„Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen“

Landesbischof Christoph Kähler zur Jahreslosung 2004

Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen

Was ist sicher in dieser Welt? Wer lebenserfahren ist, wird auf diese Frage antworten: „Nichts!“ Dazu wird er von vielen Zustimmung erwarten und erhalten. Sicher ist nur, dass nichts Bestand hat, sich alles wandelt und noch nicht einmal mehr derjenige sich seiner sicher sein kann, der mit beiden Beinen scheinbar fest auf der Erde steht. Denn der Weltuntergang, die Zerstörung unserer Erde durch Krieg und technische Katastrophen, ist vorstellbar geworden. Wozu Menschen fähig sind, wissen wir; dass das Ausmaß ihrer zerstörerischen Fähigkeiten gewachsen ist, auch. Teile dieser Erde, wie die Gegend um Tschernobyl, sind durch menschliche Schuld bereits unbewohnbar geworden. Der irdische Himmel über uns ist ebenfalls durch menschliche Einwirkung für gefährliche Strahlung durchlässiger geworden als früher. Unsere bewohnte Welt aus Himmel und Erde ist viel angreifbarer und zerbrechlicher, als manche Menschen sich das vorstellen können oder wollen. Seit Jahrzehnten haben wir allen Grund, Gott, den Schöpfer, um die Bewahrung seiner Schöpfung gegen menschliche Unvernunft zu bitten. Geht es in der Jahreslosung 2004 um diese Bedrohung durch das selbst verschuldete Weltende?

Gegen solche Befürchtungen und Erwartungen schlage ich vor, die Jahreslosung von hinten her zu lesen und zu verstehen. Sie spricht von dem, was bleibt – trotz alledem. Jesus Christus sagt: Meine Worte werden nicht vergehen! Das meint zuerst und zuletzt ein gnädiges Versprechen. Jesu Worte waren an Menschen gerichtet. Sie sollten ihnen die Ohren und die Augen öffnen. Sie wirkten wie ein Wegweiser zu Gott, dem Vater aller Menschen. Wenn Jesu Worte bleiben – trotz aller Katastrophen und trotz aller großen Schuld, die Menschen auf sich laden - dann werden sie nicht als einsame Worte stehen bleiben wie ein Denkmal, das bald niemand mehr beachtet. Sie sollen offenbar wieder und wieder gehört werden. Das aber setzt Menschen voraus, die zuhören können und wollen. Wenn die Worte Jesu Christi bleiben, dann deswegen, weil sie bedacht und weitergegeben werden - von uns Menschen, die wir diese Worte hören und beachten können, von uns Christen, die diesen Worten Glauben schenken und auf sie vertrauen wollen. In diesem Satz höre ich also auch die Zuversicht, dass Gott als Vater aller Menschen die Schöpfungszusage an seine Kinder nicht zurücknimmt. Ich höre daraus die Zuversicht, dass alles, was Menschen an Teuflischem ersinnen und ausführen, nicht mächtiger und endgültiger ist, als die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, die Jesus Christus ermöglicht und gestiftet hat. Jesu Worte ermutigen dazu, sich auf Gottes Liebe einzulassen, um den Kreislauf von Rache und Vergeltung, den Teufelskreis von Angst und Drohung und Gewalt zu verlassen. Besonders eindrücklich bleibt dafür die Bergpredigt mit ihrer Einladung zur Feindesliebe.

Ich kenne keine anderen Worte, die zugleich so bis in den letzten Winkel aufdecken, was wir im Herzen verbergen möchten, und die gleichzeitig so radikal an der Gnade Gottes festhalten, für die wir keinerlei Voraussetzungen selbst schaffen können. Wir brauchen diese Worte auch noch nach 2000 Jahren. Sie hatten und haben Bestand zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Gott hat uns in Jesus Christus seine Zuneigung zugesagt, ja durch sein Leben, Sterben und Auferstehen bewiesen. Diese Zusage läßt sich durch nichts, aber auch gar nichts außer Kraft setzen, auch nicht durch menschlichen Übermut und menschliche Übeltat. Und diese Zusage gibt uns die Kraft, menschlichem Übermut und menschlicher Übeltat nicht das letzte Wort zu lassen.

Eisenach, 30. Dezember 2003

Ralf-Uwe Beck
Pressesprecher