"Das Gebet ist die Macht, die die Welt am Leben erhält"

Bischof Dr. Hans-Christian Knuth

Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD)

Der Leitende Bischof der VELKD, Bischof Dr. Hans Christian Knuth (Schleswig), forderte in einem Beitrag, den der Schleswig Holsteinische Zeitungsverlag am 20. März landesweit in seinen Tageszeitungen veröffentlichte, dazu auf, alles zu tun, dass sich der Irak-Krieg nicht ausweitet sowie den Frieden auf der ganzen Welt zu stärken.

Der Beitrag im Wortlaut:

"Herr, gib Frieden!"

I Angst vor dem Krieg

Nun, wo die Würfel gefallen sind, starren wir alle voller Angst auf die neuesten Nachrichten aus dem Irak. Es ist verständlich, daß wir alle Angst haben. Bei den Menschen, die den ersten und zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, steigen die eigenen Kriegserfahrungen mit furchtbarer Wucht wieder hoch: Bombennächte, im Keller verbracht, Flucht, Vertreibung, Massensterben. Auch die Jüngeren haben Angst. Niemand weiß, wie dieser Krieg begrenzbar ist, welche der Drohungen wahr gemacht werden, die der angegriffene Diktator schon geplant hat. Niemand weiß, was der Krieg für das ohnehin schwer leidende Volk der Iraker alles an Schrecklichem bringen wird, was er auch für uns in Europa und die Völker der ganzen Welt bedeutet.

Wir sollten diese Ängste nicht allein vor dem Fernseher durchstehen, auch wenn es oft aufgeregt zugeht in Familie und Nachbarschaft - wir müssen mit anderen reden, austauschen, was und quält und uns auch trösten mit den Kräften der Hoffnung und der Zuversicht des Glaubens.

Die Kirchen werden sich wieder öffnen und einladen zur Besinnung und zum Gebet. So verständlich es ist, jetzt in Angst und Hoffnungslosigkeit zu erstarren, so sehr kommt es darauf  an, jetzt das zu tun, was Dietrich Bonhoeffer, der Märtyrer des Dritten Reiches, in vergleichbarer Situation gesagt und getan hat: Es gilt nur noch "Beten und das Tun des Gerechten".

II Beten und Tun des Gerechten

Natürlich dürfen wir vor allem unsere Angst zu Gott hinaus schreien, er hört die Gebete der Vielen und er hört das Gebet jedes Einzelnen. Besser als Entrüstung, Vorwürfe und Anklagen gegen andere ist das Gebet zu Gott, um Frieden und Überleben der Menschen im Irak, um Sicherheit, Geborgenheit, Einheit der Menschen auf diesem wunderschönen Planeten Erde. Aber im Gebet geschieht noch mehr, als dass wir getröstet werden. Wir bringen unsere Nöte und Klagen vor Gott, und die Menschen, die wir fürchten, hassen und lieben, erscheinen im Licht der Liebe Gottes. Es ist wichtig, zu spüren, dass wir vor Gott eine große Menschheitsfamilie sind. Wenn es eine Macht gibt, die die Grenzen der Nationen, der Kulturen, der Religionen überwindet, dann ist es die Macht der Liebe, die Gott selbst ist, die zum Frieden führen kann. Wir müssen das Böse in der Welt mit unseren Gebeten bekämpfen, denn wenn auch manche aufgeklärte Zeitgenossen nicht mehr an den Teufel glauben, so ist doch jedem klar, dass es eine Macht des Bösen gibt, die wir nur im Gebet bekämpfen und besiegen können. Darum sind alle zum Gebet gefalteten Hände das wichtigste Bollwerk gegen Hass und Verachtung und Herrschsucht des Menschen über den Menschen. "Herr gib uns Deinen Frieden!" Das ist das Gebet, das über alle Trennungen hinweg am meisten bewirken kann - auch zwischen den Religionen. Man kann ja alle möglichen Mächte dieser Welt verantwortlich machen für diesen Krieg - und viele von uns haben ganz unterschiedliche Erklärungen, weisen gänzlich verschiedenen Ursachen das Entstehen dieses Krieges zu. Politisch und gesellschaftlich ist das auch unverzichtbar. Entscheidend allerdings ist die Erkenntnis. daß alle Ursachenerforschung uns letztlich uns nicht von der Frage befreit, warum Gott als der Lenker der Geschichte, als der Schöpfer und der Erhalter der Welt, diesen Krieg zulässt. Wir sagen mit dem Weltrat der Kirchen seit der ersten Vollversammlung 1948 in Amsterdam: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!" Warum sind wir Menschen so weit weg von Gott, daß es immer wieder zum von Gott nicht gewollten Krieg kommt? Das ist weniger eine Frage nach Gottes Gerechtigkeit, sondern in erster Linie eine Frage an unsere Gerechtigkeit. Was haben wir getan, gewollt, gewünscht, vor allem unterlassen, dass die Schrecken aus den beiden Weltkriegen nicht ausreichen, um ein neues Massensterben zu verhindern? Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein, aber auch Terrorismus soll nach Gottes Willen nicht sein, und Armut, Hunger, Ungerechtigkeit sollen nach Gottes Willen nicht sein.

III Tun des Gerechten

Frieden gibt es nicht ohne Gerechtigkeit, darum liegt hier die erste Herausforderung  für den Menschen, der fragt, was er für den Frieden tun kann: Beten, dass Gott die Welt erhält und Tun des Gerechten, das die Ursache von Krieg und Gewalt verhindern hilft. Gerechtigkeit ist natürlich vor allem soziale Gerechtigkeit, aber längst nicht nur. Die führenden Nationen des Westens müssen lernen, dass es auch eine politische und kulturelle Ungerechtigkeit gibt, einen kulturellen Imperialismus, der nur die eigenen Werte und Traditionen schätzt und erhellt. Das dient dem Frieden nicht. Wir werden Frieden nicht ohne Toleranz und aktiven Minderheitenschutz erhalten können, auch gegenüber Kulturen, die uns im Westen fremd und überholt erscheinen. Die Menschen wollen nicht überall auf der Welt in den Sog der technisch industriellen Welt des Westens geraten. Sie wollen ihre eigenen kulturellen Identitäten und Profile erhalten, und die führenden Nationen müssen das akzeptieren, soweit es sich mit Menschenrechten verträgt. In der Bibel sind Frieden und Gerechtigkeit immer ungetrennt beieinander. Das gilt für den Frieden nach außen und nach innen.

IV Frieden im Inneren

Was jetzt von uns gefordert ist, ist zunächst das Bemühen um Frieden nach innen. Verständlich, dass die Angst vor dem Krieg nun Hassgefühle in uns hochkommen lässt. Je nach unserem politischen Standort richten sich diese Hassgefühle gegen die Amerikaner, gegen Sadam Hussein, gegen den Islam, gegen alle Religionen überhaupt - und manchmal auch gegen uns selbst. Friedlose Menschen können zum Frieden nichts beitragen. Mich beeindruckt immer wieder, dass im zweiten Weltkrieg unsere Gegner von damals noch vor der Kapitulation den Wiederaufbau vorgedacht hatten. Sie haben die kommenden Hungerkatastrophen vorausgesehen und bekämpft, sie haben überlegt, wie sie den Deutschen helfen können, noch während ihre eigenen Söhne im Kampf gegen die Deutschen fielen. Auch ein Mann wie Nelson Mandela ist ein Symbol dessen, was jetzt nötig ist. 27 Jahre haben ihn die Weißen in Südafrika ins Gefängnis eingesperrt, weil er gegen Rassismus und Apartheid gekämpft hat. Als er schließlich befreit wurde und an die Macht kam, hat er Versöhnung praktiziert und nicht Hass gepredigt. Unsere Gebete - und auch unsere Demonstrationen - sollten sich nicht gegen irgend jemanden richten, nicht gegen die USA, nicht gegen den Irak, nicht gegen den Islam, sondern für den Frieden, für die Menschen, die friedlich und guten Willens sind, für die Zukunft der Kinder, die auch leben wollen auf dieser Erde.

V Frieden in Familie und Gesellschaft

In diesem Zusammenhang sollten wir in unseren Familien, in Parteien und Verbänden, auch in Kirche und Gesellschaft uns nicht auseinander dividieren lassen in amerikafreundliche und amerikafeindliche Fraktionen. Man kann, ja man muss eine Politik kritisieren, wenn sie falsch und rechtswidrig ist. Aber man darf nicht ein ganzes Volk verdammen, wenn die Regierung Fehler macht. Wir Deutschen haben nur überlebt, weil unsere Feinde unterschieden haben zwischen den Deutschen und den Nationalsozialisten. Die einen haben sie befreit, die anderen haben sie bekämpft. Wir werden bei uns den Frieden nur bewahren können, wenn wir nicht vorschnell den Anderen unterstellen, dass sie moralisch minderwertig seien. Das gilt jetzt vor allem im Blick auf Kritiker und Befürworter der amerikanischen Regierung. Es ist ein furchtbares Dilemma, eine tragische, immer von Schuld belastete Entscheidung, wie man einen Diktator, der Massenvernichtungsmittel produziert und Massenmord praktiziert, am wirksamsten in seine Schranken weist. Ob Frieden schaffen mit oder ohne Waffen - ohne Schuld ist keine der Positionen zu verwirklichen.

VI Den Schaden begrenzen

Schließlich müssen wir alles dafür tun, dass dieser Krieg sich nicht ausweitet. Es gilt gerade jetzt, die UNO zu stärken, den Riss durch Europa zu heilen, die neue Gemeinsamkeit mit Russland als Chance zu ergreifen. Es gilt, jetzt Versäumnisse der Diplomatie aufzuarbeiten, den Friedenswillen auf der ganzen Welt zu stärken, den Verzweifelten in Palästina und in anderen Zentren des Terrorismus zu signalisieren, dass ihre berechtigten Forderungen gehört und berücksichtigt werden. Es gilt, dass nicht die Frage, ob die Börse sich erholt, entscheidend ist, sondern, ob das Böse überwunden wird.

VII Mithelfen beim Aufbau und Wiederaufbau

Das geht nur, wenn sofort und zügig Hilfspläne für den Aufbau des Irak und auch Palästinas entwickelt werden. Man stelle sich einmal vor, wir hätten rechtzeitig das Geld für den Krieg in Schulen, Krankenhäuser, Wirtschaftsbetriebe und Kirchen investiert. Wie anders könnte unsere Welt aussehen. Nichts ist wertvoller als der Friede auf Erden, nichts ist teurer als der Krieg. Wenn wir denn schon ökonomisch denken, dann doch richtig!

"Beten und Tun des Gerechten!" Manchen mag das wenig erscheinen in einer waffenstarrenden Welt. Aber das Gebet ist die Macht, die die Welt am Leben erhält. Darum tut der alles, der die Hände faltet und Gott um Frieden bittet!

Hannover, 21. März 2003

Udo Hahn
Pressesprecher der VELKD