Weihnachten am Telefon

Seelsorge gibt es auch an den Feiertagen rund um die Uhr

Evangelische Landeskirche in Württemberg

21. Dezember 2005

Stuttgart. "Sie ist weg. Diesmal war es endgültig." Der Anrufer, der die kostenlose Nummer 0800-111 0 111 gewählt hat, hat seinen Namen nicht genannt. Dafür gehen ihm genug andere Dinge durch den Kopf und über die Lippen. Er kann den Entschluss seiner Frau einfach nicht fassen. Am anderen Ende der Telefonleitung sitzt Krischan Johannsen, hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Telefonseelsorge Stuttgart. Er weiß, dass das Zuhören in dieser Situation das Wichtigste ist. Und er hat die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen häufig an Weihnachten trennen. "An Weihnachten wird hingeguckt. Da ist Beziehungsendabrechnung", so Johannsen. Die Ansprüche an das Zusammensein seien an den Festtagen oft enorm hoch. "Dann kollidiert Erwartung und Erleben und führt zu definitiven Entschlüssen."

Anders als man vielleicht denken würde, sind es nicht die Einsamen, die an Weihnachten vor allem anrufen. Denn die meisten haben doch jemanden, mit dem sie an Weihnachten zusammen sind. "Die Einsamen rufen eher danach in der ruhigen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester an", sagt der Seelsorger.

Krischan Johannsen, ein schlanker Mann mittleren Alters mit graumeliertem Haar ist ein wacher Zuhörer. Seine Berufsgeschichte ist bunt und stets sozial orientiert gewesen. Eigentlich ist er Religionspädagoge, viele Jahre lang hat er Entwicklungsarbeit in und für Afrika gemacht. Therapeutische Aus- und Fortbildungen haben ihn für seine jetzige Arbeit qualifiziert.

In der Telefonseelsorge Stuttgart ist er mitverantwortlich für 90 Ehrenamtliche, die im Schnitt pro Jahr 170 Stunden lang am Telefon mit Ohr und Herz zur Verfügung stehen. Einrichtungen wie diese gibt es in Deutschland 127. Und zu allen führt die gleiche kostenlose Servicenummer. Je nach Telefonstandort wird der Anrufer der nächstgelegenen Stelle zugeordnet. Johannsen und seine Mitarbeitern kümmern sich um die Anrufer aus der Landeshauptstadt sowie aus den Landkreisen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Rems-Murr, Ludwigsburg und Calw, ein Einzugsgebiet mit 2,4 Millionen Menschen. Ungefähr 25.000 Gespräche werden in der Telefonseelsorge Stuttgart jährlich geführt. Und doch sind die Kapazitäten immer noch so knapp, dass nur die wenigsten Anrufer beim ersten Versuch durchkommen. Trotz der großen Zahl ehrenamtlicher Mitarbeiter benötigt die Telefonseelsorge Geld. Während das Land seine Zuschüsse seit kurzem gestrichen hat, fließt noch die Unterstützung der Stadt Stuttgart und der Landeskirche. Ein Drittel der Kosten wird durch Spenden gedeckt.

Angst vor dem Weihnachtsfest in der Familie ist ein weiteres Thema, das viele Anrufer in diesen Tagen umtreibt und anrufen lässt. Da ist der Freund, den die junge Frau in angesehener beruflicher und gesellschaftlicher Stellung zu Hause nicht zeigen möchte, weil er nicht so recht in die Familie passt. Da sind die Verwandten, mit denen man sich vor ein paar Jahren so fürchterlich zerstritten hat, dass der momentane Waffenstillstand vor allem an Weihachten extrem bedroht ist. Und da ist so viel Verlogenheit, die man einfach nicht weiter mitmachen möchte. Wie soll unter solchen Umständen gefeiert werden können? Krischan Johannsen will den Anrufern helfen, Klarheit in ihre Gefühlswelt zu bekommen. Was könnte ein gangbarer Weg sein? Johannsen betont, dass er für die Anrufer keine schnellen Lösungsvorschläge parat habe. "Wir helfen den Anrufern bei der Suche danach, wie es gehen kann", sagt er. Oft fragten sich die Leute, was die anderen an Weihnachten von ihnen erwarteten. Und dabei würde vielen bewusst, dass sie diesen Erwartungen nicht entsprechen wollten. "Wir möchten den Leuten helfen zu wissen, was sie wollen." Da ist zum Beispiel der Sohn Vegetarier. Traditionell aber kommt an Weihnachten die Gans auf den Tisch. "Und dann ist da die Angst, wenn ich´s jetzt sage, bin ich wieder der böse Junge, wie damals. Und dabei ist es egal, ob der Sohn inzwischen 30 oder 40 Jahre alt ist." Johannsen empfiehlt: "Sagt euch, was ihr voneinander erwartet. Sagt euch, was ihr nicht wollt. Aber verbindet das mit einem Vorschlag, was ihr wirklich wollt."

Für Johannsen ist es eine besonders konzentrierte Atmosphäre, wenn er an Weihnachten in seinem Büro sitzt. "Die Gespräche werden langsamer und stiller und kommen noch näher", sagt er. Und während der Großteil der Deutschen die Zeit mit Verwandten und Freunden zu verbringen versucht, reißen sich einige Mitarbeiter der Telefonseelsorge um die Aufgabe an den Feiertagen. Johannsen zitiert eine Mitarbeiterin: "Das ist für mich mein Weihnachten."


Stefan Wittig

Weitere Informationen im Internet unter: www.telefonseelsorge.de