Stellungnahme der KEK aus Anlaß des 90. Gedenktages des Völkermords an dem armenischen Volk

KEK-Präsident de Clermont nimmt an Gedenkveranstaltung teil

Konferenz Europäischer Kirchen (KEK)

Das Präsidium der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) hat die folgende Öffentliche Stellungnahme aus Anlass des 90. Gedenktages des Völkermords an dem armenischen Volk veröffentlicht:

"Am 24. April 2005 gedenkt das armenische Volk zum 90. Mal des Völkermords unter ottomanischer Herrschaft. An der Gedenkveranstaltung in Armenien, wird der Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Pfr. Jean-Arnold de Clermont, zugleich Präsident des Bundes der Protestantischen Kirchen in Frankreich, als Vertreter der KEK teilnehmen.

Das Präsidium der Konferenz Europäischer Kirchen schließt sich bei seiner Sitzung in Västerås (Schweden), 6.-10. April 2005 den Gedanken an, die der Katholikos Aller Armenier, Karekin II, und Katholikos Aram I in ähnlicher Form wiederholt zum Ausdruck gebracht haben: die unglaublichen Gräueltaten gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Genozid an dem armenischen  Volk dürfen nie in Vergessenheit geraten. Schuld muss eingestanden werden und die Wahrheit muss ausgesprochen werden. In der Aufarbeitung der eigenen Geschichte liegt der Schlüssel zur Vergebung, zur Heilung bitterer Erinnerungen und für die Eröffnung einer gemeinsamen Zukunft.

Das Präsidium der KEK schließt sich dem Ökumenischen Rat der Kirchen an und ruft alle KEK-Mitgliedskirchen auf, 'den 24. April als einen Tag des Gedenkens an den Völkermord an den Armeniern zu begehen und angemessene Aktionen im Zusammenhang mit dem 90sten Gedenktag an dem armenischen Volk zu erwägen'. Die Kirchen in Europa und weltweit können eine bedeutende Rolle spielen, indem sie Räume der Begegnung eröffnen und Versöhnungsprojekte unterstützen.

Das Präsidium ruft die türkische Regierung dazu auf, einen Prozess der Versöhnung zwischen dem türkischen und dem armenischen Volk einzuleiten, in dessen Verlauf die Anerkennung von Schuld und das Aussprechen der Wahrheit eine entscheidende Rolle spielen müssen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Konferenz Europäischer Kirchen die Ankündigung von Premierminister Erdogan, die türkischen Archive zu öffnen. Es wird entscheidend sein, dass sowohl türkische und armenische als auch unabhängige Forscherinnen und Forscher vollen Zugang zu allen entsprechenden Dokumenten haben.

Wir rufen die türkische Regierung außerdem dazu auf, Bedingungen zu schaffen, die eine ehrliche und offene Debatte in der Öffentlichkeit wie auch in den Bildungseinrichtungen über die dem armenischen Volk zugefügten Straftaten, Deportationen und Massakern ermöglichen.

Gräueltaten und kriminelle Akte sind auf dem Gebiet der heutigen Türkei nicht nur gegen das armenische Volk, sondern auch gegen andere christliche und ethnische Minderheiten begangen worden.

Am 1. Oktober 2005 werden die Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem türkischen Staat beginnen.  Wie die Konferenz Europäischer Kirchen schon in ihrer Verlautbarung zum Türkeibeitritt am 3. Oktober 2004 festgestellt hat, muss die Türkei die Kopenhagener Kriterien voll erfüllen und die Beitrittsverhandlungen müssen von einer ehrlichen Aufarbeitung der Geschichte begleitet sein, insbesondere von einer Aufarbeitung der Geschichte der Türkei mit ihren Nachbarstaaten und den begangenen Verletzungen und Angriffen. Das ist eine Voraussetzung, um Wunden der Geschichte zu heilen und eine wirkliche Versöhnung in der Gesellschaft ermöglichen. Diese Voraussetzung ist in der Türkei unseres Erachtens noch nicht gegeben. Das Verhältnis mit der armenischen Minderheit sowie mit anderen christlichen und ethischen Minderheiten im eigenen Land ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung.

Die Konferenz Europäischer Kirchen wird die Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei sorgsam begleiten. Die Europäische Union hat sich als eine Gemeinschaft von Staaten gebildet, die auf den Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht und sich in ihren Dokumenten zu Werten wie Gerechtigkeit und Frieden, Solidarität und Pluralismus, Versöhnung und Toleranz, Meinungsfreiheit und gegenseitiger Respekt verpflichtet hat. Die Gegenwart ist davon geprägt, diese Werte zu einem integralen Bestandteil des täglichen Lebens in der Gemeinschaft zu machen. Die Selbstverpflichtung seitens der türkischen Regierung, diese Werte umzusetzen, nicht zuletzt im Blick auf die Minderheiten im eigenen Land und die Beziehungen zu benachbarten Staaten, muss eine Vorbedingung für den Beitritt der Türkei in die Europäische Union sein".

Genf, 14. April 2005

Büro für Kommunikation der KEK