Dialog mit Katholiken hat zur gegenseitigen Verständigung beigetragen

Der Catholica-Beauftragte der VELKD, Landesbischof Dr. Friedrich Weber (Wolfenbüttel), im Interview

Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD)

24. April 2006

Der Dialog mit der römisch-katholischen Kirche hat „erheblich zur gegenseitigen Verständigung beigetragen“. In der Lehre vom Abendmahl, Amts- und Kirchenverständnis ist ein Konsens jedoch nicht erreicht und „mittelfristig auch nicht in Sicht“. Diese Auffassung vertrat der Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof Dr. Friedrich Weber (Wolfenbüttel), im vorab veröffentlichten Interview der „VELKD-Informationen“ (Ausgabe vom 10. Mai). Dass es keinen Konsens gebe, sei zwar bedauerlich, doch könne sich daraus nicht ergeben, „dass wir das Gespräch abbrechen oder das Miteinander einfrieren, bis einmal ein Wunder der Klärung geschehen könnte“. Konsens in Lehrfragen und damit letztlich im Verständnis des Evangeliums sei ein „wichtiges Ziel“. „Deshalb sollten wir zuerst prüfen, wie viel Gemeinschaft die Unterschiede in der Lehre zulassen und entsprechend handeln“, so der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig.

Als Catholica-Beauftragter wolle er die Rolle eines „Vermittlers“ wahrnehmen. Dazu sehe er eine Reihe von Erfordernissen und Chancen. Alle Kirchen hätten den Auftrag dafür einzustehen, als eine versöhnte Gemeinschaft zu leben. Ökumenisches Miteinander sei keineswegs nur ein Ausdruck freundlichen Umgangs miteinander, wenngleich dies schon einen hohen Wert habe. Es gehe um mehr. „Wir sind vielmehr gesandt, den Menschen heute das Evangelium als eine sie befreiende und froh machende Botschaft zu bringen.“ Die Gesellschaft befinde sich in einer geistigen Umbruchsituation. „Religion kehrt in das öffentliche Bewusstsein zurück, denn Lebensorientierung braucht andere Kriterien als bloßen Fortschrittsglauben“, Weber wörtlich. Von den Kirchen werde erwartet, dass sie dem einzelnen Menschen Hilfen zur Orientierung geben. In dieser Situation werde keine der Kirchen mit ihrer jeweiligen Lehre und Spiritualität alle ansprechen können. Die hoch differenzierte Gesellschaft erfordere eine Vielfalt der Glaubenszeugnisse und des Gemeindelebens. „Diese Vielfalt kann jedoch nur etwas ausrichten, wenn sie von den Kirchen nicht so gegeneinander gerichtet ist, dass jede für sich ausschließlich beansprucht, in der Wahrheit zu sein, und sich deshalb von den anderen abgrenzt.“ Vor diesem Hintergrund werde er immer wieder auf die römisch-katholische Kirche zugehen, um so viel wie möglich gemeinsam abgestimmt zu handeln in Verkündigung, Diakonie und Gottesdienst. Andererseits werde er in den eigenen Kirchen das Verständnis für den Partner immer neu zu wecken versuchen. In Konfliktsituationen wolle er nach Lösungen suchen und auch persönlich vermitteln. Es gehe ihm darum, „gemeinsam mit der Schwesterkirche in den großen gesellschaftlichen Umbrüchen der Gegenwart, eine Orientierung aus dem Glauben zu geben“.

Zu Lage der Ökumene in Deutschland sagte der Catholica-Beauftragte der VELKD, neben „wohltuenden und begrüßenswerten Kooperationen gibt es auch Irritationen und manchmal gegenseitige Vorhaltungen, die den Eindruck vermitteln, sie entstammten einem neuerlichen Fundamentalismus“. Manchmal träten auch gewisse Ängste auf. Nach einer langen Phase des Dialogs, in der sich die Kirchen „erstaunlich weit füreinander geöffnet haben, kommen Befürchtungen auf, man habe sich zu weit geöffnet“. Beiden Kirchen sei eigentlich klar, dass sie keine Gemeinschaft wollten, „in der wir entweder so viel von unserer Identität abschleifen, dass sie die anderen nicht befremdet, oder andererseits so viel davon verstecken, dass die anderen unsere Identität in ihrer Differenz nicht bemerken“. Das Ziel sei eine Gemeinschaft, „in der wir einander in unserem jeweiligen Profil achten und zu verstehen suchen“. Ökumene dürfe kein Prozess der Reduktion, sondern müsse ein Prozess der gegenseitigen Bereicherung sein. Damit hänge zusammen, „dass wir wohl den Diskurs führen, der Erkenntnis bringt, nicht aber den Konflikt suchen, der Gemeinschaft zerstören kann“. „Ich trete dafür ein, das Gespräch miteinander den Äußerungen übereinander vorzuziehen.“

Im Blick auf den nächsten Ökumenischen Kirchentag 2010 in München sagte Weber, ihm werde dadurch Bedeutung zukommen, dass auf ihm erkennbar werde, „wie stabil die Beziehungen zwischen unseren Kirchen sind, was sie tragen und was nicht“. Er wünsche sich für die Veranstaltung, dass es nicht nur um die beiden großen Kirche gehe, sondern um alle christlichen Kirchen im Land, also die gesamte Ökumene.

Landesbischof Dr. Friedrich Weber wurde im November 2005 zum Catholica-Beauftragten der VELKD berufen. Er ist in diesem Amt Nachfolger von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München), der zum Leitenden Bischof der VELKD gewählt worden war.

Hannover, 24. April 2006

Udo Hahn
Pressesprecher


Das Interview mit den „VELKD-Informationen“, Ausgabe vom 10. Mai 2006, im vollen Wortlaut:

Frage: Herr Landesbischof, welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Arbeit als Catholica-Beauftragter der VELKD setzen?

Friedrich Weber: Von ihrem Catholica-Beauftragten erwartet die VELKD zuallererst, dass er das Amt eines Vermittlers wahrnimmt. Dafür sehe ich eine Reihe von Erfordernissen und Chancen. Wir sind es dem Herrn, der sein Volk aus allen Völkern sammelt, schuldig, uns für diese von ihm gestiftete Gemeinschaft einzusetzen und auch anzustrengen. Alle Kirchen haben den Auftrag dafür einzustehen, dass seine Kirche durch ihn und mit ihm als eine versöhnte Gemeinschaft leben kann und soll. Ich bin überzeugt, dass Christus uns das gegenwärtig noch besonders einschärft. Ökumenisches Miteinander aller Kirchen ist ja keineswegs nur ein Ausdruck freundlichen Umgangs miteinander, obgleich auch das schon einen hohen Wert hat. Es geht um mehr: Wir sind vielmehr gesandt, den Menschen heute das Evangelium als eine sie befreiende und froh machende Botschaft zu bringen.

In unseren Gemeinden leben und wirken viele Menschen, die von dieser Botschaft erfüllt, ihren Glauben praktizieren. Gleichzeitig leiden wir darunter, dass einer großen Zahl von Menschen – auch Getauften – diese Botschaft fremd bleibt. Wir befinden uns in einer geistigen Umbruchsituation. Doch Eines zeichnet sich ab: Religion kehrt in das öffentliche Bewusstsein zurück, denn Lebensorientierung braucht andere Kriterien als bloßen Fortschrittsglauben. Zukunftsforscher reden im Blick auf die religiöse Situation in unserem Land von einer Respiritualisierung und bezeichnen dies als Megatrend. So hat das Institut für Meinungsforschung in Allensbach nachgewiesen, dass es zwischen 1995 und 2005 keinen Rückgang des „religiösen Selbstverständnisses der Deutschen“ gegeben hat. Von den Kirchen wird erwartet, dass sie dem einzelnen Menschen Hilfen zur Orientierung geben. In den zurückliegenden Jahren sind die Kirchen langsam, aber stetig wieder wichtiger geworden, weil Menschen von ihrer Kirche Auskunft zu Fragen des Glaubens erwarten. Deswegen müssen Christen auskunftsfähig sein über die Hoffnung, die in ihnen ist. Für mich beginnt dies immer wieder mit dem Osterzeugnis: Christen leben mit einer Hoffnung, die in der Auferstehung Jesu Christi am Ostersonntag ihren Ausgang nimmt. Sie vertrauen auf Gott, der seine Menschen auch über den Tod hinaus nicht alleine lässt. Vor diesem Hintergrund ist eine profilierte Präsenz der Kirche unverzichtbar. Profiliert ist sie aber nur, wenn Christinnen und Christen auskunftsfähig über ihren Glauben sind. Dafür ist es wichtig, dass die Menschen in der Kirche in der Lage sind, von der Hoffnung in Christus, von der sie erfüllt sind, Rechenschaft zu geben.

Wir sind also gefordert, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden und den Bezug unseres Handelns auf das Evangelium deutlich zu machen. Mit Paulus gesprochen heißt das: Wir schämen uns nicht des Evangeliums. Es geht in allem, was die Kirche zu tun hat, um Mission. Mission ist für mich also kein zusätzliches Programm, sondern ein Strukturelement kirchlichen Handelns in allen Bezügen. Mission ist Beziehungsarbeit, denn nur als Einzelne werden Menschen für die Kirche und den Glauben gewonnen. In dieser schwierigen Situation wird keine der Kirchen mit ihrer jeweiligen Lehre und Spiritualität alle ansprechen können. Die hoch differenzierte Gesellschaft erfordert eine Vielfalt der Glaubenszeugnisse und des Gemeindelebens. Diese Vielfalt kann jedoch nur etwas ausrichten, wenn sie von den Kirchen nicht so gegeneinander gerichtet ist, dass jede für sich ausschließlich beansprucht, in der Wahrheit zu sein, und sich deshalb von den anderen abgrenzt.

Damit ist die Herausforderung benannt, auf die ich eingehen muss und will: Einerseits werde ich immer wieder auf die römisch-katholische Kirche zugehen, um so viel wie möglich gemeinsam abgestimmt zu handeln in Verkündigung, Diakonie und Gottesdienst; andererseits werde ich in unseren eigenen Kirchen das Verständnis für die Partner immer neu zu wecken versuchen. Dabei will ich in auftretenden Konfliktsituationen Lösungen suchen und auch persönlich vermitteln. Schließlich geht es mir darum, gemeinsam mit der Schwesterkirche in den großen gesellschaftlichen Umbrüchen der Gegenwart, eine Orientierung aus dem Glauben zu geben. Mit mir muss das alles nicht erst beginnen. Wir haben seit der Annäherung unserer Kirchen in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine gute Wegstrecke in Deutschland miteinander zurückgelegt. Die Erfahrungen sind durchaus ermutigend, und es ist vieles erreicht worden.

Die Nähe führt andererseits dazu, dass wir auch unsere Unterschiede deutlicher spüren als zu Beginn. Die Unterschiede sind, weil sie sich auf die Lehre beziehen zum Teil fundamental, aber wir gehen mit ihnen nicht fundamentalistisch um. Um diese Differenz zu beschreiben, beziehe ich mich gerne auf Martin Luther. In seiner Auslegung des Galaterbrief schreibt er: „Die Lehre gleicht dem mathematischen Punkte und kann also nicht geteilt werden, d.h. sie verträgt keine Wegnahme und keine Hinzufügung. Dagegen ist das Leben gleich dem physikalischen Punkte, hier gibt es immer noch Teilung und Zugeständnis.“ (Luthers Galaterbrief-Auslegung von 1531, hg. von Hermann Kleinknecht, Göttingen 1980, 297) Die Gemeinschaft mit diesen Unterschieden zu leben, ist nun auf der Tagesordnung. Dafür brauchen wir vielleicht eine flexiblere Kommunikationsstruktur.

Frage: Wie bewerten Sie – ganz allgemein gesprochen – das gegenwärtige ökumenische Klima in Deutschland?

Friedrich Weber: Das ökumenische Klima in Deutschland wird heute sehr unterschiedlich beschrieben und bewertet. Es ist wie mit den klimatischen Verhältnissen im Land: Da gibt es regionale, sogar lokale Besonderheiten, und in größeren Bereichen den Wechsel zwischen Hochs und Tiefs mit allen Schattierungen dazwischen. So gibt es eine große Zahl von Gemeinden, die partnerschaftlich, sogar geschwisterlich miteinander umgehen und einander nicht missen wollen. Es gibt einen vertrauensvollen Austausch zwischen leitenden Persönlichkeiten auf der Ebene der Landeskirchen und der Diözesen. Einrichtungen arbeiten kollegial zusammen, helfen auch einander. Wir haben einen postgradualen Studiengang für Liturgiewissenschaft in ökumenischer Trägerschaft der Fakultäten von Leipzig, Halle, Jena und Erfurt. Seit vielen Jahren führt die VELKD zusammen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz alle zwei Jahre einen gemeinsam verantworteten ökumenischen Studienkurs für Ordinierte durch, in dem Lehre und geistliches Leben miteinander verbunden sind. Das hat wiederum Auswirkungen für das kirchliche Leben vor Ort.

Neben diesen wohltuenden und begrüßenswerten Kooperationen gibt es auch Irritationen und manchmal gegenseitige Vorhaltungen, die den Eindruck vermitteln, sie entstammten einem neuerlichen Fundamentalismus. Manchmal treten auch gewisse Ängste auf. Nach einer langen Phase des Dialogs, in der sich die Kirchen erstaunlich weit füreinander geöffnet haben, kommen Befürchtungen auf, man habe sich zu weit geöffnet. Gegenwärtige Erfahrungen von Schwäche der eigenen Sendung seien eine Folge dieser Öffnung, und man sehnt sich nach die vermeintlichen Zeiten der Stärke zurück und meint damit die vor den gegenseitigen ökumenischen Beeinflussungen.

In den Medien wird gegenwärtig stärker der eher problematische Aspekt im Miteinander herausgestellt. Natürlich dürfen wir das nicht übersehen. Aber das Klima ist etwas sehr Komplexes. Und jemand, der mit ökumenischen Aufgaben betraut ist, tut gut daran, nicht ohne die Hoffnung ans Werk zu gehen, die sich aus dem Glauben speist. Charles Peguy hat deren Bedeutung einmal so beschrieben: „Die Hoffnung liebt und sieht schon das, was noch nicht ist und was doch alles einmal sein wird. Sie bewegt die Welt und – Dich.“

Frage: Der Dialog mit der römisch-katholischen Kirche kommt nach Meinung vieler Menschen nicht recht voran. Die Unterschiede bei den Themen Abendmahl, Amtsverständnis und Lehre von der Kirche scheinen unüberwindbar. Wo sehen Sie Möglichkeiten für Fortschritte?

Friedrich Weber: Die gegenwärtig geführten Dialoge – auf internationaler Ebene die zwischen der Gemeinsamen Kommissionen des LWB und des römischen Einheitsrats, auf nationaler Ebene, das heißt zwischen VELKD und katholischer Deutscher Bischofskonferenz, – sind selbst eine Form praktizierter Gemeinschaft beziehungsweise der Suche nach ihrer Vertiefung. Vor kurzem hat die internationale Kommission eine Dialogphase abgeschlossen, deren Ergebnisse zurzeit für die Veröffentlichung vorbereitet werden. Der Dialog hat Ergebnisse gebracht, die erheblich zur gegenseitigen Verständigung beigetragen haben. In den von Ihnen angesprochenen Fragen der Lehre von Kirche und Amt – und damit im Zusammenhang stehend vom Abendmahl – ist ein Konsens nicht erreicht; er ist m.E. mittelfristig auch nicht in Sicht. Das ist bedauerlich. Daraus kann sich aber nicht ergeben, dass wir das Gespräch abbrechen oder das Miteinander einfrieren, bis einmal ein Wunder der Klärung geschehen könnte. Konsens in Lehrfragen – und das heißt ja letztlich im Verständnis des Evangeliums – ist ein wichtiges Ziel. Aber er ist nicht allein suffizient, um Gemeinschaft zu haben. Deshalb sollten wir zuerst prüfen, wie viel Gemeinschaft die Unterschiede in der Lehre zulassen und entsprechend handeln. Das Gespräch in Deutschland über die Lehrverurteilungen hat dazu eine gute Grundlage gegeben. Vermutlich erreichen wir eine Vertiefung unserer Beziehungen vor allem dann, wenn wir in unserer Sendung in die Welt Grundlagen und Herausforderungen, die sich jeder Kirche aktuell stellen, gemeinsam aufgreifen.

Frage: Wo scheint Ihnen die Möglichkeit des Fortschritts am Realistischsten?

Friedrich Weber: Der Begriff des „Fortschritts“ ist m. E. kein geeigneter Begriff, um die ökumenische Gemeinschaft zu beschreiben. Er signalisiert, es müsse nur genügend Schritte geben, dann würden wir das Ziel erreicht haben. Damit werden Erwartungen erzeugt, die leicht enttäuscht werden können. Das lähmt dann und lässt die Augen vor dem verschließen, was an gemeinsamem Leben vorhanden ist.

Frage: Sie haben sich unlängst für eine Ökumene der Profile, aber nicht der Konflikte ausgesprochen. Wie lässt sich das aus Ihrer Perspektive näher beschreiben?

Friedrich Weber: Es ist in unseren beiden Kirchen eigentlich klar: Wir wollen keine Gemeinschaft, in der wir entweder so viel von unserer Identität, die sich durch Glaubenslehre und Glaubensleben bildet, abschleifen, dass sie die anderen nicht befremdet, oder andererseits so viel davon verstecken, dass die anderen unsere Identität in ihrer Differenz nicht bemerken. Ökumene hat immer eine Gemeinschaft von Partnerkirchen im Blick, die aus einer gemeinsamen Grundlage lebt, im Lauf von Jahrhunderten aber in den Partnerkirchen ganz eigene Traditionen und damit Prägungen erhalten hat. Es ist eine Gemeinschaft, in der wir einander in unserem jeweiligen Profil achten und zu verstehen suchen. Ökumene darf kein Prozess der Reduktion, sondern muss ein Prozess der gegenseitigen Bereicherung sein. Damit hängt zusammen, dass wir wohl den Diskurs führen, der Erkenntnis bringt, aber nicht den Konflikt suchen, der Gemeinschaft zerstören kann. Auf eine Formel gebracht: Ich trete dafür ein, das Gespräch miteinander den Äußerungen übereinander vorzuziehen.

Frage: In der Person des amtierenden Papstes lenkt ein profunder Kenner der kirchlichen Lage in Deutschland die Geschicke der römisch-katholischen Kirche. In keinem anderen Land der Welt stehen sich Katholiken und Protestanten in gleicher Größe gegenüber. Welche ökumenischen Impulse von Benedikt XVI. erwarten Sie?

Friedrich Weber: Papst Benedikt XVI. ist von der Art geprägt, in der wir in Deutschland Theologie treiben. Seiner ersten Enzyklika ist das deutlich anzumerken. Seine Nähe zu Augustin ist eine nicht unerhebliche Grundlage für eine Verständigung über das Handeln der Kirche in der Gesellschaft. Gewiss, nicht nur Augustin bestimmt sein Denken. Einen besonderen Impuls hat er bei seiner ökumenischen Begegnung in Köln gegeben, als er aufforderte, nicht auf einzelne – schwierige – Lehrfragen fixiert zu sein, sondern miteinander darüber zu sprechen, wie wir die Gegenwart des Evangeliums in der Welt heute verstehen und sie leben. Ich habe den Eindruck, seit seiner „Einführung in das Christentum“ ist er bemüht, die Glaubenslehre nicht nur in traditionellen Formeln auszusagen, sondern für die Menschen heute neu auszusprechen, und das auf einem hohen intellektuellen Niveau.

Frage: Lutheraner und Katholiken haben in den letzten dreißig Jahren zahlreiche Dialoge geführt. Die daraus entstanden Dokumente sind – sieht man einmal von der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre – nie rezipiert worden. Was bedeutet dies für das Miteinander der beiden Kirchen?

Friedrich Weber: In der VELKD haben Generalsynode und Bischofskonferenz fast zu jedem Dialogdokument Stellung genommen. Leider ist das auf römisch-katholischer Seite nicht in gleicher Weise erfolgt. Besonders misslich war dies im Hinblick auf das deutsche Dokument „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ Unseren Synodalbeschlüssen stand auf der anderen Seite nur ein unveröffentlichtes Votum aus dem Einheitssekretariat gegenüber. Das war und ist eine verpasste Gelegenheit. Einen Mangel des bisherigen Dialogs sehe ich auch darin, dass unsere Stellungnahmen nicht zu einer Überarbeitung der zuvor vorgelegten Dokumente geführt haben. Es hat Unzufriedenheit mit dem Dialog ausgelöst, dass die Dokumente gleichwohl als Referenztexte in der nächsten Phase genutzt wurden, ohne die vorgetragenen Einwendungen zu bedenken. Andererseits ist es gerade nach der Rezeption der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zu mancherlei Spannungen gekommen. Sie weisen aus, dass der Lehrkonsens allein die Gemeinschaft nicht tragen kann. Ich denke, die Diskussionen zum Dialog zeigen vor allem an, dass wir uns jeweils in unseren Kirchen selbst um einen internen Konsens in den grundlegenden Fragen mühen müssen. Dem sollten wir auch Raum geben, bevor wir eine neue Runde von Lehrgesprächen führen.

Frage: 2010 findet der nächste Ökumenische Kirchentag statt. Der letzte Ökumenische Kirchentag hatte die Erwartung geweckt, dass es ein gemeinsames Abendmahl geben könnte. Um so größer war die Enttäuschung, dass dies nicht möglich war. Sind die Unterschiede zwischen den Kirchen doch größer als manche denken? Und ist es vor diesem Hintergrund überhaupt angebracht zu sagen, die Kirchen verbindet mehr als sie trennt?

Friedrich Weber: Der Ökumenische Kirchentag in Berlin war ein eindrucksvolles ökumenisches Ereignis. Dass unsere Kirchen mehr verbindet als trennt, haben vor allem diejenigen bewirkt und erfahren, die sich dazu miteinander auf den Weg gemacht haben. Der Kirchentag hat gezeigt, wie viele Möglichkeiten eines gemeinsamen Lebens und Handelns vorhanden sind. Dem Ökumenischen Kirchentag in München wird seine Bedeutung dadurch zukommen, dass auf ihm erkennbar wird, wie stabil die Beziehungen zwischen unseren Kirchen sind, was sie tragen und was nicht. Ich wünsche mir, dass es gelingt, die Stimmung eines Gott vertrauenden neuen Aufbruchs zu erreichen und entsprechend zu handeln. Deutschland – und ich denke darüber hinaus auch Europa – braucht Kirchen, die in einem gesunden Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zu Christus Ausstrahlungskraft haben. Es geht darum, kleinliche Aufgeregtheiten zu vermeiden und deutlich zu machen, dass wir wissen, was wir als christliche Kirchen einander Gutes schenken. Für 2010 wünsche ich mir schließlich, dass es nicht nur um die beiden großen Kirchen geht, sondern um alle christlichen Kirchen im Land, also die gesamte Ökumene.

Frage: Ihr Vorgänger im Amt des Catholica-Beauftragten hatte mehrfach den Versuch unternommen, die römisch-katholische Kirche dafür zu gewinnen, den Pfingstmontag als Ökumene-Tag gemeinsam zu begehen, blieb dabei jedoch erfolglos. Können Sie das Nein der katholischen Kirche nachvollziehen?

Friedrich Weber: Der Pfingstmontag wird – Gott sei Dank – in einer nicht unerheblichen Zahl von Gemeinden ökumenisch begangen, wenigstens mit gemeinsamen Gottesdienstfeiern. Ich verstehe die katholische Deutsche Bischofskonferenz, dass sie unter dem Druck von Wirtschaftskreisen alles unterlassen will, was den Sonntagscharakter der zweiten Feiertage anzweifeln lassen könnte. Deshalb besteht sie auf der Sonntagspflicht und damit der verbindlichen katholischen Gottesdienstfeier. Nachvollziehen kann ich die Folgerung daraus aber nicht. Wir haben bewährte Instrumente des Gesprächs und der gemeinsamen Arbeit, um unsere Stimme in der Gesellschaft zu Fragen wie den Feiertagsschutz zur Geltung zu bringen. Der Ökumenische Feiertag könnte m. E. den Pfingstmontag noch mit einem besonderen Gewicht ausstatten, sodass den Menschen daran viel gelegen ist, ihn zu erhalten. Dazu müssen wir kommen, denn ohne die vielen, die unser Wort stützen, sind wir Bischöfe gegenüber Wirtschaft und Politik in dieser Frage relativ schwach.

Frage: Während der ökumenische Dialog in den theologischen Fragen nicht recht vorankommt, funktioniert die Verständigung in ethischen Fragen deutlich besser. Woran liegt das?

Friedrich Weber: Gemeinsam zu sprechen und zu handeln gelingt besonders da, wo wir begreifen, dass wir in allen Kirchen vor dieselben Herausforderungen in der Gesellschaft gestellt sind. Die Enzyklika Papst Benedikt XVI. hat dafür auch in guter Weise noch einmal den Rahmen beschrieben. In den Fragen, die die Würde der Menschen betreffen, darf die Kirche Jesu Christi nicht stumm außen vor bleiben. Wir haben gegenwärtig in Deutschland eine ganze Reihe solcher Fragen. Ich habe an anderem Ort schon davon gesprochen, wie notwendig eine neue gemeinsame Schrift zur Gestaltung der Wirtschaft im Land angesichts der Globalisierung wäre. Entsprechende erste Anregungen sind hierfür ja auch auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre gegeben worden. Allerdings ist auch hier nicht zu übersehen, dass es durchaus eine Reihe von ethischen Fragen gibt, in denen wir im Grundsatz zwar einander nahe sind, im konkreten Umgang mit ihnen aber durchaus unterschiedliche Wege gehen. Genannt sei hier nur die Frage nach dem Umgang mit Schwangeren in Notlagen oder auch mit Homosexuellen. In allem aber dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass unsere römisch-katholischen Partner in Deutschland immer zugleich der Weltkirche gegenüber in der Pflicht stehen, wie sie durch Rom repräsentiert wird. Auch dies gilt es zu sehen, wenn wir ihre Haltung verstehen und für die ökumenische Gemeinschaft fruchtbar machen wollen.

Frage: Was ist – abschließend gefragt – ihre ganz persönliche ökumenische Vision?.

Friedrich Weber: Ich wiederhole hier gerne, was ich unlängst zur Einführung des neuen Hildesheimer Bischofs im dortigen Dom gesagt habe: „Der Auftrag, Zeugnis abzulegen von der Hoffnung, die in uns ist, verbindet uns. Er wird zuerst in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament und dann im diakonischen und caritativen Handeln konkret. Und er nötigt uns, je und dann die Stimme zu erheben für die Stummen und Schwachen. Es ist ein wunderbarer Auftrag, von dem viele Menschen in unserem Land erhoffen, dass er zuversichtlich und fröhlich ausgeführt wird. Unseren Kirchen stehen viele schwierige Umstrukturierungen bevor – wir werden uns mit den demographischen Prozessen und den damit zusammenhängenden Entwicklungen vor allem auf dem Lande auseinander zu setzen haben. Und nicht nur das, die soziale Schieflage kann sich ausprägen, Kinder- und Altersarmut zunehmen und bei allen Wachstumsprognosen müssen wir uns wohl auch darauf einstellen, dass weiter viele Menschen ohne bezahlte Erwerbsarbeit leben müssen. Das Miteinander unterschiedlicher Religionen und Kulturen stellt brennende Fragen, Fundamentalismus und Gleichgültigkeit sorgen uns. Das alles birgt hohe Erwartungen an unsere Kirchen. Wir werden ihnen nur dann standhalten, wenn wir auf die befreiende Kraft des Evangeliums vertrauen. Ich wünsche mir darum, dass es uns gelingen möge, diese Fragen gemeinsam vor Gott zu bringen, um sodann unsere praktische Zusammenarbeit zu verstärken und einander auszuhelfen, wo immer es geht, damit wir die Menschen mit dem Wort Gottes erreichen und sie seelsorglich begleiten können – auch dann, wenn das Netz priesterlicher und pastoraler Präsenz vor Ort grobmaschiger wird.“

Die Fragen stellte Udo Hahn.