„Das Wunder von Barmen“

EKHN erinnert an die Barmer Theologische Erklärung, die vor 70 Jahren den Kirchenkampf gegen das NS-Regime einläutete

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

Anlässlich ihres 70. Jahrestags hat der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Peter Steinacker, an die Barmer Theologische Erklärung (BTE) erinnert. Sie war am 31. Mai 1934 in Barmen, heute ein Stadtteil von Wuppertal, verabschiedet worden und löste den Kirchenkampf zwischen den nationalsozialistisch orientierten „Deutschen Christen“ und der oppositionellen Bekennenden Kirche aus.

Meilensteine der Bekennenden Kirche in Hessen

Hessen habe für die Bekennende Kirche eine besondere Bedeutung gespielt, denn hier seien der erste und der letzte Text dieser NS-kritischen Kirchenbewegung entstanden. Steinacker erinnerte damit an das Darmstädter Wort von 1947, in dem die Bekennende Kirche zwei Jahre nach Kriegsende ihre Defizite im Kampf gegen das NS-Unrecht bekannte. Der Text der Barmer Theologischen Erklärung (BTE) sei wenige Tage vor seiner Verabschiedung in Frankfurt am Main vorbereitet worden. Maßgeblich beteiligt waren dabei der reformierte Theologe Karl Barth, der aus der Schweiz stammte und in Bonn Theologieprofessor war, sowie der lutherische Pfarrer Hans Asmussen aus Altona. Die beiden vereinten zum ersten Mal seit 400 Jahren reformierte und lutherische Kirchen zu einer gemeinsamen theologischen Erklärung. Dies, so Steinacker, sei im „Prinzip als Wunder von Barmen“ anzusehen“ angesichts der Tatsache, dass beide Kirchen erst fast 40 Jahre später, also 1973, die Abendmahlsgemeinschaft vereinbarten. Zuvor hätten die theologischen Differenzen als zu gravierend gegolten.

Konkrete Kampfansage und zeitlose Wahrheit zugleich

Die Synode in Barmen habe schon ganz am Anfang der NS-Regierung, 1934, erkannt, welche menschverachtende und grausame Ideologie und welche theologischen und politischen Folgen eine ungezügelte Natürliche Theologie haben würde. Mit dieser visionären Perspektive sei sie ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen gerecht geworden und habe konfessionelle Gräben übersprungen. Steinacker wörtlich: „In dieser besonderen Situation sind ihr geniale bekennende Worte geschenkt worden, die zum Einen eine konkrete und klare Absage an den totalen Staat aussprachen und auf der andern Seite Wahrheiten des Glaubens enthalten, die zu allen Zeiten gelten werden.“ Steinacker räumte ein, dass die Bekenntnissynode in Barmen zwar die theologische Opposition formiert habe, aber nur wenige evangelische Christen in der Folge auch den politischen Widerstand getragen hätten. Einer von ihnen sei Pastor Martin Niemöller gewesen, der nach Kriegsende der erste Kirchenpräsident der EKHN wurde und die Tradition der Bekennenden Kirche fest in der EKHN verankern wollte. Sie sei eine von zehn evangelischen Kirchen in Deutschland, die die BTE neben den klassischen Lehrbekenntnissen, wie etwa dem Augsburger Bekenntnis von 1530, „eine hohe Bedeutung für die Lehre und den Dienst der Kirche einräumten“.

Totaler Markt?

Die BTE habe die richtigen Worte zu richtigen Zeit gefunden, formulierte Steinacker. Damit sei sie bis heute und weltweit die Meßlatte für eine klare theologische Sprache und ein mutiges Verhalten der Kirche in ihrer jeweiligen Zeit. Steinacker sagte: „Die Barmer Theologische Erklärung mahnt bis heute zur Wachsamkeit gegenüber unkirchlichen Einflüssen und vor überzogenen Machtansprüchen auf den Glauben und die Kirche. Heute sei zwar nicht mehr der totale Staat die Bedrohung. Es drohe eher der „totale Markt, die totale Verfügbarkeit und globale Zerstörung der Lebensgrundlagen“.

Hintergrund: Die Barmer Theologische Erklärung

Die Erklärung wurde am 31. Mai 1934 verabschiedet und ist damit jetzt 70 Jahre alt. Sie gilt als das zentrale Dokument des Kirchenkampfes gegen die NS-Herrschaft. In sechs Thesen und Verwerfungen unterscheidet die Erklärung klar zwischen der Offenbarung Gottes in der Bibel und anderen angeblichen Äußerungsformen in der Natur oder der Geschichte. Die Bibel wird als die einzig legitime Offenbarung bezeugt gegenüber natürlichen oder historischen Phänomenen, die lediglich von Menschen als göttliche Offenbarung interpretiert werden. Was abstrakt theologisch wirkt, hatte enorme politische Folgen: die Ablehnung der Bewegung der „Deutschen Christen“, die im Nationalsozialismus den Willen Gottes erkennen wollte. Die fünfte These wendet sich explizit gegen „den totalen Staat“. Die BTE lieferte vielen Pfarrern, die sich von alters her zur Loyalität gegenüber dem Staat verpflichtet fühlten, das entscheidende Argument zum inneren Widerstand. In der Folge entstanden zunächst die Brüderräte und später die Bekennende Kirche, in der sich ganze Gemeinden gegen die Gleichschaltung der Evangelischen Kirche im NS-Staat wandten. Allerdings gingen nur wenige Christen soweit, den aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit all seinen Unmenschlichkeiten konsequent mitzutragen.

Darmstadt, 28. Mai 2004

Stephan Krebs
Pressesprecher