„Einen Königsweg gibt es nicht“

Kirchenpräsident Christian Schad nimmt zu den Waffenlieferungen in den Irak Stellung

Evangelische Kirche der Pfalz

09. September 2014

Vor wenigen Tagen beschloss die Deutsche Bundesregierung, die im Nord-Irak gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ kämpfenden Kurden mit Waffen zu beliefern. Die Entscheidung löste auf allen Ebenen heftige Diskussionen aus und brachte der Regierung sowohl viel Zustimmung, als auch viel Kritik ein. Dabei bringen beide Seiten durchaus nachvollziehbare Argumente vor. Nun bezieht auch der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Christian Schad, offiziell zu dieser Entscheidung Stellung:

Vor 100 Jahren, am 1. August 1914, erklärte das Deutsche Reich Russland, am 3. August Frankreich den Krieg. Und vor 75 Jahren, am 1. September 1939, begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg.

Wer hätte gedacht, dass die Erinnerung an jene Daten in diesen Tagen und Wochen eine geradezu gespenstische Aktualität erfahren würde? Was vor kurzem noch völlig außerhalb unserer Denkmöglichkeiten lag, findet heute statt: Ein sogenannter Islamischer Staat geht mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen religiöse Minderheiten vor und dehnt seinen Machtbereich ohne Rücksicht auf die elementaren Menschenrechte aus: ein Zivilisationsbruch ungeahnten Ausmaßes!

Soll unser Land sich im Nord-Irak an militärischen Interventionen beteiligen? Oder soll es ausschließlich Hilfsgüter für die Verfolgten zur Verfügung stellen? Reicht es, die Flüchtlinge aufzunehmen und Schwerverletzte auszufliegen?

Soll die Bundesrepublik – neben humanitären Maßnahmen – auch Waffen liefern, um denen zu helfen, die das Ausbreiten der Terror-Miliz zu verhindern suchen? Oder sollen wir als Christen auf einem prinzipiellen Pazifismus bestehen, der sich jeder militärischen Aktion enthält?

Hier zeigt sich, dass ernste ethische Fragestellungen mit Dilemma-Situationen zu tun haben. Dietrich Bonhoeffer hat schon 1933 die These vertreten, die Kirche könne in die Lage kommen, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Es gibt, so Bonhoeffer, Situationen, in denen es unmöglich ist, keine Schuld auf sich zu laden. Bekanntlich beteiligte er sich an der Vorbereitung des Tyrannenmordes gegen Hitler, der am 20. Juli 1944 fehlschlug.

Für mich bedeutet das, in der gegenwärtigen friedensethischen Diskussion jede Verdächtigung oder Abwertung des jeweils Andersdenkenden zu unterlassen! Nein, bei den schon erfolgten Waffenlieferungen Deutschlands und anderer NATO-Staaten in den Nord-Irak geht es nicht um Rüstungsgeschäfte, sondern um äußerste Nothilfe. Den Gräueltaten an Jesiden, Christen und Angehörigen anderer Volksgruppen soll Einhalt geboten werden.

Diese Art der Unterstützung aber ist risikobehaftet: Die kurdischen Kämpfer, sie werden Gewehre und Panzerabwehrwaffen nach dem Konflikt aller Voraussicht nach nicht zurückgeben. Was, wenn sie diese eines Tages gegen irakische Regierungstruppen oder gegen unseren NATO-Partner Türkei richten, zumal die Waffen der IS-Milizen ja zum Teil auch aus westlichen Beständen stammen? Welche neuen Konflikte werden deutsche bzw. europäische Waffen befördern und verschärfen? Und nicht zuletzt: Wird unser Land, wird Europa, durch die Unterstützung der Kurden zur Konfliktpartei?

Vieles spricht darum gegen deutsche und europäische Waffenlieferungen in den Nord-Irak. Deshalb verstehe ich all jene, die sich in ihrem Gewissen, aus christlicher Überzeugung heraus, dagegen ausgesprochen haben bzw. dagegen aussprechen. Trotzdem kann ich nicht verurteilen, was die Bundesregierung und die Mehrheit des Deutschen Bundestags kürzlich beschlossen haben.
Denn in der anderen Waagschale liegt die schwerwiegende Frage:
Dürfen wir, wie es schon einmal 1994 im Fall Ruandas geschah, hinnehmen, dass Menschen massenhaft enthauptet, gekreuzigt oder gesteinigt werden? Sind wir nicht – gerade als Christen – zur Hilfe verpflichtet, wenn wir von den potentiellen Opfern darum gebeten werden?

Mich jedenfalls beschweren die Ereignisse im Nord-Irak in meinem Gewissen sehr. Ich gehe die Wege beider ethischer Optionen mit – vor allem im Gebet. Deshalb habe ich am
12. Sonntag nach Trinitatis zu einer alle Gemeinden der Pfälzischen Landeskirche verbindenden Fürbitte aufgerufen.
Ein Königsweg freilich ist weder die eine noch die andere Option. Wie auch immer, wir machen uns schuldig vor Gott und den Menschen. Ein Königsweg ergäbe sich auch dann nicht, wenn ein Mandat im Sinne der Schutzverantwortung für die Verfolgten seitens des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vorliegen würde. Dieses Mandat allerdings einzufordern, bleibt im Namen des Völkerrechts unsere gemeinsame Pflicht.

Was auch immer jetzt an militärischen Aktionen gegen die IS-Milizen geschieht, es wird die Konflikte nicht lösen und der Region weder Frieden noch Sicherheit bringen. Deswegen sollte die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den anderen Staaten guten Willens durch Geld und personelle Ressourcen mithelfen, dass zivile Konfliktlösungen eine Chance gewinnen und sich im Irak stabile staatliche Strukturen ausbilden können, mithin ein Staatswesen entsteht, in dem die Menschenrechte geachtet und Prozesse der Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen in die Wege geleitet werden.

Gott gebe zu allen Friedensbemühungen seinen reichen Segen!

09. September

www.evkirchepfalz.de