"Krieg ist Ende der Vernunft"

Wort der Landesbischöfin zum Kriegsbeginn

Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers

20. März 2003

Der Krieg hat begonnen. Bei mir herrscht die Trauer vor, dass wieder die Waffen siegen, haben doch so viele gebetet, demonstriert, Diplomatie angestrengt. Ist der Krieg nun eine „ultima ratio“? Jahrhunderte lang wurde in den Kirchen darüber gestritten, überlegt, ob und wie denn ein „gerechter Krieg“ theologisch zu begründen sei. Endlich hat sich in den Kirchen im 21. Jahrhundert offensichtlich weltweit die Einsicht durchgesetzt, dass es nicht um gerechte Kriege gehen kann, sondern nur um gerechten Frieden. Kirchen können nicht Kriege legitimieren, sondern haben zum Frieden zu rufen. Das ist in den letzten Monaten – Gott sei Dank - erkennbar geworden.

Krieg ist meistens nicht nur das Scheitern der Politik, die Niederlage der Diplomatie, sondern auch das Ende der Vernunft. Da wird ein Flüchtlingsschiff wie die Willhelm Gustloff versenkt. Da schlachten sich Nachbarn gegenseitig ab. Da werden Frauen vergewaltigt, um den Gegner zu demütigen, da werden Kinder zu Soldaten gemacht. Traumata, die ein Leben lang bestehen bleiben. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ – das haben die Kirchen der Welt 1948 in Amsterdam formuliert. Seitdem gibt es dennoch eine grauenvolle Kette von Kriegen. Mit Entsetzen sehen wir, was in Bagdad geschieht, ahnen die Angst der Menschen vor den Bomben, die Panik der Kinder. Wer will heute eine Mutter in Bagdad sein? Und allzu oft verdrängen wir den Kriegsalltag etwa in Afrika, der in den Medien keine Rolle spielt.

Es ist an der Zeit, dass Religionen sich nicht mehr verführen lassen, Gewalt zu legitimieren. Religion sollte Faktor der Konfliktentschärfung sein und nicht Konflikte verschärfen. Und doch: auch in diesem Krieg wird Gottes Name auf allen Seiten im Munde geführt. Das ist für mich Gotteslästerung. Für die, die Jesus nachfolgen, gilt der Satz: Selig sind die Friedfertigen! Das ist das biblische Vermächtnis, hieraus leiten wir unseren Auftrag ab. Ja, ich bin mir sehr bewusst: auch wer nicht zu den Waffen greift, kann schuldig werden, weil ein Diktator mit Giftgas mordet, weil Flüchtlingselend und Terror nicht verhindert werden. Wer meint, mit Waffen Frieden zu bringen, wird aber auch schuldig, nimmt den Tod von Kindern und Frauen, von unschuldigen Zivilisten in Kauf. Wir sehen doch im Fernsehen die Unverhältnismäßigkeit der Bilder: Militärjets mit ihrer tödlichen Fracht auf modernsten Kriegsschiffen. Und auf der anderen Seite Menschen, die zu Fuß oder auf uralten Autos fliehen, versuchen, sich mit Wasser für die kommenden Tage zu versorgen.

Ja, der Irak muss abrüsten. Aber die ganze Welt muss abrüsten! Warum werden denn all diese A-, B- und C-Waffen entwickelt? Warum gehören die USA, Russland, Frankereich, England und Deutschland der traurigen Hitliste der größten Waffenexporteure an und klagen dann, dass diese Waffen angewendet werden? Warum investiert niemand in Mediation, Vermittlung in Konflikten? Warum sehen wir so lange weg, wenn Konflikte sich entwickeln? Wer will die Flüchtlinge aufnehmen, die vor Hunger und Krieg fliehen? Wie können 24.000 Menschen pro Tag verhungern und keine Fernsehkamera schaut hin? Sind wir völlig abgestumpft? Um 48 Mrd. US Dollar wurde der Militärhaushalt der USA für dieses Jahr aufgestockt. 55 Mrd. US Dollar würden die US benötigen, um die unmittelbaren Bedürfnisse der Armen zu stillen. Das macht zornig.

Eines Tages wird Gott abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein – so heißt es im biblischen Buch der Offenbarung. Für Christinnen und Christen bedeutet das: wir setzen uns dafür ein, dass Tränen und Leid schon hier und jetzt überwunden werden als Spur des Reiches Gottes. Und: wir können zu Gott beten für den Frieden, für die Gemeinschaft der Völker über alle Grenzen hinweg. So kommen wir heute Abend in den Kirchen zusammen und bringen unsere Trauer, unsere Fragen, unseren Zorn, unser Mitgefühl mit den Menschen im Irak, aber auch den Soldatinnen und Soldaten, die in den Krieg geschickt werden und unsere eigene Angst vor Gott. Wie Menschen rund um den Globus beten wir und zünden Kerzen an in unseren Kirchen, stellen Kerzen rund um die Welt in die Fenster, wenn es dunkel wird, damit Licht erkennbar ist in der Finsternis. Wir wenden uns an Gott, der uns in Jesus Christus gezeigt hat, dass sein Ruf lautet: „Friede sei mit euch!“ Amen.

Hannover, 20. März 2003
Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann