Telefonseelsorge Pfalz:

Auch an Weihnachten keine "Funkstille"

Evangelische Kirche der Pfalz

21. Dezember 2005

Kaiserslautern. "Bevor Sie sich das Leben nehmen - rufen Sie mich an!" Mit diesem Satz in einem Zeitungsinserat eröffnete ein Londoner Pfarrer im Jahr 1953 das Zeitalter der Telefonseelsorge. Die Idee war ihm gekommen, als er ein vierzehnjähriges Mädchen beerdigen musste, das Suizid begangen hatte. 1971 wurde in Kaiserslautern die Telefonseelsorge Pfalz ins Leben gerufen. Telefonseelsorge in Deutschland lag von Anfang an in der Hand der beiden großen Kirchen. Die meisten der 104 Telefonseelsorge-Einrichtungen sind ökumenisch.

Die Telefonseelsorge Pfalz ist eine gemeinsame Einrichtung der Protestantischen Landeskirche und der Diözese Speyer. In den 26 Jahren seit ihrer Gründung hat sich nicht nur die Kommunikationstechnik verändert, auch die Zahl der Anrufe hat erheblich zugenommen. Damit ist verbunden, dass die Gespräche anders verlaufen. Telefonseelsorge gilt heute nicht mehr nur Suizid gefährdeten Menschen. Sie dient inzwischen viel mehr als Orientierungs- und Verständigungshilfe für Menschen, die sich nirgendwo mehr zugehörig fühlen und ihre Welt als brüchig und unkalkulierbar erleben, fasst der evangelische Theologe, Psychologe und Familientherapeut Heiner Seidlitz zusammen. Er leitet gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Dietmar Theiss die Telefonseelsorge Pfalz.

Da war die blinde Frau, deren einzige Kontakte nach draußen, außer dem Zivildienstleistenden, die Frauen und Männer der Telefonseelsorge waren. "Sie hat jeden Vormittag angerufen", erinnert sich Seidlitz. Oder die unheilbar an Krebs erkrankte Mutter, die sich die Sorge um ihre Kinder von der Seele sprechen musste. Jugendliche rufen an, denen von nahe stehenden Erwachsenen Gewalt - auch sexuelle - angetan wird. Vereinsamte Menschen melden sich, die gerade um die Weihnachtszeit in ein tiefes Loch fallen. Aber auch Frauen, Männer und Kinder, denen das "Fest des Friedens" einen handfesten Familienkrach beschert. Gegen Ende des Jahres gebe es zwar nicht mehr Anrufe als sonst. Aber viele Menschen würden sich in dieser Zeit erst ihrer Einsamkeit bewusst. "Wir nehmen jeden ernst, hören allen zu", versichert Seidlitz. Auch den Menschen, die sich "nur" wegen alltäglicher Probleme aussprechen wollen - oder aus Geltungsbedürfnis.

Etwa 80 Ehrenamtliche sind im Schichtdienst rund um die Uhr das ganze Jahr über am Notruftelefon im Einsatz. Sie führen jährlich etwa 9.000 Gespräche. Hinzu kommen etwa 7.000 Scherzanrufe. Dahinter stecken meist Kinder und Jugendliche, die einfach mal die kostenlose Notrufnummer testen wollen. Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge Pfalz werden in einer eineinhalbjährigen Ausbildung auf ihre oftmals schwierige, immer aber verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Im Handyzeitalter hat sich das Telefonverhalten verändert, sagt Seidlitz. Früher überlegte sich der Anrufer genau, was er sagt, bevor er in der Telefonzelle zum Notrufhörer griff. "Das waren meist Anrufe in akuten Krisensituationen." Heute kann man von überall "mobil" telefonieren und nutzt das Telefon für den steigenden Verständigungs- und Orientierungsbedarf. Die Telefonseelsorge sei dabei ein gesellschaftlich wichtiges, weil von den christlichen Werten der Anteilnahme, Zuwendung und gegenseitiger Achtung geprägtes Angebot auf diesem virtuellen Kontakt-, Verständigungs- und Orientierungsmarkt.

Ein Kuratorium aus Vertretern der beiden Kirchen und der Mitarbeiterschaft koordiniert und beglei-tet die Arbeit der Telefonseelsorge Pfalz. Vorsitzender ist zurzeit der Diakoniedezernent der Pfälzischen Landeskirche, Oberkirchenrat Christian Schad. Für ihn stehen die ehrenamtlich in der Telefonseelsorge Mitarbeitenden stellvertretend für das offene Ohr Gottes: "Sie repräsentieren geradezu die hörende, die geduldig und sensibel zuhörende Kirche in einer Zeit, die immer mehr taub geworden ist für die Not des Einzelnen." Das Wort "Seelsorge" im Namen enthält "nicht nur die Botschaft, dass Menschen sich um die Seele der Anrufenden sorgen, sondern auch, dass ihr Leben mit all seinen Brüchen und Rissen in Zusammenhang gebracht wird mit dem Gott allen Trostes, der in dem Menschen Jesus von Nazareth konkrete Gestalt angenommen hat", unterstreicht Oberkirchenrat Schad, in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Geschäftsführung dieser Einrichtung fällt.

Partner- und Familienprobleme, Einsamkeit, finanzielle Schwierigkeiten, Schwangerschaft, psychische und physische Krankheit, Glaubensfragen, Wohnsituation, Freizeit, suizidale Krisen, Gewalt, Sucht, Sexualität, Orientierungslosigkeit, Sinnsuche, Arbeit, Schule, Ausbildung - es gibt kaum einen Themenbereich, auf den sich die Mitarbeiter der Telefonseelsorge nicht unmittelbar einstellen müssen. "Niedrigschwelliger Begegnungsraum für heilsame Orientierung" nennt das Heiner Seidlitz. "Die Menschen reden offener, wenn sie wissen, dass wir sie nicht kontrollieren. Wir geben ihnen die Freiheit, alles auszusprechen."

Oft bleibt, wenn der Hörer wieder aufgelegt ist, ein Gefühl der Ohnmacht zurück, sagt Seidlitz. "Das muss man lernen, auszuhalten." 80 Prozent der Anrufer, die sich an die evangelische/katholische Telefonseelsorge Pfalz wenden, wollen anonym bleiben, 20 Prozent nennen ihren Namen. Die meisten Anrufer sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, die überwiegende Zahl erwartet eine emotionale Entlastung und Ermutigung. Hilfe bei der Problemklärung steht erst an dritter Stelle.

Telefonseelsorger wollen ihren Gesprächspartnern Zuversicht geben, und manchmal erhalten sie dafür auch Anerkennung, schildert der Theologe Heiner Seidlitz. Zum Beispiel, wenn sich an Weihnachten, dem Fest der Hoffnung, Anrufer dafür bedanken, dass ihnen zugehört wurde.

Hinweis: Die Telefonseelsorge Pfalz ist eine Einrichtung der Evangelischen Kirche der Pfalz und der katholischen Diözese Speyer. Sie ist unter der Hotline 0800 - 111 0 111 und 0800 - 111 0 222 bundesweit 24 Stunden am Tag, anonym und gebührenfrei, zu erreichen. Im Internet: www.telefonseelsorge-pfalz.de.

21. Dezember 2005

Presse- und Öffentlichkeitsreferat der Evangelischen Kirche der Pfalz