"Sie haben uns verjagt, sie haben uns verlassen"

Gedenkgottesdienst für die Opfer des NS-Genozids an den Sinti und Roma und gegen aktuellen Antiziganismus

Andere

11. März 2014

Am Sonntag, 16. März, überträgt das Bayerische Fernsehen von 10 bis 11 Uhr aus der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau den Gedenkgottesdienst für die Opfer des NS-Genozids an den Sinti und Roma. Angesichts der populistischen Stimmungsmache in Deutschland gegen Roma aus Rumänien und Bulgarien setzt der Gottesdienst ein Zeichen gegen den aktuellen Antiziganismus. Als Ehrengast nimmt Hermann Höllenreiner (80) teil, der im März 1943 im Alter von neun Jahren zusammen mit seiner Familie von München ins "Zigeunerlager Auschwitz" deportiert wurde und später die Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen überlebte.

Im Gottesdienst steht das Gedenken an die Opfer des Völkermords im Mittelpunkt. Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg und Schwester der bekannten Sängerin Marianne Rosenberg, liest aus den Erinnerungen ihres Vaters an seine KZ-Haft. Es geht auch um aktuelle Diskriminierungen von Sinti und Roma. Maria Stancu, deren rumänische Roma-Familie in Bayern ein neues Zuhause gefunden hat, berichtet über ihre Arbeit als Streitschlichterin an Münchner Schulen und über ein Theaterprojekt für Sinti- und Roma-Kinder. Aus der in Koblenz ansässigen Sinti-Musikerfamilie Reinhardt gestalten Django und Lulo Reinhardt, Großneffen des legendären Jazz-Gitarristen Django Reinhardt, den Gottesdienst musikalisch mit Gesang und Gitarre. In einem ihrer Lieder heißt es: "Sie haben uns verjagt, sie haben uns verlassen". Pfarrer Dr. Björn Mensing, Landeskirchlicher Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit, geht auf die bisher weitgehend unbekannte Verstrickung der Kirchen in die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma ein. Er ruft zu einer Willkommenskultur auf,  die nicht nur die hochqualifizierten Zuwanderer begrüßt, sondern auch die, die arm und hilfsbedürftig sind. Im Gottesdienst wirken außerdem mit: Alfred Ullrich (Sinto, Künstler im Landkreis Dachau), Subpriorin Sr. Dr. Johanna Kuric OCD (Karmel Heilig Blut Dachau), Christine Hänsel (Organistin) und Katharina Thiersch (Religionspädagogin für Jugendarbeit in Dachau). Den Verband Deutscher Sinti und Roma vertritt Erich Schneeberger, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern. Für die Republik Bulgarien nimmt Generalkonsulin Antoaneta Baycheva teil. Den Deutsche Bundestag repräsentiert Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe. Aus dem Bayerischen Landtag kommen Martin Güll (SPD, Vorsitzender des Bildungsausschusses), Anton Kreitmair und Bernhard Seidenath (beide CSU) sowie Benno Zierer (Freie Wähler). Bürgermeisterin Gertrud Schmidt-Podolsky vertritt die Große Kreisstadt Dachau.

Die Geschichte der Sinti und Roma ist eng mit Dachau verknüpft. Vor 80 Jahren verschleppten die Nationalsozialisten die ersten Angehörigen dieser ethnischen Minderheit ins KZ. Schon früh wurden hier neben aktiven NS-Gegnern auch Menschen inhaftiert, die als „Asoziale“ ausgegrenzt wurden. Vor 75 Jahren verschärfte das NS-Regime die Verfolgung mit den Ausführungsbestimmungen „Zur Bekämpfung der Zigeunerplage“. 553 Sinti und Roma kamen im Juni 1939 im Rahmen der Verhaftungsaktion im österreichischen Burgenland ins KZ Dachau, wo sie mit jüdischen Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen auf der „Plantage“ schuften mussten. Im Zweiten Weltkrieg ermordeten die Deutschen hunderttausende Sinti und Roma aus ganz Europa.

Im Frühjahr 1980 versammelten sich erstmals Sinti und Roma in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, um mit einem weltweit beachteten Hungerstreik gegen die weiterhin bestehende Diskriminierung zu protestieren. Ihr Sprecher Romani Rose gründete 1982 gemeinsam mit anderen aus der Bürgerrechtsarbeit den „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“.

Das Bayerische Fernsehen bittet alle Besucher dieses öffentlichen Gottesdienstes, bis 9.50 Uhr die Plätze in der Versöhnungskirche einzunehmen. Bitte berücksichtigen Sie bei Ihrer Anreise den Fußweg von etwa 10 Minuten vom ausgeschilderten Parkplatz der KZ-Gedenkstätte (für Gottesdienstbesucher gebührenfrei) bzw. von der MVV-Bushaltestelle „KZ-Gedenkstätte“ zur Versöhnungskirche. Die BR-Liveübertragung des Gottesdienstes findet von 10 bis 11 Uhr statt. Da der Kirchenraum leider kaum beheizbar ist, sollten Sie sich ggf. warm anziehen; es wird aber auch in den gut beheizten Gesprächsraum der Versöhnungskirche übertragen.

Pfarrer Dr. Björn Mensing, Theologe und Historiker
Landeskirchlicher Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit
Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Alte Römerstr. 87
D-85221 Dachau
Tel. 0 81 31-27 26 01
pfarrer.mensing@t-online.de
www.versoehnungskirche-dachau.de