische Pfarrer Matthias Schreiber, der Vorstandsvorsitzender der Stiftung ist. Aber schon jetzt stoße die ehrenamtlich arbeitende Stiftung an ihre Grenzen. Jedes Jahr steige die Zahl der Förderanträge an, allerdings gebe es so gut wie keine Zuschüsse oder Spenden von außerhalb.

Die Arbeit der Stiftung bleibt für Schreiber jedoch weiterhin unverzichtbar. "Es gibt nur wenige Orte auf dieser Erde, wo man so unmittelbar erkennen kann, was der Preis für verlorene Freiheit ist", sagt der Theologe über die Besuche der Jugendlichen in früheren Konzentrationslagern.

Ein Konzept, das offenbar aufgeht: "Keiner von uns Deutschen darf diese Vergangenheit jemals vergessen", ist Marlenes Mitschüler David überzeugt. Wenn sie mitbekomme, wie jemand die deutschen Nazi-Verbrechen abstreite oder verharmlose, fühle sie sich jetzt noch viel stärker herausgefordert, dagegenzuhalten, erzählt die Schülerin Mareike. "Wer sich einmal so intensiv mit dem Thema befasst hat, der hat automatisch eine hohe Resistenz gegenüber rechtsextremen Gedankengut", findet Felix.

"Die Schüler erleben sich auch als Botschafter", bestätigt der Geschichtslehrer der Betheler Friedrich-von-Bodelschwingh-Schulen, Wolfgang Potthoff. Besonders beeindruckt ist der Lehrer Potthoff, der bereits seit mehr als 15 Jahren mit seinen Schülern zu den Gedenkstätten fährt, von der Nachhaltigkeit dieses Projektes. So haben sich frühere Teilnehmer dafür eingesetzt, dass erstmals in Bielefeld-Bethel der Kölner Künstler Günter Demnig seine "Stolpersteine" verlegt, die an die jüdischen Einwohner erinnern. David und Marlene haben sich bei Aktion Sühnezeichen für einen Freiwilligendienst in Israel beworben. (epd)