„Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“

Evangelische Kirche von Westfalen: Erklärung zum 11. September

Evangelische Kirche von Westfalen

09. September 2011

Westfalen. Terroristische Gewalt lässt sich nicht wirksam mit neuer Gewalt begegnen. Das erklären die Verantwortlichen der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) zum zehnten Jahrestag der Terrorangriffe vom 11. September 2001. Gewalt erzeuge immer Gegengewalt, unterstreichen Annette Muhr-Nelson, landeskirchliche Friedensbeauftragte, und Uwe Trittmann, Referent im Institut für Kirche und Gesellschaft der EKvW, in einer Stellungnahme.

Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“, heißt es in dem Text. Nur eine auf menschlicher Sicherheit und einer gerechten menschlichen Entwicklung gründende globale Sicherheits- und Friedenspolitik könne den immensen Herausforderungen und Bedürfnissen der Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert gerecht werden.

Mit einer Strategie der entgrenzten militärischen Intervention lasse sich das Problem des Terrorismus nicht lösen. Die völkerrechtlich umstrittene Tötung Osama Bin Ladens bedeute keine Wiederherstellung der vermeintlichen Ordnung, erklären Muhr-Nelson und Trittmann. Das seit dem 11. September 2001 gewachsene Sicherheitsbedürfnis rechtfertige keine Beugung der Rechts- und Wertmaßstäbe. Insbesondere militärische Sicherheitsmaßnahmen im Interesse eines Landes dürften nicht an die Stelle kooperativer Bemühungen für den Frieden treten.

Terroranschläge wie die vom 11. September 2001 hätten in der Regel keine religiösen, sondern machtpolitische Ursachen. Es sei dringend geboten, die friedensfördernden Kräfte der Religionen zu stärken: „Als Kirche müssen wir mit aller Kraft für Frieden zwischen den Kulturen eintreten und zur Überwindung von Gewalt beitragen. Einen Frieden zwischen den Nationen wird es ohne einen Frieden zwischen den Religionen nicht geben.“

Die Erklärung zum zehnten Jahrestag des 11. September 2001 im Wortlaut:


Zehn Jahre nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 erinnert die Evangelische Kirche von Westfalen an das Friedenszeugnis des Evangeliums und bittet mit den Worten des Paulus „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (Römer 12,21, Jahreslosung 2011)

1. Das Wesen terroristischer Gewalt ist es, nicht vorhersehbar zu sein.
Neben Machtungleichgewichten und Armut sind vor allem Demokratiedefizite, fragile Staatlichkeit sowie eine allgemeine
Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit die Ursachen für Terrorismus. Wenn dann noch – wie im Fall des 11. September – religiöser Fundamentalismus legitimierend hinzukommt, wird deutlich, dass mit einer Strategie der entgrenzten militärischen Intervention dem Problem des Terrorismus nicht wirksam begegnet werden kann. Die völkerrechtlich umstrittene Tötung Osama Bin Ladens wenige Monate vor dem Jahrestag, von vielen als Wiederherstellung der vermeintlichen Ordnung bejubelt, stellt daher keine Lösung des Problems dar.

Vielmehr müssen wir mit unserer Partnerkirche in den USA, der United Church of Christ (UCC), bekennen, dass auch wir als Christinnen und Christen durch die Terroranschläge zutiefst verunsichert wurden und von der Vision einer vom Leitbild des „gerechten Friedens“ getragenen Weltinnenpolitik abgewichen sind. Mit unseren Schwestern und Brüdern in der UCC bekennen wir uns mitverantwortlich dafür, „dass Gewalt mit neuer Gewalt beantwortet wurde, dass wir vom Weg des Kreuzes zum Weg des Schwertes abgewichen sind, ... dass die Vision eines gerechten Friedens unfassbar erscheint in einer Welt, die sich von militärischer Macht faszinieren lässt.“

2. Mit dem 11. September 2001 ist weltweit ein neues Bedürfnis an Sicherheit und Schutz vor terroristischer Bedrohung entstanden.
Das ist menschlich verständlich, es rechtfertigt jedoch keine Beugung unserer Rechts- und Wertmaßstäbe. Unser christlicher Glaube verbietet es uns, auf Gewalt mit Vergeltung und Ra che zu antworten. Die zunehmende Privatisierung von Sicherheit, die bis heute ohne ein gerechtes Verfahren Inhaftierten in Guantanamo, die menschenverachtenden Bilder von Abu Ghraib – dies alles lässt einen Irrweg deutlich werden: Gewalt erzeugt immer Gegengewalt und die aus der Unterteilung der Welt in „Gut und Böse“ hervorgehende Selbstidealisierung wird letztlich zur Obsession.

Dagegen bleibt die Forderung aktuell: Nur eine auf menschlicher Sicherheit und einer gerechten menschlichen Entwicklung gründende globale Sicherheits- und Friedenspolitik ist im Stande, den immensen Herausforderungen und Bedürfnissen der Weltgesellschaft im 21.
Jahrhundert gerecht zu werden. Dazu ist es unbedingte Voraussetzung, das Primat des Zivilen in der Politik zu betonen, wie dies die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 hervorgehoben hat: „Ohne Beachtung der Interessen der je Anderen können sich Vertrauen und Zusammenarbeit nicht entwickeln. Daher dürfen Sicherheitsvorkehrungen im Interesse eines Landes – insbesondere militärische – nicht an die Stelle kooperativer Bemühungen um Frieden treten“. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten.  

3. Der 11. September 2001 fordert die Religionen heraus, für gerechten Frieden einzutreten.
Nicht selten wird die Ursache für die Terroranschläge am 11. September 2001 und seine Folgen im Aufeinanderprallen der Religionen, von Islam und Christentum gesucht. Tatsächlich können sich Konflikte religiös artikulieren oder legitimieren, in aller Regel haben sie aber keine religiösen bzw. kulturellen, sondern machtpolitische Ursachen.
Religionen tragen sowohl konfliktverschärfende wie auch friedensfördernde Potenziale in sich.
Letztere müssen deutlicher zur Sprache kommen. Als Kirche müssen wir mit aller Kraft für Frieden zwischen den Kulturen eintreten und zur Überwindung von Gewalt beitragen. Einen Frieden zwischen den Nationen wird es ohne einen Frieden zwischen den Religionen nicht geben. Es gibt zahlreiche ermutigende Beispiele von Friedensprozessen, die von Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgingen. Wo Menschen sich nicht vom Bösen überwinden lassen, sondern das Böse mit Gutem überwinden, wächst die Hoffnung auf Versöhnung und gerechten Frieden.

Am 11. September 2011 sind wir mit unseren Gedanken und Gebeten bei den vielen Menschen, die bei den Terroranschlägen vor zehn Jahren ihr Leben gelassen haben. Wir denken an die Hinterbliebenen und wünschen ihnen die Kraft, das Erlebte zu verarbeiten und in ihrer Trauer den Mut zur Versöhnung zu entwickeln.

Wir denken auch an die Opfer des Terroranschlags in Norwegen vom 22. Juli 2011. Diese Tat eines Einzelnen macht deutlich, dass es in einer offenen und freien Gesellschaft, die auf Vertrauen basiert, niemals absolute Sicherheit geben kann.

Unser Leben ist verletzlich. Mit dieser Verunsicherung müssen wir leben. Wir können es in der Gewissheit, dass nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes. Um seinen Frieden bitten wir – für uns und alle Welt.
Annette Muhr-Nelson, Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) Uwe Trittmann, Referent im Institut für Kirche und Gesellschaft der EKvW

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