„Befreiende Reformation“

Bischof Hein ermutigt zur Freiheit in schwierigen Zeiten

Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck

223. November 2015

In seinem Bericht „Befreiende Reformation“ vor der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Altmorschen befasste sich Bischof Dr. Martin Hein heute mit der Frage, welche aktuelle Bedeutung die Reformation angesichts der drängenden Fragen der Gegenwart habe.

„Freiheit ist kein Zustand. Freiheit ist ein Prozess.“
Zu Beginn seiner Ausführungen stellte Hein fest, durch die Reformation sei ein Impuls in die Welt gekommen, der die Menschen bis heute antreibe, und dessen man sich ständig vergewissern müsse: der Impuls der Freiheit. Damit habe die Reformation einen entscheidenden Grundstein für die moderne Gesellschaft gelegt. Hein betonte: „Freiheit ist kein Zustand. Freiheit ist ein Prozess.“ In schwierigen Zeiten gelte es zu fragen, wie dieser Impuls der Freiheit aufgenommen werden könne. Hein fragte kritisch an, ob es angesichts der großen Zahl von Menschen, die während der letzten Monate nach Deutschland gekommen seien, vielleicht einfach an Fantasie fehle, mit der Situation umzugehen. Er gab zu bedenken: „Für Fantasie brauchen wir innere Freiheit, dürfen uns von Ängsten und Befürchtungen nicht lähmen und blockieren lassen.“ Momentan gelte es, unmittelbar und unbürokratisch Hilfe zu leisten und das Nötigste bereit zu stellen. Hein zeigte sich überzeugt, „dass uns das reformatorische Verständnis der Freiheit helfen kann, zu Besonnenheit, Entschlossenheit und Fantasie zurückzukehren.“

Dafür Sorge tragen, dass der Einzelne in den Blick und zu seinem Recht kommt
Hein betonte, angesichts der aktuellen Flüchtlingsfrage gelte es, nicht die Menge, sondern den Einzelnen in den Blick zu nehmen: „Für unser kirchliches und diakonisches Engagement zählt vor allem der einzelne Mensch. Ihm und nicht den Flüchtlingen als Statistik oder als unpersönliche „Flut“ gilt unsere Aufmerksamkeit.“ Es sei dafür Sorge zu tragen, dass der Einzelne zu seinem individuellen Recht komme: „Die Freiheit dazu haben wir, den Mut dazu können wir im Glauben finden.“

„Christen sind keine besseren, aber freie Menschen.“
Der Bischof wies darauf hin, dass Luther den Glauben als eine Haltung des Vertrauens auf Gott wiederentdeckt habe, die das ganze Leben umfasse. Diese Haltung befreie den Menschen von seinem Leistungsstreben, seinem Willen zur Selbstbehauptung und der Durchsetzung eigener Interessen. Damit sei der Mensch frei, sein Leben in Freiheit und Verantwortung zu gestalten. Aus dieser inneren Haltung der Christen könnten Fantasie, Mut und Entschlossenheit erwachsen: „Christen sind keine besseren, aber freie Menschen, weil sie ihre Begrenztheit erkennen und zugleich entschlossen die Welt gestalten, so gut es eben geht. Das ist die Quelle jener evangelischen Tugenden, die mir heute dringend nötig erscheinen: Nüchternheit, Besonnenheit und tiefe Liebe zur Welt als Gottes Schöpfung.“

„Freiheit ermöglichen, die eigene religiöse Überzeugung ungehindert leben zu dürfen“
Hein fragte pointiert: „Wie soll man leben können, wenn nicht in Freiheit?“ Es gehe darum, „gemeinsam die Welt als einen Ort zu gestalten, der Freiheit ermöglicht – auch die Freiheit, die eigene religiöse Überzeugung ungehindert leben zu dürfen.“ Dazu seien die Kirchen der Welt in gemeinsamer Verantwortung aufgefordert. Ziel müsse es sein, eine „Einheit in versöhnter Gemeinschaft“ zu gestalten: „Verschiedenheit meint Reichtum! In der Verschiedenheit wird das Ganze sichtbar, das wir gemeinsam verwirklichen.“

„Die Angst malt Schreckensszenarien, der Glaube Szenarien des Gelingens.“
Hein gab zu bedenken, dass die Ängste vor dem Fremden ernst zu nehmen seien. Der Glaube führe fort von spontanen Gefühlen hin zu Nüchternheit und Besonnenheit: „Die Angst malt Schreckensszenarien, der Glaube Szenarien des Gelingens.“

Die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche
Hein sicherte zu, die Kirche werde sich auch in Zukunft für den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Sie werde sich in die gesellschaftliche Diskussion hineinbegeben und Gesetzesvorhaben kritisch begleiten. Dazu gehörten derzeit Maßnahmen wie die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte. Auch bei der Absenkung von Sozialleistungen für bestimmte Flüchtlingsgruppen, beschleunigten Asylverfahren und den angedrohten Abschiebungen nach Afghanistan müsse man genau hinsehen und sich, wenn nötig, kritisch äußern.

In Bezug auf die geplante gesetzliche Neuregelung des Asylverfahrens betonte der Bischof: „Das neue „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ ist die weitreichendste Verschärfung des Asylrechts der letzten zwanzig Jahre. Erleichterungen, die erst zur Jahresmitte eingeführt wurden – wie z.B. die Abschaffung der Residenzpflicht oder der schnellere Arbeitsmarktzugang – wurden wieder zurückgenommen.“

Neue geistliche Heimat für christliche Flüchtlinge / Dialog mit dem arabischen Islam
Eine Herausforderung für die Kirche sei es, den Christen unter den Flüchtlingen eine neue geistliche Heimat zu ermöglichen und ihnen als Gemeinden anderer Sprache einen Platz in der Landeskirche zu eröffnen. Zudem sei der Dialog mit dem neuen arabischen Islam zu suchen. An einer einheitlichen Position der christlichen Kirchen in Europa zum Umgang mit der Aufnahme von Flüchtlingen gelte es zu arbeiten. Weiterhin sei danach zu fragen, wie sich die Kirche gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Antiislamismus positionieren und konkret engagieren könne.

Das Engagement der Kirche in der Flüchtlingsfrage
Hein dankte ausdrücklich den vielen Haupt- und Ehrenamtlichen, „die sich jeden Tag dafür einsetzen, die Lebensbedingungen der geflüchteten Menschen zu verbessern“. Es sei das Verdienst der Ehrenamtlichen, dass die Stimmung im Land bislang nicht gekippt sei.

Die Landeskirche bemühe sich darum, das ehrenamtliche Engagement in den Gemeinden zu unterstützen und selbst konkrete HiIfsangebote zu schaffen. Diese seien ein Zeichen der Unterstützung und der Wertschätzung für die Engagierten. Zugleich signalisiere die Landeskirche damit der Gesellschaft und der Politik, dass sie bereit sei, handfest Hilfe zu leisten. Hein prognostizierte, dass die Integration von geflüchteten Menschen die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre sein werde.

Die konkreten Aktivitäten der Landeskirche
Hein berichtete, dass der Rat der Landeskirche bereits Anfang Oktober beschlossen habe, ein deutliches Signal zur finanziellen Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements und der sozialen Arbeit mit Flüchtlingen zu setzen. Nun sei die Synode gebeten, diese Finanzmittel in Höhe von einer Million Euro zu bewilligen.

Schon im vergangenen Jahr sei der Etat für die unabhängige Flüchtlingsberatung und den Rechtshilfefonds erhöht worden. Zudem seien die Stelle der Beauftragten für Flucht und Migration aufgestockt und ein Koordinator für die Vernetzung verschiedener Initiativen eingesetzt worden. Eine Arbeitsgruppe sichte zurzeit den Bestand kirchlicher Immobilien; bislang könnten 43 Immobilien als Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Zudem könnten kirchliche Freizeitheime in Zukunft eine neue Heimat für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden oder als Gemeinschaftsunterkünfte dienen. Um Ehrenamtliche für ihren Einsatz zu qualifizieren, sei ein Basiskurs zur Flüchtlingsbegleitung für Kirchengemeinden entwickelt worden. Darüber hinaus entständen Gottesdienstentwürfe, Bausteine für Gottesdienste zur Begrüßung der neuen Gäste, interkulturelle Fortbildungen, Materialien für Religions- und Konfirmandenstunden, Fortbildungen für Erzieher zum Thema „traumatisierte Kinder“ und Bausteine für die Ausbildung von Jugendmitarbeitern.

Der Bischof bekräftigte seinen Appell, in der kalten Jahreszeit als letzte Möglichkeit auch die Kirchen als Notunterkünfte zu öffnen. Er betonte, er wolle damit den Ernst der Lage deutlich machen.

„Das Gesicht unserer Kirche wird bunter.“
In seinem Resümee wagte der Bischof die Prognose, auch die Kirche werde sich durch die eingetretene Entwicklung verändern: „Das Gesicht unserer Kirche wird bunter.“ Themen wie interkulturelles Lernen und interkulturelle Öffnung würden an Bedeutung gewinnen. Hein zeigte sich überzeugt: „Wir können uns dieser Aufgaben zuversichtlich stellen – im Vertrauen auf Gottes Hilfe.“

Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
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