„Wir brauchen eine Kultur der Aufmerksamkeit“

Gemeinsames Wort der Kirchen zum Thema Rechtsextremismus

Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

20. Juni 2007

Die Leitenden Geistlichen der großen evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche in Sachsen-Anhalt haben sich mit einem Gemeinsamen Wort zum Thema Rechtsextremismus an die mehr als 470.000 Christinnen und Christen des Bundeslandes gewandt. Darin fordern sie alle Kirchenmitglieder auf, sich einzumischen und stark zu machen für eine demokratische, weltoffene Gesellschaft. Der Text soll kommenden Sonntag (24.06.) – genau ein Jahr nach der Verbrennung des „Tagebuchs der Anne Frank“ auf einer „Sonnenwendfeier“ in Pretzien – als Kanzelabkündigung in den Gottesdiensten verlesen werden.

„Übergriffe extremistischer Gruppen und Einzelpersonen gab es an unterschiedlichen Orten in Sachsen-Anhalt, zuletzt auf erschreckende Weise in Halberstadt. Intoleranz und Gewalt sind nicht vereinbar mit grundlegenden Werten des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Sie sind erst recht nicht vereinbar mit der Botschaft des christlichen Glaubens“, heißt es in dem Gemeinsamen Wort. „Wir brauchen unter uns eine Kultur der Aufmerksamkeit. Schauen Sie nicht weg, wenn in ihrem Lebensumfeld extremistisches Gedankengut um sich greift! Widersprechen Sie rechten Parolen, die für gesellschaftliche Probleme radikale und einfach klingende Lösungen fordern! In der Freizeit, auf der Arbeit, in Nachbarschaft und Familie. Werden Sie aktiv! Stehen Sie denen bei, die Ihre Hilfe brauchen! Die Erfahrung zeigt, wo eine Gesellschaft aufmerksam hinschaut, da haben Neonazis es schwer, Fuß zu fassen.“

Unterzeichner des Gemeinsamen Worts sind Axel Noack, Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg), Helge Klassohn, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts (Dessau), Dr. Gerhard Feige, Bischof des Bistums Magdeburg und Dr. Friedrich Weber, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig.

Der vollständige Wortlaut des Textes ist als Anhang dieser Pressemitteilung beigefügt.

In Sachsen-Anhalt haben insgesamt sechs evangelische Landeskirchen und zwei katholische Bistümer Kirchengebiet. Die drei großen evangelischen Kirchen sind die Kirchenprovinz Sachsen sowie die Landeskirchen Anhalts und Braunschweigs. Neben dem Bistum Magdeburg, das weitgehend identisch mit der Fläche Sachsen-Anhalts ist, liegen Teile des Erzbistums Berlin in dem Bundesland.

Magdeburg / Dessau / Braunschweig, 20. Juni 2007

Oliver Vorwald, Magdeburg
Pressesprecher

Johannes Killyen, Dessau
Pressesprecher

Michael Strauß, Braunschweig
Pressesprecher


Gemeinsames Wort

des Bischofs der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen,

des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Landeskirche Anhalts,

des Bischofs des Bistums Magdeburg

und des Landesbischofs der Evangelisch-lutherischen Kirche in Braunschweig

Liebe Schwestern und Brüder,

besorgt über die Situation in unserem Land wenden wir uns an Sie mit einem gemeinsamen Wort. Vor einem Jahr verbrannten Rechtsextremisten in Pretzien das Tagebuch der Anne Frank. Weitere Übergriffe extremistischer Gruppen und Einzelpersonen gab es an unterschiedlichen Orten in Sachsen-Anhalt, zuletzt auf erschreckende Weise in Halberstadt; Zeichen von geistiger Verirrung, Rohheit und fehlender Achtung vor dem Menschen. Intoleranz und Gewalt sind nicht vereinbar mit grundlegenden Werten des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Sie sind erst recht nicht vereinbar mit der Botschaft des christlichen Glaubens.

Gemeinsam wollen wir Sie ermutigen, diese Situation nicht widerspruchslos hinzunehmen, sondern ihr mit Entschiedenheit zu begegnen.

Wir brauchen unter uns eine Kultur der Aufmerksamkeit. Schauen Sie nicht weg, wenn in ihrem Lebensumfeld extremistisches Gedankengut um sich greift! Widersprechen Sie rechten Parolen, die für gesellschaftliche Probleme radikale und einfach klingende Lösungen fordern! In der Freizeit, auf der Arbeit, in Nachbarschaft und Familie. Werden Sie aktiv, wenn Menschen zu Opfern von Gewalt werden! Stehen Sie denen bei, die Ihre Hilfe brauchen! Die Erfahrung zeigt, wo eine Gesellschaft aufmerksam hinschaut, da haben Neonazis es schwer, Fuß zu fassen.

Unsere Gemeinschaft braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen für andere. Ohne glaubwürdige Vorbilder läuft die Suche vieler Jugendlicher nach Orientierung und Zukunft ins Leere. Darum: engagieren Sie sich für die Jugend! Beteiligen Sie sich an Angeboten einer inhaltlich wertvollen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen! Suchen Sie das Gespräch mit demokratischen Parteien und Initiativen, bringen Sie sich und Ihre Überzeugungen ein in den gesellschaftlichen Diskurs! Begleiten Sie problematische Entwicklungen mit Ihrem Gebet!

Als Christen sind wir in besonderer Weise herausgefordert, unseren Beitrag dafür zu leisten, dass die lebensstiftende Kraft des Evangeliums ihren Ausdruck findet im Miteinander der Menschen, in Toleranz und Offenheit, in Solidarität und der Suche nach „der Stadt Bestem“.

Bischof Axel Noack 
Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

Kirchenpräsident Helge Klassohn
Ev. Landeskirche Anhalts


Landesbischof Dr. Friedrich Weber
Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig

Bischof Dr. Gerhard Feige
Kath. Bistum Magdeburg