Landesbischof warnt vor dem Aufbau von Feindbildern

Gerhard Maier eröffnet die Synodaltagung in Stuttgart mit einer Erklärung zum Irak-Krieg

Evangelische Landeskirche in Württemberg

Stuttgart. Zu Beginn der Frühjahrstagung der Evangelischen Landessynode in Württemberg am Freitag, 28. März, im Stuttgarter Hospitalhof hat Landesbischof Gerhard Maier die Synodalen aufgefordert, ihrer christlichen Verantwortung für den Frieden gerecht zu werden. "Verantwortung für den Frieden bedeutet, dass wir nach Möglichkeiten su­chen und realistische Initiativen unterstützen, die auf einen bald möglichen Abschluss des Krieges hinführen", sagte das Oberhaupt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. "Verantwortung für den Frieden bedeutet aber auch, dass wir mit anderen so umgehen, dass wir uns nicht selbst ins Unrecht setzen. So klar wir den Krieg abgelehnt haben, so klar müssen wir uns jetzt gegen den Aufbau neuer Feindbilder wehren", so Maier weiter.

Klaus Rieth



Im Anhang der volle Wortlaut der Rede:

 Wort des Landesbischofs zum Krieg im Irak bei der Eröffnung der Frühjahrssynode am Freitag, 28.03.2003 im Hospitalhof, Stuttgart

 Herr Präsident,

liebe Synodale!

ich bin dankbar, dass Sie mir die Gelegenheit geben, ein Wort zum gegenwärtigen Krieg im Irak zu sagen. Voran stelle ich eine Mahnung aus Hebräer 12, 14: "Jagt dem Frieden nach mit jedermann".

1. Die evangelischen Kirchen und die Kirchen überhaupt haben in Deutschland, in Europa und übrigens auch in den USA, ja sogar weltweit eindringlich und oft vor dem Krieg gewarnt. Ich erinnere nur an die Erklärungen der Synode der EKD und der württembergischen Landessynode vom November des vergangenen Jahres und an die Erklärung des Rates der EKD vom Januar dieses Jahres. Sie taten dies nicht deshalb, weil sie sich von ihrer geistlichen Aufgabe abwenden und einer falschen Politisierung ausliefern wollten. Sondern sie taten es deshalb, weil sie im Sinne des Evangeliums handeln und dem Leid, der Zerstörung und nicht wieder gut zu machendem Schaden wehren wollten. Vom Evangelium her kann man nicht anders handeln, als zum Frieden zu mahnen, solange der Friede überhaupt noch eine Chance hat. Auch ich selber habe in vielen Erklärungen gegen den drohenden Krieg Stellung bezogen. Dafür habe ich viel Zustimmung von Gemeindegliedern erhalten, allerdings auch Kritik. Aber ich würde wieder genauso eindringlich warnen, wenn sich eine solche Situation wiederholen sollte, und zwar gerade deshalb, weil dies dem Evangelium und dem Auftrag entspricht: "Jagt dem Frieden nach mit jedermann".
 

2. Bei der Frage "Krieg oder Frieden" geht es um ganz elementare ethische Grundfragen. Ich nenne einige dieser Grundfragen: Ist die Bedrohung, die von einem Regime ausgeht, so groß, dass sie den Einsatz militärischer Mittel als ultima ratio rechtfertigt, oder handelt es sich um einen illegitimen Präventivkrieg? Sind alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung ausgeschöpft? Sind die Folgen eines Krieges so, dass das Leid noch größer wird als zuvor? Die Bilder dieser Tage machen uns in grausamer Weise bewusst, welche Gefahren und unvorhergesehenen Folgen in diesem Krieg liegen. Was kommt danach? Entsteht daraus ein Hass, vielleicht auch religiös moti­vierter Hass, der auf lange Sicht keinen Frieden mehr möglich macht? Was kommt, wenn der Irak tatsächlich eine neue Regierung erhält? Was wird zum Beispiel aus den Minderheiten wie den Kurden oder den Christen?     Und: Wie steht es um den Frieden im Nahen Osten, speziell auch im Blick auf Is­rael und Palästina, wenn das Regime Saddam Husseins sich behauptet? Ei­nes ist heute schon deutlich:  Der begonnene Krieg hat einen Strom von Blut und Tränen ausgelöst. Auch wenn die militärische Führung sich ernst­haft bemüht, die Zivilbevölkerung zu schonen, so trifft es doch oft den ein­fachen Mann, die einfache Frau auf der Straße, die weder mit Saddam Hus­sein noch mit dem Krieg etwas zu tun haben wollen. 


3. Die Tatsache, dass der Krieg jetzt begonnen hat, entbindet uns nicht von der Verantwortung für den Frieden. Was heißt das praktisch? Friede ist nicht einfach machbar. Auch diese fundamentale Erkenntnis ist im Neuen Testament deutlich genug ausgesprochen, wenn Römer 12,18 sagt: "Ist's möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden." Das Gebet ist und bleibt der wichtigste Zugang zum Frieden.
An dieser Stelle danke ich ausdrücklich allen, die Friedensgebete angebo­ten oder daran teilgenommen haben. Als Christen bleiben wir mit Gott im Gebet verbunden, auch wenn der Lauf unseres Lebens oder der Geschichte anders aussieht, als wir es erwartet haben.

4. Verantwortung für den Frieden bedeutet, dass wir nach Möglichkeiten su­chen und realistische Initiativen unterstützen, die auf einen bald möglichen Abschluss des Krieges hinführen.

Verantwortung für den Frieden bedeutet aber auch, dass wir mit anderen so umgehen, dass wir uns nicht selbst ins Unrecht setzen. So klar wir den Krieg abgelehnt haben, so klar müssen wir uns jetzt gegen den Aufbau neuer Feindbilder wehren. Wenn Demonstrationen gewalttätig werden, dienen sie nicht mehr dem Frieden, mögen ihre Ziele auch noch so aner­kennenswert sein. Es darf nicht verschwiegen werden, dass Saddam Hus­sein eine unberechenbare Bedrohung darstellte und seine Waffen lange Zeit den Inspektionen entzog, über alle Resolutionen der UNO hinweg. Wer ihn jetzt einfach zum Opfer und aus dem amerikanischen Präsidenten die Ver­körperung des Bösen macht, der setzt sich selbst ins Unrecht und entzieht sich der Verantwortung für den Frieden, die wir alle haben.

Weil Gott die Welt liebt und alle Menschen geschaffen hat, hat jeder Mensch einen Anspruch darauf, dass wir ihm auch die menschliche Würde nicht versagen.

Verantwortung für den Frieden bedeutet nicht zuletzt, den Blick jetzt ent­schlossen in die Zukunft zu richten, mögen es uns die Umstände auch noch so schwer machen. Wir sollten nach Möglichkeit noch während der Kampfhandlungen Hilfsmittel und Hilfsgüter bereitstellen, um der Bevöl­kerung beizustehen und Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Diese Maßnahmen sind von den Hilfswerken und der Diakonie bereits eingeleitet. Wir sollten gezielt für einen Neuaufbau beten. Klage und Trauer sind ein Ausdruck des Glaubens. Aber der Glaube darf dabei nicht stehen bleiben. Er muss nach Wegen zum Handeln suchen. Uns trägt die Zuversicht, dass Gottes Friede schon in Jesus Christus in der Welt erschienen ist, und dass Gottes Barm­herzigkeit nicht aufhören wird, diese Welt zu regieren. 
 

28. März 2003
Landesbischof Dr. Gerhard Maier