Der Bilderschreiber

Shamshad Ali verwandelt Bibeltexte in Kunstwerke

30. Dezember 2014

Shamshad Ali

Hessigheim (epd). Ein Blatt Papier, ein feiner Tintenstift oder Pinsel, Fingerspitzengefühl und gutes Licht: Mehr braucht Shamshad Ali aus Hessigheim im Kreis Ludwigsburg für seine Kunstwerke nicht. Zuerst zeichnet er ein Motiv und legt dieses unter ein weißes Blatt. Dann überträgt er das Motiv in Buchstaben. Dort, wo es dunkel sein soll, schreibt er die Worte klein und eng, wo es hell ist, werden die Buchstaben ausgeweitet. So entsteht aus einem Bibeltext oder anderen Worten ein Kunstwerk, das auf den zweiten Blick auch zum Lesen einlädt.

Beispielsweise der Bibelvers für 2015, die ökumenische Jahreslosung: Auf dem Bild sind Kinder zu sehen, die im Kreis stehen, sich an den Händen halten und diese gemeinsam in die Höhe strecken. Wer eine Lupe oder Adleraugen hat, kann das ganze Kapitel 15 aus dem Römerbrief lesen, dem die Jahreslosung entnommen ist "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob" (Röm 15,7).

Bereits als kleiner Junge liebte der gebürtige Inder Shamshad Ali das Zeichnen. "Oft saß ich auf dem Boden und malte in den Sand", erinnert sich der 58-Jährige. Während seiner Schulzeit malte er gerne Porträts von Schauspielern. Schon während seiner Collegezeit begann er, als Grafiker zu arbeiten. Als "ganz normaler" Muslim sei er in Delhi aufgewachsen, habe aber schon von klein auf in einer evangelischen Privatschule und bei Nachbarn vom christlichen Glauben gehört. "Aber ich konnte mit Jesus als Gottes Sohn nichts anfangen."

Das änderte sich erst, als ein christlicher Freund den 22-Jährigen zu einer Versammlung einlud. Wer an Jesus glaubt, wird auch nach dem Tod bei ihm sein, hörte er dort. "Das sprach mich an, als Muslim hatte ich eine solche Sicherheit nicht." Mehrere Monate las er heimlich in der Bibel. Bald hatte der junge Mann den Wunsch, Christ zu werden und sich taufen zu lassen. Als sein Vater davon hörte, schlug er ihn und sperrte ihn in seinem Zimmer ein. Nach der Taufe musste Ali die Familie verlassen.

Eine neue Heimat fand er bei der christlichen Bewegung "Operation Mobilisation India". Nachdem er dort Comics illustriert hatte, sagte einer der Verantwortlichen zu ihm: "Ich wünschte, du würdest Bilder malen, die sprechen." Er konnte nicht ahnen, wie wörtlich Shamshad Ali diesen Wunsch später umsetzen würde. Einige Zeit später arbeitete er zwei Jahre auf dem Missionsschiff der Bewegung. Dort kam ihm beim Bibellesen plötzlich die Idee: Ließen sich Bibeltexte nicht so schreiben, dass man gleichzeitig ein Bild erkennt und auch den Text lesen kann? Die Idee war geboren. Drei Monate lang schrieb er täglich ein bis zwei Stunden an seinem ersten Bild: Das ganze Johannesevangelium und noch einige andere biblische Kapitel packte er in das Motiv jenes Missionsschiffes, auf dem er zu dieser Zeit unterwegs war.

Zwei Jahre später heiratete er die Schwäbin Inge Eisele, die er auf dem Schiff kennengelernt hatte. Nach fünf Jahren zog das Paar mit seinen beiden Kindern von Indien in die Heimat Eiseles, in den malerischen Weinort Hessigheim. Nun verkauft Shamshad Ali auf Künstlermärkten und Weihnachtsmärkten seine Karten und Poster. Besonders gefragt sind Karten mit Weihnachts- und Engelmotiven, aber auch Kalender und seine künstlerische Interpretationen der Jahreslosung.

Oft können ihm dort die Besucher über die Schultern schauen, wie er ein Bild schreibt. "Viele glauben mir nicht, dass ich das selbst gezeichnet habe. Ein Mann sagte zu mir: Ihr Inder könnt doch gut mit dem Computer umgehen, du hast sicherlich ein spezielles Programm dafür." Der gebürtige Inder liebt es, mit den Besuchern auf den Märkten ins Gespräch zu kommen. "Gerne schenke ich den Menschen meine Zeit. Hier in Deutschland hat jeder Termine und kaum noch Zeit für seine Mitmenschen."

Mittlerweile hat der Künstler 150 Bilder geschrieben. Nicht nur Bibelverse sind die Grundlage für seine Bilder, er hat auch schon Schiller- und Goethetexte in Motive verwandelt, oder das Hessigheimer Rathaus als Vorlage genommen. Seine Frau hilft ihm, die Motive und Texte auszuwählen, und vermarktet seine in dieser Form einmaligen Kunstwerke. "Manch andere versuchen, mit Worten Bilder zu schreiben, aber dass jemand lückenlos nur mit Buchstaben ein Bild füllt, habe ich sonst noch nie gesehen", sagt Shamshad Ali. Etwa drei Viertel der gesamten Bibel hat er schon als Bilder geschrieben. "Vielleicht komme ich ja, wenn ich die ganze Bibel geschrieben habe, ins Guinness-Buch der Rekorde?" sagt er mit einem Lächeln.