Vergeben heißt nicht vergessen

Präses Alfred Buß und Ex-Nationaltorwart Hans Tilkowski im Gefängnis Attendorn

Evangelische Kirche von Westfalen

30. September 2009

Attendorn. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, beten Christen im Vaterunser. Vergebung war auch das Thema eines Besuchs von Präses Alfred Buß in der Justizvollzugsanstalt Attendorn. Dort feierte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche von Westfalen gemeinsam mit Hans Tilkowski und Häftlingen am Dienstagabend (29.9.) einen Gottesdienst, in dem der frühere Nationaltorwart seine eigene Vergebungsgeschichte erzählte.

Sie beginnt 1966 im Wembley-Stadion, beim Endspiel der Fußball-WM, England gegen Deutschland. Das entscheidende Tor ist bis heute umstritten. Torwart Tilkowski ist mit vielen anderen überzeugt: Der Ball war nicht drin. Doch die Entscheidung des Linienrichters lautet anders, und damit hat Deutschland verloren. Das Wembley-Tor, das keins war, hat ihn lange nicht losgelassen: Wut, Enttäuschung, Bitterkeit. 43 Jahre später unternimmt Hans Tilkowski eine Reise, die sein Leben verändert: nach Aserbeidschan, in die Heimat des inzwischen verstorbenen Linienrichters Tofik Bachramow, der dort als Idol verehrt wird. Im Frühjahr 2009 hält Hans Tilkowski in Baku eine öffentliche Rede. Er wiederholt seine Überzeugung – es war kein Tor – und zitiert dann das Vaterunser: „... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Für die 270 Gefangenen im Offenen Vollzug, die in Attendorn inhaftiert sind, ist die Bitte um Vergebung ein Thema, das ihr Leben bestimmt. „Ich habe noch nie so viel nachgedacht über mein bisheriges Leben wie hier“, sagt einer. Ein anderer erzählt: „Da läuft immer wieder ein Film vor einem ab und man denkt: Warum hast du die Scheiße gemacht?“ Mit der eigenen Schuld zurechtkommen – das ist für manchen etwas vom Schwersten. Hier hilft Gefängnisseelsorger Lutz Greger durch vertrauliche Einzelgespräche ebenso wie durch einen regelmäßigen Gesprächskreis. Um Vergebung bitten – wen eigentlich? Für viele steht die Familie an erster Stelle, aber auch die Opfer, die Gesellschaft.

„Vergebung heißt in keinem Fall: vergessen“, sagte Präses Buß:
„Vergebung bedeutet präzises Erinnern. Vergebung nennt Unrecht beim Namen und sagt gleichzeitig: Es soll nicht mehr zwischen uns stehen.“ Menschen seien angewiesen auf Gottes Vergebung und durch sie selbst zur Vergebung fähig.

Übrigens: Im Gefängnis Attendorn gibt es eine Fußballmannschaft.
Mannschaftssport, da ist Hans Tilkowski sicher, kann helfen, wieder in das Leben nach dem Knast hineinzuführen. Im Gefängnis Fair Play lernen – für den mehrfach ausgezeichneten Sportler ist das eine hervorragende Möglichkeit. Denn: „Wenn man’s hier nicht lernt, kann man’s draußen nicht anwenden.“

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