„Was kann man heute noch glauben?“

Fünf Fragen an Martin Urban

03. Dezember 2013


Vor wenigen Wochen ist Ihr Buch „Was kann man heute noch glauben?“ erschienen. Das Buch protokolliert ein Streitgespräch zwischen Ihnen und EKD-Ratsvorsitzendem Nikolaus Schneider zu einer traditionsreichen Fragestellung. Warum ist das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft nach wie vor ein so brisantes Thema?

Urban: Kein einziger Satz im Apostolischen Glaubensbekenntnis aller Christen ist heute in der wissenschaftlichen Theologie unumstritten. Weil das so brisant ist, gab es bisher keine Diskussion eines EKD-Ratsvorsitzenden über die kirchlichen Lehren im Lichte der Erkenntnisse der Wissenschaften. Nikolaus Schneider hat als erster den Mut dazu. Die Kirchen nehmen die Erkenntnisse ihrer eigenen historisch-kritisch forschenden Theologen kaum auf und wissen über die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler wenig. Sie fühlen sich seit Kopernikus, die Protestanten spätestens seit Darwin, von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften existenziell bedroht.

Wo sehen Sie den zentralen Streitpunkt zwischen Ihnen und Nikolaus Schneider?

Urban: Die Evangelische Kirche ist immer schon auch eine Kirche der Aufklärung gewesen. Daran wollen Nikolaus Schneider und ich erinnern. Schneider ist der Repräsentant aller Christen, und die sind in Deutschland sehr konservativ, sofern sie noch in die Kirche gehen. So knüpft  Nikolaus Schneider an die alten  Glaubensvorstellungen an und versucht sie, wo immer möglich, zu bewahren. Im Gegensatz zu Schneider stelle ich die im Lichte heutigen Wissens fragwürdig gewordenen alten Vorstellungen, wie Offenbarung, Heiliger Geist und Trinität zur Diskussion. Ich versuche, die dahinter stehenden Bilder in Einklang mit unserem heutigen wissenschaftlichen Weltbild zu bringen. Denn ich meine, eine Kirche der Aufklärung, die den Fundamentalismus überwindet, hätte auch den Kirchen-fernen Christen etwas zu sagen.

Sie selbst haben über Jahrzehnte das Gesicht des deutschen Wissenschaftsjournalismus mit geprägt. Wie hat sich der öffentliche Diskurs zum Thema in den letzten Jahrzehnten in Deutschland entwickelt? Gehört der Streit als Mittel der Wahrheitsfindung bei uns eigentlich noch zum guten Ton?

Urban: Streit ist in den Wissenschaften selbstverständlich, gilt aber in der Gesellschaft als „uncool“. Anders als zu Zeiten von Albert Einstein, Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker oder Konrad Lorenz, gibt es heute kaum einen die Öffentlichkeit bewegenden Disput der Naturwissenschaftler. Ausnahme ist der öffentliche Auftritt von Gehirnforschern, die ihre fundamentalen Erkenntnisse präsentieren. Die in mathematische Formeln gefassten Erkenntnisse der modernen Physik sind freilich für Laien kaum verständlich zu machen. Und auch die Gehirnforscher sehen sich permanent Missverständnissen ausgesetzt. Es gibt keine öffentliche Diskussion zwischen der Kirche und den Intellektuellen über den Inhalt der kirchlichen Lehren. Unser Buch soll dazu einen Anstoß geben. Aber die Angst davor in den Kirchenleitungen ist groß. Öffentlich diskutiert werden fast ausschließlich Fragen kirchlicher Moral beziehungsweise Unmoral. Und damit hat die Kirche bereits ihre Not, siehe „Orientierungshilfe“ in Sachen Familie. Sie wird zu einer Kirche in der Defensive.

Welche Anfragen werden in Zukunft von Seiten der Neurowissenschaften zu erwarten sein?

Urban: Der „Geist“ der Geisteswissenschaftler und der von ihnen geprägten Feuilletonisten wird fundamental in Frage gestellt. Jene Forscher, deren Profession das Nachdenken über die Welt und den Menschen ist, werden vor ungeheuren Herausforderungen stehen – etwa wenn sich tatsächlich einmal herausstellen sollte, dass auch Maschinen von Übermorgen so etwas wie Bewusstsein haben.

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. Gilt diese Devise auch beim Thema Glauben?

Urban: Ein guter Journalist muss Distanz haben, selbst zu seiner eigenen Meinung, also möglichst vorurteilsfrei nach der Wahrheit suchen. Er muss allerdings genügend wissen, um die richtigen Fragen zu stellen, und er darf sich nicht für dumm verkaufen lassen. Das gilt natürlich auch für die Frage, welchen Glauben die Kirche lehrt. Der kritische Journalist sollte also ansetzen: Woher wisst ihr das, warum glaubt ihr dass? Er muss im Lichte heutiger Erkenntnisse das „So nicht!“ erkennen und begründen können. Und er sollte die Ergebnisse seiner Recherchen kommentieren, um damit einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.

Die Fragen stellte Michael Brinkmann.

Nikolaus Schneider, Martin Urban: Was kann man heute noch glauben? Ein Disput, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2013, 144 Seiten, 16,99 Euro