"Tschernobyl darf sich nie wiederholen"

Westfälische Landeskirche fordert Atomausstieg

Evangelische Kirche von Westfalen

03. April 2006

20 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) die Bundesregierung zu einem umgehenden Ausstieg aus der Kernenergie aufgefordert. Zumindest solle jedoch am Atomkonsens aus dem Jahre 2000 und an den Laufzeitregelungen des Atomgesetzes von 2002 festgehalten werden, heißt es in der Erklärung, die gleichzeitig mit dem Energiegipfel der Bundesregierung veröffentlicht wurde.

Angesichts der unabsehbaren Risiken sei eine Verlängerung der vereinbarten Kraftwerkslaufzeiten "ethisch nicht zu vertreten", heißt es in einer Erklärung der Kirchenleitung unter dem Titel: "Tschernobyl darf sich nie wiederholen!" Unmittelbar oder an den späteren Folgen der Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 starben etwa 70.000 Menschen, so die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges.

Der Ausstieg aus der Kernenergie dürfe unter keinen Umständen zu Lasten des Klimaschutzes gehen, erklärt die EKvW. Deshalb werden die Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen aufgefordert, verstärkt auf erneuerbare Energieträger zu setzen. "Ebenso müssen alle Möglichkeiten systematisch erschlossen werden, Energie effizient einzusetzen und zu sparen."

Der Appell der westfälischen Landeskirche richtet sich aber auch nach innen sowie an jeden Einzelnen: "Jede und jeder von uns ist gefordert, Zukunftsverantwortung zu übernehmen und seinen Lebensstil umwelt- und klimaschonend auszurichten. Dies gilt auch für die Kirche als Organisation." Deshalb werden Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen aufgerufen, ihren Energieverbrauch systematisch zu verringern, etwa durch Umweltmanagement-Systeme wie *Der Grüne Hahn".

Zur Forderung gehört auch das Gedenken an die Opfer der Katastrophe, an die Toten und chronisch Erkrankten, an jene, die mit Erbgutschäden oder Behinderungen zur Welt gekommen sind. Die EKvW erinnert daran, dass Böden und Gewässer auf unbestimmte Zeit verseucht und auch künftige Generationen in Weißrussland und der Ukraine gefährdet sein werden. Sie dankt den zahlreichen Initiativen, die seit langem *mit engagierten Hilfs- und Aufbauprogrammen Hoffnungszeichen setzen" und ermutigt sie, diese Arbeit fortzuführen.

Die Landessynode hatte als höchstverantwortliches Leitungsgremium in den Jahren 1986, 1998, 2000 und 2005 Beschlüsse in gleicher Richtung gefasst.

Bielefeld, 03. April 2006

Andreas Duderstedt
Pressesprecher


Die Erklärung im Wortlaut:

Tschernobyl darf sich nie wiederholen!

Am 26. April 2006 jährt sich zum 20. Mal die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Wir gedenken der 70.000 Toten1, die unmittelbar oder an den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe starben.

Wir erinnern an Tausende von Menschen, die durch radioaktive Verstrahlung chronisch erkrankt sind, an jene, die mit Erbgutschäden und Behinderungen zur Welt gekommen sind.

Wir sehen mit Sorge, dass Böden und Gewässer auf unbestimmte Zeit verseucht wurden und auch zukünftige Generationen - v. a in weiten Teilen Weißrusslands und der Ukraine - gefährdet sein werden.

Wir danken den zahlreichen Initiativen in Ost und West, die seit über 15 Jahren mit engagierten Hilfs- und Aufbauprogrammen Hoffnungszeichen setzen und ermutigen sie, diese segensreiche Arbeit fortzusetzen.

Am Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erinnern wir an die Beschlüsse der Landessynoden der Jahre 1986, 1998, 2000 und 2005 zum Ausstieg aus der Kernenergie und zum Klimaschutz.

Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Gott die Welt erschaffen hat und erhält. Gott hat uns sein Schöpfungswerk anvertraut, dass wir es bebauen und bewahren. Als seine Ebenbilder stehen wir in der besonderen Verantwortung, sozial gerecht, schöpfungsverträglich, Frieden schaffend und auf die Lebensrechte zukünftiger Generationen bedacht, zu handeln.

Dieser Verantwortung vor Gott und für Mensch und Natur können wir nur gerecht werden, wenn wir auf Techniken verzichten, deren Anwendung durch menschliches Versagen und Missbrauch zu unüberschaubaren und irreversiblen Folgeschäden führen oder nachfolgende Generationen gefährden.

Angesichts der unabsehbaren Risiken fordern wir die Bundesregierung auf, umgehend aus der nichtbeherrschbaren Kernenergie auszusteigen, zumindest jedoch am Atomkonsens aus dem Jahre 2000 und an den Laufzeitregelungen des Atomgesetzes von 2002 festzuhalten.

Die Endlagerung radioaktiver Abfälle muss nach dem Verursacherprinzip in unserer Generation geregelt werden. Die Entsorgung auf nachfolgende Generationen zu verschieben, ist, wie die risikoreiche Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten, ethisch nicht zu vertreten.

Der Ausstieg aus der Kernenergie darf unter keinen Umständen zu Lasten des Klimaschutzes gehen. Wir fordern die Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen auf, die Umsetzung des Klimaschutzes in Deutschland durch Aufbau einer effizienten, z. T. dezentralen Energieversorgung zu stärken. Wir fordern sie auf, die vermehrte Nutzung regenerativer Energieträger gezielt voran zu treiben. Ebenso müssen alle Möglichkeiten systematisch erschlossen werden, Energie effizient einzusetzen und zu sparen.

Wir sind der Überzeugung, dass Deutschland hiervon auch als Wirtschafts- und Innovationsstandort im großen Maße profitieren wird und viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Aufbau einer nachhaltigen, umwelt- und generationengerechten Energieversorgung ist jedoch nicht allein eine Frage politischer Vorgaben und technischer Umsetzungen.

Jede und jeder von uns ist gefordert, Zukunftsverantwortung zu übernehmen und ihren bzw. seinen Lebensstil umwelt- und klimaschonend auszurichten. Dies gilt auch für die Kirche als Organisation.

Im kirchlichen Bereich bestehen noch große ungenutzte Energieeinsparpotenziale und Defizite bei der effizienten Verwendung von Energie.

Wir rufen daher Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen auf, ihren Energieverbrauch z. B. durch Einführung von Umweltmanagementsystemen („Grüner Hahn“) systematisch zu verringern. Auch sollte die Nutzung regenerativer Energieträger im kirchlichen Bereich weiter ausgebaut werden.

Wir bitten alle Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Ämter und Einrichtungen sich der Themen „Ausstieg aus der Kernenergie“, „Klimaschutz und nachhaltige Energieversorgung“ anzunehmen und deren Dringlichkeit auf Veranstaltungen und in Gremien zu thematisieren.

Tschernobyl darf sich nie wiederholen!