Spitzengespräch der norddeutschen Bischöfe und des DGB Bezirk Nord in Lübeck

Für die Wiederbelebung der europäischen Idee!

Nordkirche

10. Jini 2013

Lübeck. Vertreter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), des Erzbistums Hamburg und des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord (DGB Nord) haben heute (10. Juni) eine gemeinsame Erklärung zur europäischen Idee beschlossen.
 
Die Erklärung im Wortlaut:
 
„Das Projekt eines friedlichen und solidarischen Europas ist eine großartige Idee. Nach 1945 gelang es, ein neues Europa aufzubauen, das auf Freiheit und sozialer Gerechtigkeit gegründet war. Massenwohlstand und soziale Stabilität im Rahmen des Wohlfahrtsstaates waren zentrale Merkmale der neuen europäischen Identität.
 
Aber nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 begann, steckt das europäische Projekt  auch 2013 in einer tiefen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise. Die auf Kürzen und Sparen ausgerichtete Anti-Krisenpolitik hat die Probleme bisher nicht lösen können – im Gegenteil: Europa droht eine verfestigte Spaltung, die das europäische Projekt belastet und seine Legitimität bei den Bürgerinnen und Bürgern untergräbt. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit mit Länderquoten von weit mehr als 60 Prozent ist skandalös, fordert zum Handeln heraus und steht im krassen Widerspruch zum Vertrag über die Europäische Union. Darin haben sich die Staaten verpflichtet, „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“, zu fördern.
 
Das Engagement von Gewerkschaften und Kirchen für Gerechtigkeit und Frieden endet nicht an regionalen Grenzen. Deshalb setzen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund Nord (DGB Nord), die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und das Erzbistum Hamburg für ein ökonomisch starkes Europa ein, das solidarisch und sozial ist. Wirtschaftliche Prosperität, Wohlstand für alle und ökologische Nachhaltigkeit dürfen keine Gegensätze sein. Sie bedingen sich für eine stabile und bessere Zukunft in Europa.
 
Die strukturellen Probleme der EU sind nicht zuletzt die Folge einer einseitig auf Handels- und Geldpolitik ausgerichteten europäischen Integration. Damit hat Europa zwar einen gemeinsamen Binnenmarkt und eine Gemeinschaftswährung bekommen - aber die ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte haben sich aufgrund der unterschiedlichen Wirtschafts- und Unternehmensstrukturen, Sozialsysteme und Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten immer weiter verstärkt. Es fehlt an einer gemeinsamen oder zumindest abgestimmten Fiskal-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die auch die sozialpolitischen Konsequenzen einbezieht und das europäische Gemeinwohl in das Zentrum des politischen Handelns stellt.
 
Die heutige ökonomische Situation Deutschlands hat auch etwas mit der Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft anderer zu tun.1953 wurden der Bundesrepublik etwa 50 Prozent ihrer Schulden erlassen: Das Londoner Schuldenabkommen hat entscheidend zum deutschen Wirtschaftsaufschwung in den 1950-er und 60-er Jahren beigetragen. Diese Chance zum Neubeginn wurde uns durch Staaten ermöglicht, die wir zuvor mit Krieg und Unterdrückung überzogen hatte. Das sollte Deutschland als Verpflichtung verstehen, seine politischen Möglichkeiten in der EU dafür einzusetzen, anderen Staaten gegenüber jetzt ebenso hilfsbereit und großzügig zu handeln.
 
Diesen Weg nicht zu gehen, könnte fatal sein. Die jüngere deutsche Geschichte, aber auch die politischen Entwicklungen in der aktuellen Krise zeigen, wie eng fehlende gesellschaftliche Teilhabe, Armut und politische Radikalisierung miteinander verzahnt sind.
 
Insbesondere das Drama der in Hamburg gestrandeten Flüchtlinge steht exemplarisch für die Unfähigkeit Europas, der eigenen Idee einer grenzüberschreitenden Solidarität zu folgen.
 
Die Bundestagswahl 2013 und die Europawahl 2014 werden deshalb zu wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft der Menschen in unserem Land und in Europa.
 
 
DGB Nord, Nordkirche und Erzbistum Hamburg sagen deshalb gemeinsam:
 
•          Europa ist mehr als die Summe der Nationalstaaten. Wenn es auch auf Dauer mehr sein soll als ein gemeinsamer Markt, bedarf es einer vertieften europäischen Integration mit dem Ziel einer föderalen politischen Union. Dazu wollen Kirchen und Gewerkschaften als internationale und soziale Organisationen einen Beitrag leisten.
 
•          Insbesondere wollen wir eine europäische Öffentlichkeit herstellen und vorantreiben: Aus ihren Wertehaltungen heraus sind Kirchen und Gewerkschaften in der Lage, an einem zivilgesellschaftlichen Fundament für die Repräsentationsdemokratie in der EU mitzuarbeiten und gemeinsam wichtige Impulse für ein solidarisches, ökonomisch starkes und soziales Europa zu geben.
 
•          Junge Menschen benötigen Ermutigung für ein Leben in Europa. Kirchen und Gewerkschaften leisten dazu ihren Beitrag, indem sie Begegnungen anbieten und für eine wertschätzende Willkommenskultur einstehen. Gleichzeitig müssen Politik und Wirtschaft dafür Sorge tragen, dass gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für junge Menschen geschaffen werden – auch für jene, die es am Start besonders schwer haben.
 
•          Dem sozialen und steuerpolitischen Unterbietungswettbewerb in Europa muss Einhalt geboten werden. Die aktuelle Krisenpolitik darf diese Abwärtsspirale nicht weiter befördern. Die Staaten müssen aktiv und handlungsfähig sein, um Daseinsvorsorge, Chancen und Wohlstand für alle zu bewirken. Wirtschaftliche Prosperität und gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen sind auch Voraussetzungen für eine solide Haushaltsführung und eine Reduzierung der öffentlichen und privaten Verschuldung.
 
•          Kurzfristig ist es deshalb notwendig, die Kürzungs- und Sparpolitik einzudämmen und durch ein nachhaltiges und wirkungsvolles europäisches Konjunkturprogramm zu ergänzen. Es sollte auf qualitatives Wirtschaftswachstum ausgerichtet sein, das damit zugleich einen Beitrag für den sozial-ökologischen Umbau leisten kann.
 
•          Europas Wirtschaft und Gesellschaft brauchen politische Leitplanken: Dem Markt müssen wirksame Regeln gesetzt werden, die Arbeitsbeziehungen brauchen eine neue Ordnung. Das Ziel sind Ausbildungsplätze für alle, sichere Arbeitsverhältnisse und solidarische Sozialversicherungen. In der Mindestlohndebatte unterstützen Kirchen und Gewerkschaften die Einführung eines gerechten, flächendeckenden und gesetzlichen Lohns, von dem man leben kann.
 
Gerhard Ulrich, Landesbischof der Nordkirche
Dr. Hans-Joachim Jaschke, Weihbischof des Erzbistums Hamburg
Uwe Polkaehn, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord“
 
10. Juni 2013

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