KEK zum 60. Jahrestag des Endes des 2. Weltriegs in Europa

Botschaft des KEK-Präsidiums

Konferenz Europäischer Kirchen (KEK)

14. April 2005

Das Präsidium der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) tagte vom 6.-10. April 2005 in Västeras, Schweden, und beschloss, anlässlich des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa eine Botschaft an die Kirchen zu schicken.

"Wir rufen Kirchen, Völker und Regierungen in Europa dazu auf", so heißt es in der Botschaft, "diesem Gedenktag besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ernsthaft über seine Bedeutung nachzudenken. Am 8. Mai werden wir uns daran erinnern, wie Europa vor 60 Jahren  endlich von einem Krieg befreit wurde, der beispielloses Blutvergießen und Zerstörungen ohnegleichen mit sich gebracht hat. … Auch wenn inzwischen viel Zeit vergangen ist, wird es nie zu spät sein, daran zu erinnern und zu bedenken, dass Europa damals durch den Drang nach Vorherrschaft, Militarismus und Rassismus in die Katastrophe geführt wurde und dass diese falschen Götter nie wieder den Geist irgendeines Volkes in Europa verführen dürfen."

Das Präsidium der KEK gedenkt auch "derjenigen, die der Willkürherrschaft und dem Bösen bis hin zum Tod widerstanden haben um einer neuen Ordnung der Gerechtigkeit und des Friedens willen" und besinnt sich besonders auf den 60. Todestag des deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der am  9. April 1945 für seine Rolle im Widerstand gegen Adolf Hitler hingerichtet wurde.

"Wir sagen Gott Dank dafür", heißt es weiter in der Botschaft, "dass aus den Trümmern und dem Gemetzel, die Europa erdrückten, Lehren gezogen und neue Visionen geschaut wurden sowie Neues gewagt wurde, um das Leben der Völker und Nationen neu zu ordnen. Wir begrüßen und schätzen alle Anstrengungen und Schritte, die nach dem Krieg zur Versöhnung in Europa unternommen wurden. Wir nehmen zur Kenntnis, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges als solches nicht alle Hoffnungen auf Frieden erfüllt und faktisch eine neue Ära der Spaltung und Auseinandersetzung zwischen Ost und West eingeleitet hat, aber wir freuen uns jetzt darüber, dass Europa heute zum ersten Mal seit Jahrhunderten die Chance hat, eine echte Gemeinschaft der Völker zu werden, die auf Vertrauen,  Zusammenarbeit und gegenseitiger Abhängigkeit aufgebaut ist."

"Wir bekräftigen die entscheidende Rolle, welche die europäischen Institutionen in diesem  fortlaufenden Prozess zu spielen haben, insbesondere die Europäische Union, der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Vision bei der Gründung der EU", so erinnert die Botschaft, "bestand darin, Kriege zwischen Nationen in Zukunft dadurch unmöglich zu machen, dass ihre Wirtschaften voneinander anhängig sind und sie gemeinsame Normen für ihr öffentliches Leben akzeptieren." Die europäischen Institutionen "werden nur dann ihre gesetzten Ziele erreichen, wenn sie sich ernsthaft für die Ideale ihrer Gründung einsetzen und wenn die Völker Europas selbst ihre Regierungen und Institutionen im Lichte dieser Ideale zur Verantwortung rufen. Es bedarf einer gesamteuropäischen Volksbewegung für Frieden, Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit. Diese Werte sind für uns Christen und Christinnen im Evangelium verwurzelt und können nur durch einen lebendigen Glauben und tiefes Engagement erhalten werden."

Genf, 14. April 2005

Büro für Kommunikation der KEK

Es folgt der volle Wortlaut der Botschaft:

An die

KEK-MITGLIEDSKIRCHEN,

MITGLIEDER DES ZENTRALAUSSCHUSSES,

ASSOZIIERTEN ORGANISATIONEN,

EUROPÄISCHEN NATIONALEN KIRCHENRÄTEN und PARTNERORGANISATIONEN

Genf, den 14. April

Betr.: 60. Jahrestag des Endes des 2.Weltkriegs in Europa

Liebe Freunde und Freundinnen,

Das Präsidium der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), das vom 6.-10. April 2005 in Västeras, Schweden, tagt, gedenkt der Tatsache, dass wir in einem Monat, am 8. Mai, den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa begehen. Wir rufen Kirchen, Völker und Regierungen in Europa dazu auf, diesem Anlass besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ernsthaft über seine Bedeutung nachzudenken.

Am 8. Mai werden wir uns daran erinnern, wie Europa vor 60 Jahren endlich von einem Krieg befreit wurde, der unendliches Blutvergießen und Zerstörung mit sich gebracht hat. In vielen Menschen  werden wieder Gefühle der Dankbarkeit für den Sieg und die Befreiung von der Besatzung und Unterdrückung wach. Andere werden an die Demütigung und Niederlage und an den Verrat durch ruchlose Staatsmänner erinnert, die Unheil über ihre und andere Völker gebracht haben. Auch wenn inzwischen viel Zeit vergangen ist, ist es nie zu spät, daran zu erinnern und zu bedenken, dass Europa damals durch den Drang  nach Vorherrschaft, Militarismus und Rassismus in die Katastrophe geführt wurde und dass diese falschen Götter nie wieder den Geist irgendeines Volkes  in Europa verführen dürfen.

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als ganzen lässt unweigerlich an viele schreckliche Ereignisse denken, die von beiden Seiten hervorgerufen und erlitten wurden. Wie in den zahlreichen Kriegen, die seitdem stattgefunden haben und heute immer noch wüten, hat die Zivilbevölkerung am meisten gelitten. Wir gedenken der Millionen, die  in Europa zwischen 1939 und 1945 umgekommen sind, und sind es ihnen schuldig, für eine Welt zu beten und zu kämpfen, in der “kein Volk wider das andere das Schwert erheben wird, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen” (Jes. 2,4).

Ermutigt durch dieses prophetische Wort müssen wir auch von Dankbarkeit und Hoffnung sprechen. Wir gedenken derer, die der Tyrannei und dem Bösen bis hin zum Tod widerstanden haben um einer neuen Ordnung der Gerechtigkeit und des Friedens willen. So begehen wir, während wir in dieser Woche hier in Västeras tagen, einen weiteren 60. Jahrestag, nämlich den Tod von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April für seine Rolle im Widerstand gegen Adolf Hitler hingerichtet wurde. Wir erinnern uns an seine letzten Worte, die eine Botschaft an seinen englischen Freund, Bischof George Bell, waren: „Sagt ihm, dass ich wie er an die Wirklichkeit unserer internationalen christlichen Brüderlichkeit glaube, die höher steht als alle nationalen Interessen und Konflikte, und dass unser Sieg sicher ist.“ Solche Worte des Glaubens stellen das reichste Erbe und die größte Herausforderung dar, die wir von denen geerbt haben, die vor uns Zeugen waren.

Wir sagen Gott Dank dafür, dass aus den Trümmern und dem Gemetzel, die Europa erdrückten, Lehren gezogen und neue Visionen geschaut wurden und Neues gewagt wurde, um das Leben der Menschen und Länder neu zu ordnen. Wir begrüßen und schätzen alle Anstrengungen und Schritte, die nach dem Krieg zur Versöhnung  in Europa getan wurden, ob nun von Regierungen oder Organisationen und Einzelnen, die für Frieden und Menschenrechte arbeiten, oder – und nicht zuletzt - von den Kirchen selbst. Wir erkennen, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs als solches nicht alle Hoffnungen auf Frieden erfüllte und faktisch zu einer neuen Ära der Trennung und Auseinandersetzung zwischen Ost und West geführt hat, aber wir freuen uns jetzt auch darüber, dass  Europa heute zum ersten Mal seit Jahrhunderten die Chance hat, eine echte Gemeinschaft der Völker zu werden, die auf Vertrauen, Zusammenarbeit und Interdependenz aufgebaut ist.

Wir bekräftigen die entscheidende Rolle, welche die europäischen Institutionen in diesem fortlaufenden Prozess zu spielen haben, insbesondere die Europäische Union, der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Es sollte daran erinnert werden, dass die Vision bei der Gründung der EU darin bestand, Kriege zwischen Nationen in Zukunft dadurch unmöglich zu machen, dass ihre Wirtschaften interdependent gemacht werden und sie gemeinsame Standards für ihr öffentliches Leben akzeptieren. Besonders begrüßen wird, dass in dem Entwurf der EU-Verfassung die grundlegenden Werte der Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Erinnerung gerufen werden mit dem Ziel, den Frieden zu fördern und soziale Ausgrenzung und Diskriminierung zu bekämpfen. Gleichzeitig hoffen wir, dass alle europäischen Institutionen in Zukunft der Suche nach Wegen zum Aufbau der Sicherheit größeres Gewicht geben werden, die nicht nur von der militärischen Kapazität abhängen, sondern auch Konfliktverhütung und gewaltfreie Konfliktlösungen fördern.

Außerdem müssen wir darauf hinweisen, dass die Institutionen nur dann ihre gesetzten Ziele erreichen, wenn sie sich ernsthaft für die Ideale ihrer Gründung einsetzen und wenn die Völker Europas selbst ihre Regierungen und Institutionen im Lichte dieser Ideale zur Verantwortung rufen. Wir benötigen eine gesamteuropäische Volksbewegung für Frieden, Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit. Diese Werte sind für uns Christen und Christinnen im Evangelium Christi verwurzelt und können nur durch einen lebendigen Glauben und tiefes Engagement erhalten werden. Bei der Förderung dieser Werte haben die Kirchen eine lebenswichtige Rolle zu spielen, nicht nur dadurch, dass sie verkündigen, sondern auch durch ihr eigenes Leben bezeugen, “was zum Frieden dient” (Luk. 19,42). Das Fortschreiten hin zu mehr Frieden in Europa und der übrigen Welt geschieht nicht von selbst. Es muss immer wieder neu in Angriff genommen werden.

Deshalb wollen wir den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa als eine Gelegenheit nutzen, unsere Gebete zu erneuern und aktiv für die Sache des Friedens und der Gerechtigkeit in Europa und der ganzen Welt einzutreten.

Im Namen des KEK-Präsidiums,

Mit freundlichen Grüßen,

Pfr. Dr Keith Clements
Generalsekretär