Der Maler, der die Bibel träumte

Bibelgalerie zeigt Schwarz-Weiß-Radierungen und Lithographien von Marc Chagall

17. August 2013

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Meersburg (epd). Marc Chagall war einer der faszinierendsten Künstler des 20. Jahrhunderts: Der französische Maler russisch-jüdischer Herkunft erwarb sich weltweit Ruhm und Bewunderung vor allem mit seinen Illustrationen zur Bibel, die er selbst als "reichste poetische Quelle aller Zeiten" bezeichnete. Nun zeigt die Meersburger Bibelgalerie unter dem Titel "Der unbekannte Chagall" Radierungen und Lithographien des Künstlers, die vom 1. August bis 29. September in einer Sonderausstellung zu sehen sind.

Wer an Chagall (1887-1985) denkt, verbindet dies meist mit intensiven und leuchtenden Farben und einer fast poetischen Bildsprache, sagt die Bibelgalerie-Leiterin Thea Groß. Dass der Maler auch zahlreiche hochwertige Grafiken in Schwarz-Weiß vor allem in den 1930er Jahren geschaffen hat, ist weniger geläufig. "Chagalls biblische Radierungen sind nicht so bekannt wie seine Farblithographien", sagt Iris Traudisch, die mit ihrer Galerie bei Gummersbach die Ausstellung mitkonzipiert hat.

Dennoch zählten die Radierungen zu Chagalls qualitativ besten grafischen Arbeiten, sagt die Kunsthistorikerin und Theologin Traudisch. "Die Art, wie er das Licht in den Schwarz-Weiß-Radierungen durch unzählige Graunuancen aufscheinen lässt, ist fast noch besser als bei den Farbbildarbeiten", erklärt Traudisch.

Außerdem habe Chagall, etwa bei der Radierung "Vision der Apokalypse" aus dem Jahr 1967, einen streng symmetrischen Aufbau gewählt, den man sonst bei dem Künstler nicht finde, sagt Traudisch. Durch die Gegenüberstellung der Radierungen aus den 1930er Jahren mit Lithographien gleicher Thematik aus den 1950er Jahren wird laut Traudisch zudem deutlich, wie Chagall in verschiedenen Lebenssituationen die Bildaussagen variiert und wie seine künstlerische Entwicklung verlaufen ist.

"Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie", beschrieb der Maler einst sein Verhältnis zur Heiligen Schrift. Deshalb erschuf er Bilder zur Erschaffung des Menschen, zu Noah, dem Paradies, dem Hohelied, Abraham, Jakobs Traum, Moses vor dem brennenden Dornbusch oder zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.

Die Schau präsentiert deshalb auch Motive aus dem 1956 veröffentlichten Zyklus "La Bible", dem bildnerischen und geistigen Vermächtnis des Künstlers. Mit seinen biblischen Motiven wurde der Künstler zum Vermittler zwischen Judentum und Christentum. Ihre Gestaltung fesselte ihn vor allem seit den 50er Jahren. In seinen Zeichnungen, Gemälden, Lithographien, Gouachen, Glasfenstern, Mosaiken und Wandmalereien begegnet der Betrachter vor allem Figuren aus dem Alten Testament wie Erzvätern, Königen, Propheten und Engeln.

"Mit Chagall präsentieren wir einen Künstler, der wie kein anderer die Bibel zum Thema seines Schaffens gemacht hat", sagt Thea Groß. Die Ausstellung führt durch das Alte Testament, von der Erschaffung des Menschen über die Wüstenwanderung, die Könige Israels bis hin zu den Visionen der Propheten. Ausgestellt werden Kreuzigungsmotive aus dem Werk Chagalls, die Radierung "Klagelied des Jeremias" aus dem Jahr 1956 oder die Farbabbildung "Die rote Thora" aus dem Jahr 1981.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bibelgalerie Werke von Chagall zeigt, von dessen Bildern, ihrer tiefen Symbolik und den leuchtenden Farben Thea Groß schwärmt. Schon 1991 gab es Bilder zur Bibel mit Original-Lithographien und eine Ausstellung zum Thema "Fenster", 1995 wurde der "Exodus-Zyklus" gezeigt und im Jahr 2001 gab es eine Doppelausstellung mit der Städtischen Galerie. "Chagalls Bibelbilder sind mehr als eine bloße Illustration biblischer Geschichten, die längst vergangen sind. Durch seine Bilder wird die Bibel im alltäglichen Leben erfahrbar", sagt Groß.