Erste Ausstellungseröffnung in den sanierten Räumen der Versöhnungskirche

Synodalpräsidentin ehrt den vor 75 Jahren von den Nazis ermordeten Kirchenjuristen und Deserteur Martin Gauger in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Andere

09. Oktober 2016

Martin Gauger gehörte zu den ganz wenigen Juristen in Deutschland, die 1934 aus Gewissensgründen den Eid auf Hitler verweigerten und aus dem Staatsdienst entlassen wurden. Ab 1935 stand der Pfarrerssohn im Dienst der Leitung der NS-kritischen „Bekennenden Kirche“ (BK) in Berlin, dabei ab 1938 angestellt von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. 1937 war der promovierte Kirchenjurist maßgeblich an der Aufhebung von Polizeimaßnahmen gegen BK-Mitglieder in Lübeck beteiligt. So konnte er die Entlassung des Organisten Jan Bender aus dem KZ erreichen. Seiner Freundin Irmgard Behr, die wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurde, verhalf er 1939 zur Flucht nach England. Innerhalb der lutherischen Kirchenleitung trat er schon 1937 für Widerstand gegen Willkürmaßnahmen des NSDAP-Reichskirchenministers ein: "Soll sich die Kirche weigern oder soll sie der Anordnung nachkommen? Sie soll sich weigern ... Es könnte hier auf breiten Grundlage ein allgemeiner Widerstand gegen staatliche Zwangsmaßnahmen sich erheben." Mit diesem Appell fand er keine Mehrheit. Ohne Erfolg blieben auch seine Bemühungen zur Abwendung einer opportunistischen Erklärung der Kirchenführerkonferenz 1939. Seine eigenen kritischen Veröffentlichungen wurden verboten. 1938/39 kam Martin Gauger in Verbindung zu Widerstandskreisen um Helmuth von Moltke und war an den Vorüberlegungen des Kreisauer Kreises beteiligt.

1940 kam er der Aufforderung zur Musterung zum Wehrdienst nicht nach: „ich kann diesen Krieg nicht fördern, ich kann nicht helfen, dass das Meer von Blut und Tränen noch andere Länder überflutet.“ An seinen Bruder Siegfried schrieb er Ende April 1940: „wenn einmal der Nebel sich zerteilt hat, in dem wir leben, dann wir man sich fragen, warum nur einige, warum nicht alle sich so verhalten haben.“ Auf der Flucht ins Ausland wurde er im Mai 1940 angeschossen. Zunächst in Düsseldorf inhaftiert, wurde er 1941 ins KZ Buchenwald verlegt. Die bayerische Kirchenleitung, die für eine Kriegsdienstverweigerung kein Verständnis zeigte, beendete im Juni 1940 das Dienstverhältnis mit Martin Gauger mit sofortiger Wirkung. Seine Familie bat vergeblich die Landesbischöfe Hans Meiser (Bayern) und Theophil Wurm (Württemberg) sich dafür einzusetzen, dass er ein ordentliches Gerichtsverfahren zugestanden bekäme. Am 15. Juli 1941 wurde Martin Gauger in der Euthanasie-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Alter von 35 Jahren ermordet.

Erst 65 Jahre später, im Juli 2006 entschuldigte sich der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, im Namen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der VELKD bei Martin Gaugers Schwester Hedwig. Die für Gauger zuständigen Kirchenleitungen hätten sich trotz seiner Gefährdung nicht für ihn eingesetzt und sich an ihrem Mitarbeiter schuldig gemacht.

Zum 75. Todestag würdigen im Gedenkgottesdienst am Sonntag, 16. Oktober 2016, 11 Uhr, in der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau die bayerische Synodalpräsidentin Dr. Annekathrin Preidel und Oberkirchenrat Dr. Martin Hauger vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Martin Gaugers Widerstand. Sein Neffe Gerhard Gauger wird ein Grußwort für die Familie sprechen, aus der sieben weitere Mitglieder ihr Kommen zugesagt haben. Dr. Heinz Hermann Niemöller (92), dessen Vater Martin Niemöller 1935 mit Martin Gauger in der BK-Leitung zusammenarbeitete und von 1941 bis 1945 Häftling im KZ Dachau war, kommt ebenfalls, wie auch Walter Joelsen (90), der wegen der jüdischen Herkunft seines Vaters in der NS-Zeit verfolgt wurde.

Mit dem Gedenkgottesdienst wird die Ausstellung „Seine Kirche aber schwieg“ des Berliner Antikriegsmuseums eröffnet, deren Texte für die Dachauer Präsentation im Blick auf die vielen internationalen Gäste der Gedenkstätte ins Englische übersetzt wurden. Die Ausstellung wird bis Ende Februar gezeigt: montags von 11 bis 13 Uhr, dienstags bis samstags von 10 bis 16 Uhr und sonntags von 12 bis 13 Uhr.

Nach dem Gottesdienst werden mit einem öffentlichen Empfang die sanierten Nebenräume der Versöhnungskirche wieder der Benutzung übergeben. Dabei spricht Johannes Striffler, der die Sanierung gemeinsam mit seinem Vater Professor Helmut Striffler, dem Architekten der Versöhnungskirche, bis zu dessen Tod 2015 geplant hatte.Ein Grußwort hat Katrin Schoppe-Holzapfel, die in der EKD-Finanzabtelung die Sanierung gefördert und begleitet hat, zugesagt. Unter den Gästen sind weitere Persönlichkeiten, die an der Sanierung beteiligt waren.

Seit der Einweihung der Versöhnungskirche 1967 ist deren Gesprächsraum für viele Gäste der Gedenkstätte ein geschützter Ort der Ruhe und des Nachdenkens. Auch als Veranstaltungs- und Ausstellungsraum wird er wegen seiner besonderen Atmosphäre geschätzt, in der kalten Jahreszeit dient er als „Winterkirche“. Nach langjähriger Planung konnte die Sanierung des Gesprächsraums, der Büros und der sanitären Anlagen im Sommer 2016 unter Leitung von Johannes Striffler umgesetzt werden. Nach fast 50 Jahren wurden mit Hilfe der EKD und durch öffentliche Zuschüsse die Räume und deren Beheizung in einen zeitgemäßen Zustand versetzt. Von den Gesamtkosten in Höhe von etwa 740.000 Euro trägt die EKD als Eigentümer der Versöhnungskirche den Großteil. Da das Gebäude unter Denkmalschutz steht und bei der Sanierung denkmalpflegerische und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt wurden, sind bisher aus öffentlichen Mitteln Zuschüsse in Höhe von 250.000 Euro zugesagt.

Als besonderes Zeichen der ökumenischen Verbundenheit nehmen am Gedenken und am Empfang Schwester Irmengard Schuster OCD, Priorin des Karmelitinnenklosters Heilig Blut Dachau, und Ludwig Schmidinger, Bischöflicher Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit, teil. Zugesagt haben auch der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath und der Dachauer Landrat Stefan Löwl (beide CSU). Das internationale Kuratorium der Versöhnungskirche ist durch die Vorsitzende, Stadtdekanin Barbara Kittelberger, und weiter Mitglieder vertreten. Auf die Begrüßung der Gäste in "ihrer" Versöhnungskirche freuen sich Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Teamassistentin Monika Müller-Richter und Diakon Klaus Schultz.

Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Alte Römerstraße 87
85221 Dachau
info@versoehnungskirche-dachau.de

www.versoehnungskirche-dachau.de